Der Gott, den wir lieber hätten

Wir sind dein Volk und meistens stört uns das nicht
außer, dass du in keine unserer Kategorien passt.

Ständig drängeln wir
und zerren
drehen hin
und her;
versuchen, dich dem Gott ähnlich zu machen, den wir lieber hätten.
Und jedesmal, wenn wir dich so verzerren
bleibt uns ein Götze, der eher uns ähnelt.

In unseren ehrlicheren Augenblicken der Trauer und des Schmerzes
sind wir sehr froh, dass du bist, wer du bist,
und dass du uns gegenüber in all deiner Freiheit der bist,
der du uns gegenüber gewesen bist

Sei also dein treues Selbst
und gerade durch dein treues Engagement in dieser leidenden Welt
verwandle die Welt, während auch du verändert wirst.

Das beten wir im Namen Jesu
der das Zeichen deiner leidenden Liebe ist.

 

aus: Awed to Heaven, Rooted in Earth: Prayers of Walter Brueggemann

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Aktive Hoffnung (3): Es beginnt mit Dankbarkeit

Wer meint, man könne Menschen durch Kosten-Nutzen-Rechnungen dazu bringen, ihre Gewohnheiten zu ändern und Rücksicht auf Mitmenschen und Mitgeschöpfe zu nehmen, der irrt vermutlich ebenso wie jemand, der stets mit allerlei Schreckensmeldungen aufrütteln will (oder wie jemand, der mit drastischen Botschaften über die Hölle müde Gemeinden für Mission mobilisieren möchte…?). Der Weg über die Dankbarkeit ist deutlich vielversprechender.

Dankbarkeit ist ein soziales Gefühl, sagen Macy und Johnstone. Sie macht uns anderen zugetan und wohlwollend. Je ausgeprägter jemand Dankbarkeit empfindet, desto eher wird er eine Gefälligkeit erwidern oder einem Fremden zu Hilfe kommen. Anders als der auf Gegenstände fixierte Materialismus führt Dankbarkeit als Beziehungsphänomen dazu, dass Menschen glücklicher und zufriedener sind. Während die Werbung ständig uns Unzufriedenheit einreden will, uns auf das fixiert, was wir (noch) nicht besitzen, um den Konsum in Schwung zu halten (mit all den fatalen Folgen für den Planeten), freut sich die Dankbarkeit an dem, was schon ist.

Dankbarkeit fällt uns nicht immer leicht, aber sie lässt sich einüben, auch wenn in manchen Lebenssituationen nicht alles nach Wunsch läuft. Dann ist sie umso wichtiger, denn Unrecht und Gewalt zerstören das Vertrauen und den Glauben an das Gute. Schön und für Christen völlig kompatibel (Hildegard von Bingen hätte ihre Freude daran gehabt) haben das die Haudenosaunee in ihrem Aufruf zum Umdenken ausgedrückt:

Uns ist gesagt, dass die ersten Menschen, die über die Erde gingen, mit allem ausgestattet waren, was sie zum Leben brauchten. Wir sind angewiesen worden, Liebe für einander zu hegen und allen Wesen auf dieser Erde große Achtung entgegenzubringen. Und wurde gezeigt, dass unser Leben mit dem Leben der Bäume zusammenhängt, dass unser Wohlergehen vom Wohlergehen der Vegetation abhängt, dass wir mit den Vierbeinern eng verwandt sind. In unseren Wegen ist das spirituelle Bewusstsein die höchste Form der Politik…

Wenn Menschen aufhören, all diesen Dingen mit Achtung und Dankbarkeit zu begegnen, dann wird alles Leben vernichtet und das menschliche Leben auf diesem Planeten wird zu Ende gehen.

Das Wort „Dankbarkeit“ bei den Indianerstämmen der Haudenosaunee hießt wörtlich übersetzt: „die Worte, die vor allen anderen kommen“. Sie bilden den Auftakt zu jeder ihrer Versammlungen. Darin steckt eine tiefe Weisheit: Dank stärkt das Bewusstsein des Eingebundenseins in ein großzügiges Geflecht des Teilens, das unser Leben trägt und ermöglicht. In der Welt des „Business as Usual“ hingegen befindet sich fast alles im Privatbesitz, und für alles, was uns nicht gehört, empfinden wir auch keine Verantwortung, weil wir für Zugehörigkeit nur diese Kategorien aus der Welt der Objekte haben.

