Von Schönheit bewegt: Das geozentrische Weltbild

Für meine Predigt gestern über die Weisheit Gottes habe ich bei David Bentley Hart nachgelesen. In The Experience of God rehablilitiert er das antike und mittelalterliche Weltbild gegen moderne Polemik und Arroganz. Vor allem aber erklärt er dessen Reichtum.

Seit Aristoteles und Ptolemäus stellte man sich die Welt so vor, dass die Erde den Mittelpunkt bildete, um den herum sich die Sphären des Himmels drehten. Jeder der sieben Planeten – der beweglichen Himmelskörper (Mond, Merkur, Venus, Sonne, Jupiter und Saturn) – saß auf einer dieser Sphären, jenseits davon war die Masse der Fixsterne am Firmament. Und alles war umschlossen von Gott, der im letzten, unvergänglichen Lichthimmel, dem Empyrium, wohnte.

Gott in seiner grenzenlosen Schönheit und seinem Glanz übte eine solche Anziehungskraft auf seine Schöpfung aus, dass sie in ständiger Bewegung auf ihn hin war:

Dieser Kosmos war eine gleichermaßen wissenschaftliche wie metaphysische Annahme, aber auch ein Gegenstand phantasievoller Schönheit, voller Höhen und Tiefen und Feinheiten, Glanz und Erhabenheit und Zartheit; sein Bild des immerwährenden Tanzes der Gestirne, bewegt von einer Urkraft der Liebe, die alles zum Göttlichen hin zieht, hätte in ihrer Poesie kaum anmutiger sein können. Sie war voller Licht – tatsächlich, in diesem Schema gab es keine natürliche Dunkelheit in den Himmeln, weil das Leuchten des Empyriums alle Sphären durchdrang; (S. 52)

Das heliozentrische Weltbild war für viele nicht etwa deshalb so schwer anzunehmen, weil die Erde und der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt standen, schreibt Hart. Im alten Weltbild standen die Menschen auf der niedrigsten Stufe der Vollkommenheit und Unveränderlichkeit – alles war im Wandel, nichts hatte Bestand. Viel irritierender war jedoch die Vorstellung, dass der Wandel, die Unordnung und die Instabilität auch in den höheren Sphären herrschte und die kosmische Harmonie störte, und dass hier wie dort nur noch mechanische Ursachen eine materialistische Wirklichkeit beherrschten, während zuvor Transzendenz und Immanenz, materielle und spirituelle Kräfte sich gegenseitig durchdrangen und miteinander verwoben waren. Die alte Welt war eine organische, integrale Welt, die neue Welt eine Maschine, eine Apparatur, ein Mechanismus. Und sie brachte im Laufe der Zeit ihre eigene Metaphysik hervor und schuf ihre eigenen Probleme, etwa durch die vollständige Entkopplung von Kausalität und Sinn.

Heute sind wir dabei, vieles wieder zurückzugewinnen, wenn wir Leben als ein komplexes Geflecht von Beziehungen verstehen, die Welt mit ihren Gleichgewichten und Wechselwirkungen als ein organisches System, Geist und Materie nicht als völlig getrennte Sphären, Gott als das innere Geheimnis der Welt, seine Transzendenz als ihre Tiefendimension, die von innen heraus wirkt und nicht von „oben“ herunter. Dann rückt vielleicht auch das wieder in greifbare Nähe, was Hart als die Konsequenz des alten Weltbildes für menschliches Denken und Erkennen beschreibt:

„Irgendetwas zu kennen heißt schon, wie blass und unvollkommen auch immer, das Wirken Gottes zu kennen, in jedem Gegenstand und in uns selbst: ein einziges Geschehen, im Zusammenklang und der Einheit zweier Pole, der eine „objektiv“ und der andere „subjektiv“, aber letztlich nicht zu trennen.“

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Gott ist kein Schulmeister: Von Begrenzungen, Bewertungen und Barmherzigkeit

Letzte Woche diskutierte ich mit einer Gruppe über einen Gedanken aus Parker Palmers ebenso kleinen wie klugen Buch Let Your Life Speak. Es ging um Gottesbilder und die Frage, wie diese sich auf unsere Lebenseinstellung auswirken. Palmer kontrastiert das Bild des Schulmeisters, der uns anhand seines moralischen Maßstabs bewertet und uns immer mit dem konfrontiert, was sein sollte (und oft nicht oder noch nicht ist), mit dem „Ich bin der ich bin“, dem Gott, der im Herzen und Grund aller Wirklichkeit wohnt und uns für das öffnet, was ist. Und dafür, wer wir sind.

