Gott und die Geschlechter

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um eine enge oder weite Interpretation von Ehe und Familie taucht immer wieder der Verweis auf die biblischen Schöpfungserzählungen auf. Die Vertreter der engen Auslegung gehen davon aus, dass

  1. diese Texte vor allem präskriptiv zu lesen sind, also Ordnungen darstellen, die keine Variationen zulassen
  2. „Mann“ und „Frau“ komplementär aufeinander bezogen sind, also die Verschiedenheit der Geschlechter eine gegenseitige Ergänzung bewirkt
  3. diese Polarität ihren Ursprung im Wesen Gottes hat und echte Gottebenbildlichkeit erst in der Ehe erreicht ist, während sie in gleichgeschlechtlichen Beziehungen entstellt, verfehlt oder pervertiert wäre.

Walter Klaiber, der frühere Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche und theologisch sicher kein Radikaler, hält das in Schöpfung. Urgeschichte und Gegenwart für eine Überinterpretation von Genesis 1:

Damit ist nicht eine ursprünglich androgyne Gottesvorstellung vorausgesetzt und auch nicht die Gottebenbildlichkeit in der Beziehung von Mann und Frau angesiedelt. Wohl aber wird damit ausdrücklich festgestellt, dass alle Menschen an der Würde, der Vollmacht und der Verantwortung teilhaben. (S. 29)

Nicht die Unterschiedlichkeit, sondern gerade die Gleichheit von Mann und Frau stehen hier im Zentrum. Ganz ähnlich erkennt in Genesis 2 der Mensch („Adam“ ist ja ein Gattungsbegriff, kein Vorname) in der Frau die Gleiche und damit endlich das Gegenüber, das er unter all den anderen Lebewesen vergeblich gesucht hatte.

Ich habe schon verschiedentlich auf das großartige Kapitel in Miroslav Volfs Von der Ausgrenzung zur Umarmung: Versöhnendes Handeln als Ausdruck christlicher Identität verwiesen. Dort kommt Volf zum gleichen Schluss wie Klaiber, dass der Mensch seine Geschlechtlichkeit mit den (allermeisten)Tieren teilt, dass man sie aber nicht zurückprojizieren kann auf Gott selbst:

Wir benutzen maskuline und feminine Metaphern für Gott nicht, weil Gott männlich oder/und weiblich wäre, sondern weil Gott „persönlich“ ist. Von Personen kann man nur in geschlechtlicher Begrifflichkeit reden. Da Menschen, die einzigen personalen Wesen, die wir kennen, nur in der Dualität von Mann und Frau existieren, müssen wir von einem persönlichen Gott in maskulinen und femininen Metaphern reden. (S. 223)

Da Gott jenseits des Unterschiedes der Geschlechter steht, gibt es in Gott keine Entsprechung zum eigentümlich väterlichen Verhältnis, das ein Mann zu seinem Nachwuchs hat. Ein menschlicher Vater kann seine Verantwortung als Vater nicht von Gott ablesen. Was ein Vater von Gott lernen kann, das ist seine Verantwortung als Mensch, der zufällig ein Vater ist und daher eine besondere Beziehung zu seinen Söhnen und Töchtern hat, wie auch zu deren Mutter. Mann kann von Gott, dem Vater, nicht mehr darüber lernen, was es bedeutet, ein menschlicher Vater zu sein, als darüber, was es bedeutet, eine menschliche Mutter zu sein; umgekehrt kann man von Gott, der Mutter, nicht mehr über menschliches Muttersein lernen als man über Vatersein lernen könnte. Ob wir maskuline oder feminine Metaphern für Gott verwenden – Gott ist das Vorbild unseres gemeinsamen Menschseins, nicht unserer geschlechtlichen Eigenheiten. (S. 224)

… Die Ontologisierung der Geschlechtlichkeit wäre ein Bärendienst am Gottesbegriff wie am Verständnis von Geschlechtlichkeit. Nichts an Gott ist spezifisch weiblich; nichts an Gott ist spezifisch männlich; daher hat keine unserer Gottesvorstellungen eine Auswirkung auf Pflichten und Erfordernisse, die ein bestimmtes Geschlecht betreffen. Darin liegt meines Erachtens die Bedeutung der Tatsache, dass, wie Phyllis Bird gezeigt hat, Geschlechterunterscheidungen nach Genesis 1 keinen Bezug zum Ebenbild Gottes haben (Bird 1981; Bird 1991). Männer und Frauen haben Männlich- und Weiblichsein nicht mit Gott gemeinsam, sondern mit den Tieren. Gottes Ebenbild sind sie im gemeinsamen Menschsein. Daher sollten wir uns gegen jegliche Konstruktion einer Beziehung von Gott und Frausein oder Mannsein sperren, die ein Geschlecht bevorzugt, etwa indem sie behauptet, dass Männer aufgrund ihres Mannseins Gott besser abbilden als Frauen (mit LaCugna 1993, 94ff) oder dass Frauen, da von Natur aus beziehungsorientierter, dem Göttlichen als der Kraft von Verbundensein und Liebe näher stünden. (S. 227)

Zum Schluss der Blick ins Neue Testament: Das vollkommene Ebenbild Gottes ist Jesus von Nazareth (Kol 1,15), ein einzelner Mensch. Aber eben kein Ehepaar! Jesus ist zudem nicht der Prototyp wahrer Männlichkeit, sondern wahrer Menschlichkeit. Frauen haben also in der Imitatio Christi keinen Rückstand zu überwinden.

Sehr eindeutig ist die „Schöpfungsordnung“ übrigens im Blick auf die Ernährung, die war nämlich strikt vegan (vgl. Genesis 1,29-30). Fleisch kam erst nach dem Sündenfall und nach der Sintflut auf den Tisch – sonst hätten sich Noahs Passagiere nämlich gegenseitig verspeist (Genesis 9,3). All die Frommen, die gegen den Veggie-Day polemisiert haben, sollten also schleunigst Buße tun…

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