Nicht so unerlöst, Kollege!

Neulich hat sich ein Kollege zur Klimakatastrophe geäußert. Die Dramatik ist, wenn man nur einmal die Nachrichten dieser Woche Revue passieren lässt, ja kaum zu überschätzen:

Doch auch und gerade in den Kirchen gibt es Stimmen, die versuchen, jegliche Aufregung darüber zu dämpfen. „Unerlöst“ sei seine Sorge und Niedergeschlagenheit, musste der Kollege sich von einem kirchlichen Medienmenschen anhören.

Ich finde es theologisch wie pastoral unverantwortlich, wie hier oft argumentiert wird. Wenn in der Kirche kein Raum mehr ist, über bestens begründete Ängste und dystopische Zukunftsszenarien zu sprechen, wo denn dann? Wir leben in einer Gesellschaft, in der ein großer Teil des politischen Spektrums – von den C-Parteien über die FDP bis zur AfD – „mehr Angst vor dem Klimaschutz als vor der Klimakatastrophe hat.“ Da wird auf Teufel komm raus verdrängt, verharmlost und beschwichtigt. Und wo das nicht greift, werden die Mahner als hysterische Spinner, selbstgerechte Fanatiker und wirtschaftspolitische Geisterfahrer hingestellt.

Photo by Markus Spiske on Unsplash

Was da nämlich als „erlöst“ propagiert wird, ist einfach nur die Fortsetzung der Verdrängung mit anderen Mitteln: Religion als Valium fürs Bürgertum. Ist es schlicht Wurstigkeit, oder die Angst vor einer Angst, die sich nicht wegmoderieren lässt? Spricht hier die Aversion der vermeintlich Gemäßigten gegen jede Art von Radikalität? Ist für die noch Platz in einer bürgerlichen Theologie und wohltemperierten Kirchlichkeit, die in der biblischen Apokalyptik und im Alarmismus der Protestbewegungen nur noch Gefahr und Schrecken erkennt?

Theologisch angemessen und pastoral verantwortlich wäre es, sich der Verzweiflung zu stellen und durch sie hindurch zu gehen, statt sie überspringen zu wollen. Wenn Menschen um Verstorbene trauern oder mit einer Depression kämpfen, kann ich ihnen ja auch nicht einfach zurufen, sie sollten doch erlöster aus der Wäsche schauen. Dasselbe Muster finden wir auch in der Tiefenökologie (ich habe hier darüber schon etwas geschrieben): Aktivismus wird nur dann nachhaltig sein können, wenn er dem Leid und der Verzweiflung – der eigenen und der anderer – nicht ausweicht, sondern sie an sich heranlässt.

Es führt also kein direkter Weg von der Verdrängung hin zum inneren Frieden und der Gelassenheit des Glaubens. Es gibt keine Luftbrücke, bei der mich Engel auf Händen tragen würden; bleibt nur der Weg der Konfrontation mit der Realität, vor der wir seit über 40 Jahren kollektiv die Augen verschließen.

Johann Georg Hamann (1730-1788) hat aus eigener Erfahrung heraus gesagt: „Es gibt keine Himmelfahrt der Gotteserkenntnis ohne die Höllen­fahrt der Selbsterkenntnis.“ Glaube an den Gekreuzigten und Auferstandenen bedeutet, mich auf diesen Weg einzulassen und alle anderen Sicherheiten und Gewissheiten aufzugeben.

Und falls es jemand lieber sozialwissenschaftlich-säkular möchte: Altmeister Ulrich Beck schrieb in „Die Metamorphose der Welt“ über einen „emanzipatorischen Katastrophismus„, der den entscheidenden Wandel zum Besseren herbeiführt. Über eine Welt, die erkennbar und nachweislich aus dem Gleichgewicht geraten ist, lässt sich nicht mehr ausgewogen im herkömmlichen Sinn reden. Warum also nicht klagen, trauern, protestieren und provozieren?

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Anmut und Abgründe – ein Weihnachtslied von Annie Lennox

Es ist schon fast ein Jahrzehnt her, dass die schottische Sängerin Annie Lennox ein Weihnachtsalbum herausbrachte. Das einzige Stück aus eigener Feder heißt „Universal Child“. Lennox setzt sich schon lange für Kinder in Not ein und hat durch ihr Engagement viele Kinderschicksale kennengelernt. Das schlichte Lied handelt von dem Wunsch, Kinder, die versuchen, wieder auf die Beine zu kommen, vor Schaden zu beschützen. Und davon, dass in ihrer Unschuld ebenso wie in ihren Tränen der Zustand der ganzen Menschheit erkennbar ist.

Zwischendrin geht die Poesie freilich über das Konkrete hinaus, wenn sie singt:

And I can see you, you’re everywhere, your portrait fills the sky,
oder:
I can feel you, you’re everywhere, shining like the sun.

Sonne und Himmel kommen ins Spiel – und ich frage mich, ob „Universal Child“ nicht eine schöne Beschreibung für jenes Kind ist, das sich später als „Menschensohn“ bezeichnen wird. Über die menschliche Natur Christi ist ja in der Theologie viel gesagt worden. Vielleicht geht es dabei ja weniger um bestimmte Eigenschaften, die Menschen von Tieren auf der einen und Gott auf der anderen Seite unterscheiden. Sondern vielmehr darum, dass diesen Menschenkind ein Leben führt, in dem die ganze Schönheit und der ganze Horror vorkommen, die menschliches Leben ausmachen – die Anmut und die Abgründe.

Photo by Kelly-Ann Tan on Unsplash

Vielleicht ist dieses Neugeborene – im überfüllten Bethlehem, später auf der Flucht in Ägypten, auf dem Berg der Verklärung und auf Golgatha – so betrachtet ein ganz passender Repräsentant, in dem wir uns alle wiederfinden können. Und vielleicht könnte das Menschen zusammenführen und all die Konflikte beenden helfen, unter denen vor allem die verwundbaren Kinder so leiden müssen.

Und hat Jesus nicht gesagt: Wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf?

„Universal“ heißt auf Deutsch allgemeingültig, (welt)umfassend. Dieses vom Leid gezeichnete Kind wird zum Portrait, zum Gesicht der Menschheit am Himmel – vor Gottes Angesicht. Und aus der fürsorglichen Zuneigung von Annie Lennox spricht die zärtliche Liebe Gottes zu den Menschenkindern:

I’m gonna try to find a way to keep you safe from harm.
I’m gonna be a special place, a shelter from the storm.

Das trifft die Weihnachtsbotschaft doch ganz gut, denke ich beim Zuhören. Und summe leise mit.

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