Ich hatte mich etwas schwammig ausgedrückt, und dann brachte es jemand aus der Gruppe schön auf den Punkt: Dieser Gott bewertet mich überhaupt nicht. Und mir fiel sofort das Verbot des Richtens in der Bergpredigt ein und Paulus, der in 1Kor 4,3 seinen Kritikern schreibt, dass er sich nicht einmal selbst beurteilt.

Natürlich kam die Rückfrage, wie dann die vielen Aussagen über ein göttliches Gericht und Urteil in der Bibel zu verstehen seien. So weit ich das sehe, geht es in den biblischen Aussagen über das Gericht darum, wie wir unserer Verantwortung für andere Menschen gerecht werden. Wir werden das nicht immer und wir müssen an diese Verantwortung erinnert werden.

Aber das ist etwas anderes als jenes Bewerten der Person, das für die meisten in dem Bild des Schulmeisters mitschwingt. Es geht um konkrete Menschen und praktische Situationen, nicht um abstrakte und absolute moralische Prinzipien. Ich werde meiner Verantwortung nur gerecht als der, der ich bin – innerhalb jener Grenzen, die die Kehrseite meiner Stärken und Fähigkeiten sind, Und es geht aus biblischer Sicht darum, anderen Barmherzigkeit zu erweisen. Das ist leichter, wenn mir nicht dieser unbarmherzige, fordernde und perfektionistische Schulmeister im Hinterkopf herumspukt.

Der Gott, der mich mit meinen Begrenzungen liebt, lässt mich barmherzig sein mit mir selbst – und auf diesem (Um-)Weg auch mit anderen. Es ist gerade der Verzicht auf Bewertungen, der zur Liebe befreit. Denn überall, wo wir lieben und geliebt werden, spielen Bewertungen nach Leistung, Erfolg und anderen Maßstäben, die außerhalb der geliebten Person und dem Liebesverhältnis liegen, keine Rolle mehr.

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Die Lizenz zum Dissens

Der Gnadauer Gemeinschaftsverband hat kürzlich eine Erklärung zum konfliktbeladenen Thema des Umgangs mit Homosexualität veröffentlicht. Es ist, wie könnte es anders sein, ein Kompromisstext herausgekommen, der allen Seiten (außer vielleicht den Unentschlossenen) einiges zumutet.

Die einen dürften enttäuscht sein von der halbherzigen Ankündigung, man wolle mit Homosexuellen in den Gemeinschaften liebevoller umgehen, ihnen aber keine Leitungsaufgaben anvertrauen, weil dies der Schriftauslegung der Mehrheit nicht entspreche. Kann ich gut verstehen, denn der Vorbehalt trifft dann ja doch wieder alle, ob sie nun ein Amt anstreben oder nicht.

Die anderen dürften besorgt sein, dass von Verbandsseite (erstmals, wenn ich das richtig sehe) offen und öffentlich gesagt wird, dass es eine abweichende Minderheitsmeinung gibt und dass diese Minderheit nicht sofort als geistlich und theologisch defizitär qualifiziert wird, wie es das Netzwerk Bibel und Bekenntnis fordert. Vielmehr räumt die Mehrheit ein, auch sie könnte sich womöglich irren.

Es ist der typische Kompromiss, der die Einheit und damit den Fortbestand der Organisation ermöglicht, indem er eine Spannung ungelöst stehen lässt. Es ist sicher mehr Kirchenpolitik als Theologie. Theologisch kann keines der beiden Lager das andere von seiner Auffassung überzeugen, und die Gründe dafür dürften im Glaubens- und Schriftverständnis liegen. Die einen hängen stärker am biblizistischen (und gelegentlich auch antiliberalen) Erbe des Neupietismus, die anderen wünschen sich mehr Offenheit für eine Welt, die sich verändert hat und immer weiter verändert, und die sich wundert, worüber die Frommen da streiten.

