Kein‘ feste Burg?

 

Madeleine Delbrêl hat sich zu ihrer Zeit vehement eingesetzt für eine Kirche, die mit der Zeit geht, statt stur auf dem vermeintlich Bewährten zu beharren. Nur im Mitgehen bleibt der Glaube lebendig und Kirche ihrem Auftrag treu. Ein halbes Jahrundert später sind ihre Worte immer noch aktuell:

Es lässt sich leicht feststellen, dass … Milieus entstanden sind, in denen Christen nur unter sich leben. In diesen – regionalen, familiären, beruflichen und freundschaftlichen – Milieus hat das christliche Leben im Lauf der Zeit eine bestimmte Gestalt angenommen und eine bestimmte Mentalität ausgeprägt.

Meist waren dies lebendige Ausdrucksformen des Glaubens. Doch Schritt für Schritt sind daraus veraltete, überholte, um nicht zu sagen: anachronistische Formen geworden. Ein lange Zeit nur unter Christen gelebtes christliches Leben hat zwei Merkmale: Manches liegt darin brach, anderes wird überbetont.

Es ist tatsächlich so, dass in einem Milieu, in dem man als Christen nur unter sich lebt, keine Gelegenheit gibt,  gewisse Glaubenswahrheiten in die Praxis umzusetzen. Und wenn man sie nicht praktiziert, ist man sich ihrer weniger bewusst: man streitet sie nicht ab, aber man vergisst sie.

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Wer Ohren hat, zu hören

Dass Jesus im Zusammenhang mit seinen Gleichnissen davon spricht, dass seine Verkündigung gar nicht darauf angelegt ist, universal verständlich zu sein, sondern dass das Un- und Missverständnis beabsichtigt ist, kann einen schon ziemich irritieren. Vor allem naürlich dann, wenn man voraussetzt, dass Jesu Botschaft sich primär darum dreht, Menschen den Weg zum Seelenheil zu eröffnen. In Matthäus 13,13 steht: „Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, dass sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören und nicht verstehen.“

 

Setzt man hingegen voraus, dass Jesu Predigt vom Reich Gottes auf eine (freilich gewaltlose) Veränderung der Machtverhältnisse in Palästina zielte und damit eine viel umfassendere Vorstellung von „Heil“ im Blick hatte, dann wird dieser merkwürdige Satz auf einmal plausibel. Der Politikwissenschaftler James C. Scott von der Yale University hat sich über Jahrzehnte mit Protestbewegungen im ländlichen Raum beschäftigt. Scott spricht von einer „Politik der Tarnung und Anonymität, die unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet, aber auf einen Doppeldeutigkeit angelegt ist, die die Identität ihrer Akteure schützt. Gerüchte, Tratsch, Volksmärchen, Witze, Lieder, Rituale, Chiffren und Euphemismen“. Jesu Gleichnisse und Rätselworte passen perfekt in dieses Muster: Unter den Augen der Mächtigen spricht er über eine andere soziale Ordnung als die herrschende; und das in einer Form, die sich weitererzählen und verbreiten ließ, aber für die man nicht (oder nicht ohne Weiteres) verhaftet werden konnte.

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