Verstehen wir aber unsere Zugehörigkeit in diesem lebendigen globalen Ökosystem (für Theologen: dass wir durch die Zugehörigkeit zu Gott mit allem verbunden sind, was lebt und was Gott geschaffen hat und liebt), dann wächst der Wunsch, für die empfangenen Wohltaten etwas zurückzugeben. Nun lässt sich das insofern schwer umsetzen als der Sauerstoff, den wir atmen, von Pflanzen in die Atmosphäre gebracht wurde, die längst nicht mehr da sind. Hier sprechen die Autoren nun vom „giving forward“ – wir fangen an zu überlegen, was wir künftigen Generationen von Lebewesen auf diesem Globus Gutes hinterlassen können.

 

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Gute Bibelfragen

„Antworten auf alle Fragen findet du in Gottes Wort“, lautete ein Aufkleber, den in grauer Vorzeit Bekannte von mir auf ihren Bibeln spazierentrugen. Vermutlich habe auch sie inzwischen entdeckt, dass das so nicht stimmt. Es gibt viele Fragen, auf die die Bibel nicht antwortet: Wie wird das Wetter morgen? Warum hat Angela Merkel die Wahl gewonnen? Ist diese oder jene Person „die Richtige“ für mich? Muss man die Musik von Xavier Naidoo mögen?

Diese Woche las mein Sohn ein paar der verstörenderen Passagen aus dem Ersten Testament und wunderte sich über diese oder jene recht blutrünstige Episode. Passend dazu fand ich einen Post von Rob Bell, der anmerkt, dass man selten eine gute Antwort auf die Frage findet, warum Gott dieses oder jenes befahl (und in welches Licht das nun Gott rückt, wenn da hunderte oder tausende sterben müssen).

Wir kommen weiter, wenn wir fragen,

  • warum jemand es wichtig fand, eine solche Geschichte zu erzählen
  • was der Anlass war, sie aufzuschreiben
  • was sich in der damaligen Welt abspielte
  • was der Text über das Selbst- und Gottesbild derer aussagt, die ihn verfasst haben
  • was für eine Geschichte hier eigentlich erzählt wird

Wer sich dafür interessiert, wie solches Fragen sich auswirkt, für den spielt Bell das am Beispiel der Sintflut einmal durch.

Bible

(Bild: „Bible“ von Chris Zielecki via Flickr, creative commons 2.0)
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Aktive Hoffnung (2): Die Spirale umkehren

In den großen Abenteuergeschichten stehen die Helden in der Regel zu Beginn auf verlorenem Posten, schreiben Joanna Macy und Chris Johnstone in Active Hope: How to Face the Mess We’re in Without Going Crazy. Es ist eben das Eigenartige an der Hoffnung, dass sie nicht primär mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet, sondern von der tiefen Sehnsucht nach einem guten Ausgang lebt. Und dass sie aus dieser Sehnsucht eine immense Kraft schöpft.

Um der ökologischen und mentalen Abwärtsspirale etwas entgegenzusetzen, ist es nicht genug, mit Problemanalysen zu arbeiten. Der Ausgangspunkt für ein hoffnungsvolles Engagement muss vielmehr

  1. die Dankbarkeit sein: Für die Schönheit unserer Welt, für das Geschenk des Lebens, für alles Geben und Nehmen. Von der Freude führt die Bewegung dazu,
  2. den Schmerz über die Zerstörung zu seinem Recht kommen zu lassen, der häufig unterdrückt oder ignoriert wird. Aber nur der wirklich angenommene Schmerz sensibilisiert für Gefahren und offenbart das vorhandene Mitgefühl – in beidem drückt sich unsere Verbundenheit mit den Mitgeschöpfen aus. Diese Verbundenheit ermöglicht
  3. neue Sichtweisen einer im innersten tief verbundenen Welt, und wir finden Ansporn und Ansätze dazu in den Wissenschaften, in den spirituellen Traditionen und in unsrer Vorstellungskraft. Neue Perspektiven helfen, neue Möglichkeiten zu entdecken. Und von denen gilt es, dann auch
  4. entschlossen Gebrauch zu machen und das in konkrete Ziele und Schritte zu fassen und einen eigenen, konstruktiven Beitrag zu den nötigen Transformationsprozessen in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zu leisten.