Der entscheidende Punkt dieser Erklärung ist für mich der: Sie öffnet die Tür, um über ein Tabuthema offen und öffentlich zu reden. Und zwar kontrovers. Man darf jetzt sagen, dass man anderer Meinung ist, ohne dass einem die Treue zum christlichen Glauben insgesamt und zur konkreten Gemeinschaft im Besonderen deswegen abgesprochen wird. Diese Möglichkeit sollten möglichst viele Gemeinschaften nutzen. Vielleicht kann der Verband sogar Hilfestellungen dazu erarbeiten oder Moderator*innen bereitstellen. Dann wird sich vielleicht herausstellen, dass die Psychologie eine ebenso große Rolle spielt wie die Theologie, dass neben der Hermeneutik auch Ängste und Aversionen ein Thema sind, über das geredet werden muss.

Und wer weiß, vielleicht könnten sich ja gerade im ehrlichen Gespräch über diese unscharfen und subjektiven Aspekte so viel Verständnis und verbindende Gemeinsamkeiten offenbaren, dass man die einheitliche theologische Position als verbindende Klammer, die den Zusammenhalt sichert (denn das ist ja vielfach die Funktion), gar nicht mehr braucht?

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Ein bitterer Abschied

Es war ein grauer, kalter Nachmittag an der Hackerbrücke. Auf dem Bussteig Nr. 18 standen sie, klein und eng zusammen, neben den vier schweren Koffern und ein paar Taschen Handgepäck, die ihre sämtlichen Habseligkeiten enthielten. Bis der Bus nach Skopje fuhr, hatten sie noch sechs Stunden auszuharren, um dann 22 Stunden im Bus zu sitzen. „Müssen immer Gott vertrauen“, diesen Satz wiederholten sie oft und neben der Hoffnung schwang auch ein gewisser Fatalismus mit. Sie lächelten und bedankten sich zum Abschied, trugen mir Grüße auf an Familien und Freunde, aber die Verzweiflung stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

Sie hatte sich über Wochen hinweg eingegraben. Familie M. war im Herbst aus Mazedonien gekommen. Vor ein paar Wochen dann machte die Nachricht die Runde, dass Bekannte mitten in der Nacht und ohne jegliche Vorwarnung von Polizisten aus dem Schlaf gerissen und abgeschoben wurden, ohne sich von irgendjemandem verabschieden zu können. Florian Neumann vom ZDF bezeichnete das jüngst als Rückführung-Roulette. Verängstigt und eingeschüchtert haben sie dann auch sofort unterschrieben, dass sie unverzüglich und freiwillig ausreisen, als klar wurde, dass ihr Asylantrag abgelehnt wird. Ich glaube, das hat sogar die Sachbearbeiterin beim Ausländeramt überrascht. Und selbst dann schliefen die beiden Söhne lieber bei Freunden und Bekannten, um nicht doch noch plötzlich verhaftet zu werden.

Und viele von uns, die von ihren Sorgen und Ängsten wussten, schliefen auch schlecht.

In der Familie M. sprechen inzwischen alle genug Deutsch, um in Alltagsdingen zurecht zu kommen, ihre Muttersprache ist Türkisch, der Vater kann auch Albanisch und Serbokroatisch (sagt man das heute noch?). Einer der beiden Söhne ist kleinwüchsig und die mazedonische Gesellschaft ist im Umgang mit Handicaps aller Art im Vergleich zu uns noch ein paar Generationen zurück, dort ist er ein Außenseiter ohne Perspektive. Hier hatte er einen Ausbildungsvertrag in Aussicht, der ihm eine menschenwürdige Existenz ermöglicht hätte, und seine Mutter hätte die psychotherapeutische Behandlung fortsetzen können, die sie eigentlich dringend braucht, um emotional wieder richtig auf die Beine zu kommen.

In Mazedonien stehen sie erst einmal vor dem Nichts. Das Haus der Familie ist unbewohnbar, es gibt in der Region, aus der sie stammen, kaum Arbeit – die Arbeitslosenquote für das gesamte Land lag 2014 bei 34%, bei Jugendlichen ist sie deutlich höher, und nachdem Griechenland als der größte Investor geführt wird, dürfte sich daran in den letzten anderthalb Jahren wenig verbessert haben.

