Situationsethik – christlicher als ihr Ruf

Für viele (vor allem alle Verfechter „klarer“, weil buchstabengebundener Ge- und Verbotsethik) ist das ja ein heikler Begriff, lässt er doch vermuten, dass man sich mit Verweis auf passende Umstände alles moralisch so hinbiegen könnte, wie man will.

Allerdings lässt sich das Gebot der Nächstenliebe auch unter Situationsethik im weiteren Sinn einreihen: Wer der/die Nächste ist, das entscheidet sich immer in einer konkreten Situation, denn es geht nicht um eine bestimmte Eigenschaft dieser oder jener Person, sondern um die Tatsache, dass ich gerade jetzt mit ihr zu tun habe. Darum, wie wir gerade situiert sind. Deswegen antwortet Jesus in Lk 17 auf die Frage „wer ist mein Nächster?“ damit, dass er eine Situation schildert, in der das deutlich wird. Und der Samariter hilft in der Geschichte ja nicht, weil er ein Gebot im Hinterkopf hatte, sondern weil er von der Not des Mitmenschen angerührt wurde – so definiert sich Barmherzigkeit.

Toa Heftiba

Ob man die oder den Nächsten im Internet-Zeitalter noch ausschließlich räumlich bestimmen kann (oder ob Raum anders zu bestimmen wäre), ist eine wichtige Frage. Unsere Situationen sind komplexer geworden: Wir bekommen Notlagen anderer in Echtzeit mit, die tausende Kilometer entfernt sein können. Manchmal können wir direkt reagieren, oft nicht. Aber heißt das, dass wir gar nicht zu reagieren brauchen? Auch deswegen wird es ja immer schwerer, eindeutige Normen zu bestimmen, die jeder Situation angemessen sind.

Aber eines lässt sich sagen: Wenn man sich an der Liebe zum Nächsten orientiert, wird alles Tun radikal menschen- und situationsbezogen sein.

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