Jedes der vier Elemente dieser Spirale stärkt unsere Verbundenheit mit unserer Welt und macht es möglich, daraus Kraft und Mut zu schöpfen. Es ist also kein bloßer Aktivismus, sondern auch ein Gewinn an Resilienz.

Christen – das ist jetzt meine Ergänzung – können sich hier wunderbar daran erinnern, dass Gottes Geist einerseits die lebensspendende Kraft der Schöpfung und Neuschöpfung ist, und zugleich das verbindende Element – nicht nur in der Trinitätslehre zwischen Vater und Sohn, sondern auch zwischen Schöpfer und Geschöpfen wie auch der Geschöpfe (und zwar aller Geschöpfe!) untereinander. Tiefenökologie und christliche Pneumatologie lassen sich also ähnlich gut in Beziehung setzen wie das auf dem Gebiet der Eschatologie funktioniert.

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Denk-würdiger Feiertag

Protestanten haben sich in der Regel mit ihrem Minderheitenstatus irgendwie abgefunden – innerhalb der Weltchristenheit gegenüber den Katholiken und Pfingstlern (die würde ich als einen neuen, postprotestantischen Typ Kirche bezeichnen), innerhalb westlicher Gesellschaften gegenüber den religiös Desinteressierten, Atheisten und Agnostikern.

Einmal im Jahr jedoch, am Reformationstag, zeigen ein paar von ihnen in Luthers Namen der Welt den Stinkefinger, werfen mit Luther-Kamellen um sich, singen inbrünstig Ein Feste Burg und beklagen wahlweise die Überfremdung durch Halloween oder die Geschichtsvergessenheit der Zeit. Allerdings erfolgt dieser Aufstand, zumindest wenn man die plakativeren Parolen ernst nimmt, eben im Namen der eigenen Konfession, Institution und Tradition, deren Profil man zu diesem Anlass möglichst pointiert herauskehrt.

In dieser Hinsicht hinkt der Reformationstag als kirchlicher Feiertag anderen Festen hinterher: ihm fehlt der Bezug zur biblischen Heilsgeschichte. Es sei denn – das wäre die schlimmere Vorstellung – man sähe Luther und die Reformation als deren integralen Bestandteil an und wollte Gott so konfessionell vereinnahmen.

Freilich gibt es auch eine ganze Reihe guter Absichten und nützlicher in den unterschiedlichen Wortmeldungen zum 31. Oktober. Oder nette Ideen, zum Beispiel #95tweets. In und um Twittenberg machen andere mehr oder weniger augenzwinkernd Anleihen bei Luthers grober Polemik gegen Andersdenkende, frei nach dem Motto „hier schmähe ich, ich kann nicht anders“. Aber braucht man dafür einen Feiertag?

Am Wochenende fiel mir eine Broschüre des Erzbistums Bamberg in die Hände. Dort feiert man in diesem Jahr das „Jahr des Glaubens“. Ich war neugierig, welche Wege der Glaubensvermittlung und -vergewisserung dort angeboten würden. Und stellte etwas enttäuscht fest, dass sich alles um die örtlichen Schutzheiligen Heinrich, Kunigunde und Sebald drehte (das ist ein Jahrtausend her) und sich an ehrwürdigen Kirchenbauten festmachte, die ihnen gewidmet waren. Indem man auf die Vergangenheit verweist, verstärkt man aber zugleich auch den verbreiteten Eindruck, Glaube sei etwas Rückwärtsgewandtes, ein Relikt aus dem Mittelalter.

Die Reformation ist zwar nur ein halbes Jahrtausend her, der Blickwinkel auf den Gründungsheiligen und dessen inzwischen doch auch erklärungsbedürftige Thesen ist grundsätzlich derselbe wie bei den Katholiken in Bamberg. Ironie der Geschichte? Gewiss: Erinnerung schadet nicht. Zukunftsfähige Identität und ein robustes Selbstbewusstsein lässt sich aus ihr allein aber nicht gewinnen.

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