Auf Zeit Online habe ich diese Woche „Aleks ist weg“ gelesen. Es geht um eine Roma-Familie die in Ostfriesland als Vorzeige-Beispiel für Integration galt und dennoch abgeschoben wurde. Die Autorin schreibt:

Politiker reden dieser Tage viel von Abschiebungen: Menschen ohne Bleibeperspektive sollen Platz machen für Kriegsflüchtlinge. Über die, die das betrifft, reden alle immer weniger. Denn der Druck von rechts, die Flüchtlingszahlen zu begrenzen, steigt. Und eine Diskussion über eine Obergrenze lässt keinen Platz für Einzelschicksale.

Und ein Helfer aus Ditzum sagt: „Menschlich ist das nicht in Ordnung“. Zu derselben frustrierenden Schlussfolgerung kommt eine Frau aus dem hiesigen Helferkreis: Auch wenn das alles legal ist, ist es kein Ruhmesblatt für unsere Gesellschaft. Und ich denke mir: Wenn wir die einzelnen Schicksale und Potenziale von Menschen nicht mehr sehen (egal ob In- oder Ausländer!), dann verspielen wir etwas Wesentliches unserer Kultur, nämlich die Wertschätzung des Individuums.

Während ich das schreibe, dürfte sich der Bus schon irgendwo in Serbien befinden. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie vielen der Mitreisenden in diesem Bus genauso elend zu Mute ist.

Nachtrag: Wer möchte, kann diese Petition zur Aufhebung der „Balkanlager“ in Bayern unterzeichnen, die dasselbe Anliegen verfolgt, nämlich die Einzelschicksale ernsthaft zu prüfen.

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Nochmal die Schulbank drücken

Es kommt wohl eher selten vor, dass ein Schüler mehr graue Haare hat als sein Mentor. In meinem Fall wird das so sein. Viele wissen es schon, dass ich ab dem ersten März bayerischer Vikar werde. Ich freue mich auf die Kirchengemeinde St. Leonhard-Schweinau im Westen von Nürnberg und auf Pfr. Dr. Gunnar Sinn, den ich vor einigen Wochen schon kurz kennengelernt habe. Zwischendurch werde ich immer wieder mal ein oder zwei Wochen im Predigerseminar in Nürnberg zubringen und vermutlich sind manche der Vikarskolleg*innen dort nicht wesentlich älter als meine Tochter. Aber es ist ja auch ein seltener Luxus, in dieser Lebensphase noch einmal alle wichtigen Fragen zu durchdenken, alte Kenntnisse aufzufrischen und professionelles Feedback zu bekommen. Schweinau ist ein Stadtteil, der mit seiner Sozialstruktur in vieler Hinsicht ein Kontrastprogramm zu Erlangen darstellt, da gibt es für mich eine Menge zu lernen und zu entdecken. Und während viele erst das Pflichtprogramm und dann die „Sonderformen“ von Gemeinde und Gottesdienst entdecken, läuft es bei mir nun eben umgekehrt. Mit vier Kindern in Studium und Berufsausbildung ist das kein ganz kleines Abenteuer.

Im Freundes- und Bekanntenkreis hat die Nachricht viel Zustimmung und positive Resonanz ausgelöst, aber auch ein paar nachdenkliche Fragen dazu, warum ich das mache und wie der Schritt zu deuten ist. Fangen wir doch beim Offensichtlichen an: Bei ELIA laufen die Dinge gut, das die Pionierphase liegt im 24. Jahr schon eine Weile hinter uns, und es hängt weniger an meiner Person, als manche(r) vielleicht vermutet. Dass es uns allen über 20 Jahre gelungen ist, ohne Zank oder Entfremdung gemeinsam älter zu werden, empfinde ich als ein echtes Wunder. Es gibt auch im Augenblick keine Konflikte, die über jene produktive Grundspannung hinausgehen, die bei so vielen Charakterköpfen und einer derart bunten Mischung an Prägungen und Frömmigkeitsstilen normal sind. Ein guter Zeitpunkt, um mich etwas zurückzunehmen, ohne ganz auszusteigen. Wir wohnen weiter in Erlangen, ich werde auch während des Vikariats regelmäßig bei ELIA predigen und andere Aufgaben übernehmen.

Vor 25 Jahren war ich schon einmal an diesem Punkt: Ich hatte eine Vikariatsstelle in Hof zugewiesen bekommen und die dann abgesagt, um mein Promotionsstudium anzupacken. Während dieser Zeit entstand dann ELIA, ohne dass ich das so geplant hatte, und ich stellte fest, dass mir die flexiblen Strukturen und die Spielräume zum Experimentieren sehr liegen. In einer solchen Gründungsphase kann man aber nicht nach zwei oder drei Jahren aussteigen, also lag die weitere kirchliche Laufbahn für unbestimmte Zeit auf Eis (der Computer im Landeskirchenamt führte mich als „Abbrecher“, aber so fühlte sich das von meiner Seite aus nicht an). Die Entscheidung für die Promotion und die Gemeingründung war nie eine Entscheidung gegen die Landeskirche (ebensowenig ist diese Entscheidung jetzt für das späte Vikariat eine Entscheidung gegen dies oder jenes – oder eben nur in dem Sinn, dass man nicht alles gleichzeitig machen kann, was gut und sinnvoll ist).

In den letzten Jahren entwickelte sich dieses Verhältnis sehr konstruktiv. Ich bekam eine Prädikantenbeauftragung, arbeitete in verschiedenen kirchlichen Arbeitsgruppen mit, nahm an Tagungen und Konferenzen teil, der Landesbischof besuchte die Gemeinde. Meine theologische Sprache und die Themen, mit denen ich mich beschäftige, haben sich in den letzten zehn Jahren noch einmal so kräftig wie konsequent weiterentwickelt. Ebenso die Spiritualität: Ich habe einen sehr positiven Zugang zu Liturgie gefunden. Insofern ist das Vikariat nun ein weiterer, logischer Schritt auf einem Weg der Konvergenz. Und wie die nächste Etappe dann in zweieinhalb Jahren aussieht, ist noch völlig offen. Aber bei allen Verantwortlichen, mit denen ich in den letzten Monaten über diese Entscheidung gesprochen habe, war der Wunsch spürbar, nach dem Vikariat auch einen Platz zu finden, an dem die Erfahrungen, die ich schon mitbringe, sinnvoll zur Geltung kommen können.

In den letzten Monaten habe ich, nicht immer ganz leichten Herzens, so viele Einladungen zu Kursen, Tagungen und Kongressen abgesagt wie noch nie, und mich aus verschiedenen Kreisen und Gremien ausgeklinkt, um Platz für das Neue zu schaffen. Wie viel Zeit mir zum Bloggen bleibt beim Pendeln ich die große Nachbarstadt und wie sich meine Themen und Perspektiven verschieben bei allem, was da neu auf mich zukommt und meine Aufmerksamkeit beansprucht, kann ich noch nicht abschätzen.

Erst einmal wird es bestimmt etwas ruhiger hier.

Es hat eben alles seine Zeit.

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Empathiestress und gesundes Mitgefühl

Unsere Welt wird gerade an vielen Stellen immer unbarmherziger, wie diese Nachricht von Übergriffen gegen Muslime in Frankreich oder diese Nachricht vom immer weiter fortschreitenden Rechtsruck der Atommacht Israel zeigen, um nur zwei Themen zu nennen, die im Lärm dieser Tage praktisch untergegangen sind. Carolin Ecke hat es in der SZ so formuliert:

An manchen Tagen schnürt einem der Kummer und die Not (ob in der Ferne oder ganz nah) die Kehle zu. Man merkt es daran, dass man abends spät, vorm Ins-Bett- gehen, zögert, Nachrichten zu hören oder in die Post zu schauen, als ob sich so wenigstens die Nacht schützen ließe vor dem Zuviel. Als könnte man sich so wappnen gegen die Bilder aus Aleppo oder die Meldungen von neuen Anschlägen auf Flüchtlingsheime oder einem weiteren tiefen Unglück, das zu betrauern wäre.

Ich musste beim Lesen an diesen TED-Talk von Matthieu Ricard denken. Meditation ist für ihn keineswegs eine Flucht vor der Herausforderung, diese Welt durch mehr Mitmenschlichkeit umzugestalten, sondern der beste Weg dorthin – und der beste Weg hinaus aus einer Überflutung, die in Panik, in Apathie oder blinder Aggression endet. Und seinen Schlussfolgerungen über eine altruistische Revolution würden die meisten christlichen Theologen, die ich kenne, vermutlich zustimmen.

 

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Konfir(motiv)ation

Falls sich mal jemand fragt, ob und warum es sich lohnen könnte, einen guten Konfirmandenunterricht zu machen und dabei auch jene theologischen Komplexitäten nicht auszusparen, die einem selbst etwas abverlangen, dann könnte dieses Zitat von C.G. Jung über den Unterricht bei seinem Vater ein Ansporn sein, es besser zu machen – man weiß ja nie, was aus einem gelanweilten Teenager noch wird:

Der Katechismus langweilte mich unaussprechlich. Ich blätterte einmal in dem kleinen Büchlein, um irgend etwas Interessantes zu finden und mein Blick fiel auf den Paragrafen über die Dreieinigkeit. Das interessierte mich und ich erwartete mit Ungeduld, bis der Unterricht zu jenem Abschnitt vorrückte. Als nun die ersehnte Stunde kam, sagte mein Vater: „Diesen Abschnitt wollen wir überschlagen, ich begreife selber nichts davon“. Damit war meine letzte Hoffnung begraben. Ich bewunderte zwar die Ehrlichkeit meines Vaters, was mir aber über die Tatsache nicht hinweg half, dass von da an alles religiöse Gerede mich tödlich langweilte.

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Verkleidungen

Es ist Faschingsdienstag und in der Abenddämmerung begegnen mir zwei Mädchen im Prinzessinnenkostüm. Sie lieben Verkleidungen, denke ich, als sie auf mich zukommen. Aber dann fällt mir ein, dass man das auch umgekehrt sehen kann:

Im Fasching dürfen sich die Kinder aussuchen, was sie sind (so sagen sie das ja auch). Und dann tragen sie ihre Wünsche und Träume, ohne zu fragen, wie realistisch das ist. Natürlich sind die von Disney & Co kulturell überformt, aber sie werden trotzdem noch sichtbar.

Die eigentlichen Verkleidungen, die sie verhüllen, sie tendenziell austauschbar und unsichtbar machen, die tragen sie an den übrigen 360 Tagen im Jahr.

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Christlicher Relativismus

Er [Jesus] hat mit seiner Person die falschen Absolutheitsvorstellungen der Welt zerschlagen und in Freiheit zurückgewiesen: Geld, Ehre und Macht; aber er hat sie nicht wieder aufgebaut und eine andere menschliche Gesellschaft errichtet, die eine neue neue Hierarchie der Ehre, Macht und Reichtum besäße.

Er hat die Welt überwunden, indem er sie relativierte; denn der Sieg der Welt über den Menschen ist es, dass sie sich ihm als etwas Absolutes darbietet.

Madeleine Delbrêl (1904-1964)

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Foto: Jeremy Thomas – unsplash.com

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Der Parzany in mir

Vor einer Weile habe ich mich zu den Auseinandersetzungen innerhalb der Deutschen Evangelischen Allianz so geäußert:

Michael Diener, der in einem Interview mit der „Welt“ sagte, er achte und betrachte auch diejenigen als Brüder und Schwestern, die seine (konservative) Position im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht teilen. Und Ulrich Parzany, der sich nur denen verbunden fühlt und über den Weg traut, die sich von denselben Leuten distanzieren und fern halten wie er selbst.

Nun bin ich in diesen Tagen zu manchen kritischen Kommentaren auf diesem Blog befragt worden und merke, dass es mir formal betrachtet manchmal ähnlich geht wie Parzany, nur in umgekehrter Richtung. Ich komme zwar in der Frage von Homosexualität mit den Differenzen klar und erwarte nicht, dass alle meine Position teilen. Aber wo die Mitchristen an den rechten Rand rücken, sich der AfD zurechnen oder deren Inhalte verbreiten, wo sie Polemiken gegen vermeintlichen „Gender-Wahn“ abfahren oder pauschale Vorurteile gegen Muslime befördern, da hört für mich der Spaß auf, und die Gemeinsamkeit kommt an Grenzen. Früher fand ich das peinlich, heute halte ich es für gefährlich – und daher hadere ich auch immer wieder mal mit anderen, die sich nicht klar abgrenzen und distanzieren: Verlage oder Konferenzveranstalter, die Leuten wie Kuby und Kelle eine Plattform bieten oder deren leitende Mitarbeiter mit der AfD liebäugeln und die gegen „Gutmenschen“ wettern lassen, möchte ich persönlich lieber nicht unterstützen. Egal, was sie sonst noch so machen.

Denn dieser rechte Rand schadet unserer Gesellschaft unter dem Vorwand, Schaden bekämpfen zu müssen. Liane Bednarz beschrieb diesen Teil der Christenheit jüngst in der FAZ so: „… sie pflegen seit Jahren Ressentiments gegenüber der etablierten Politik und der Qualitätspresse. Und sie neigen dazu, die pluralistische Demokratie in Deutschland als diktaturähnliches System zu verunglimpfen, gegen das sich das „Volk“ zur Wehr setzen müsse.“ Der gemeinsame Nenner meiner Toleranz in die eine und meinem Wunsch nach Grenzen in die andere Richtung ist meine Überzeugung, dass wir eine offene, pluralistische und demokratische Gesellschaft brauchen (eine ausführliche biblisch-theologische Begründung für die liberale Demokratie als einer guten Staatsform findet sich beispielsweise in Miroslav Volfs „Öffentlich Glauben“).

Bin ich nun ein auf links gezogener Parzany, wenn ich mir da klare Abgrenzungen wünsche? Es wird vielen so erscheinen, die eine vermittelnde Position einnehmen: Da machen es einem die Hardliner von rechts und von links gleich schwer, weil keiner mit dem anderen mehr kann.

Vor einer Weile habe ich ein Bild – viele werden es auf Facebook schon gesehen haben – zur Illustration einer Predigt verwendet. Jesus steht auf einem kleinen Hügel und sagt: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst!“ Jemand aus der Menge fragt: „Und wenn er Flüchtling ist, oder schwul?“ Und Jesus fragt: „Hast du was an den Ohren?“ Später fragte mich jemand, ob da nicht auch stehen sollte „und wenn er Neonazi ist?“ Und ich dachte, ja und nein. Flüchtling zu sein oder schwul ist erst einmal etwas, das man sich nicht aussucht, Neonazi zu sein ist eine Entscheidung, die auch anders ausfallen könnte. Ich möchte also nicht aufhören, Menschen an ihre Verantwortung für ihre politische Haltung und deren Folgen zu erinnern, denn das ist (bei aller Milieubedingtheit) mehr als nur schicksalhafte Prägung. Und natürlich geht es nicht darum, sie zu hassen und fertig zu machen. Aber man darf sie eben auch nicht verharmlosen, indem man sie (und das wäre mit der vorgeschlagenen Ergänzung ja der Fall) mit ihren bevorzugten Opfern auf eine Stufe stellt.

Jesus hat manche Grenzen aufgeweicht und andere verschärft. Dass Letzteres ab und an nötig ist, wenn Kirche ihren Auftrag nicht verraten und ihre Zukunft verspielen will, darin bin ich mit Ulrich Parzany und seiner Bekenntnisfraktion völlig einer Meinung. Die Ansichten darüber, wo diese Grenzen konkret verlaufen, liegen weit auseinander, aber dieses eine haben wir durchaus gemeinsam, dass wir hier stehen und nicht anders können als einander zu widersprechen.

Nicht viel, aber wer weiß, vielleicht wird eines fernen Tages ja wieder etwas Konstruktiveres daraus.

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Der ultimative Theologie-Test

Vor ein paar Wochen war ich mit meiner Kollegin Sabrina und 14 Konfirmanden ein Wochenende unterwegs. Wir haben uns mit der Person Jesu befasst, haben das Markusevangelium interaktiv gelesen und über viele Entdeckungen diskutiert. Es ist eine lebhafte und aufgeweckte Gruppe, was sich vor allem an den klugen Fragen ablesen ließ, die sie uns stellten.

Auf dem Heimweg dachte ich mir dann: Herrlich, genau dafür hast Du Theologie studiert! Damit Du die neugierigen Fragen, die dreizehnjährige über Gott stellen, mit zehn Sekunden Bedenkzeit und in maximal zwei Minuten allgemeinverständlich und ohne Fachjargon beantworten kannst – ohne dabei trivial zu werden oder Dinge zu sagen, die Dir eine halbe Stunde später schon wieder peinlich wären.

Vielleicht sollte man zukünftig in den theologischen Examina Konfirmanden die Fragen stellen lassen? Bei der Notenvergabe können die Professoren ja gern weiterhin assistieren.

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