Vom Post- zum Postpost-?

In so ziemlich jeder Gruppe, die sich neu mit dem Stichwort “Postmoderne” befasst, fällt irgendwann mal der Satz: “Die Postmoderne ist ja schon vorbei, wir haben längst die Post-Postmoderne”.

Hin und wieder, befürchte ich, ist das der Versuch, eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Postmoderne zu umgehen, indem man es zur Eintagsfliege erklärt und hofft, die Sache aussitzen zu können, um dann weiterzumachen wie bisher. Was aber, wenn zwei “post” einander nicht aufheben? Wird das Zähneknirschen in dem Moment, wo man den Kopf aus dem Sand zieht, dann nicht um so größer?

Logisch ist das Problem ja dieses: Postmoderne sagt nur aus, was nicht mehr ist. Der Mythos der Moderne wurde gerade nicht durch ein neues System ersetzt. Insofern wäre auch “postpost” nur “post”. Und wo es das nicht ist, wäre es einfach nur die bruchlose Fortführung der Moderne. Die gibt es natürlich in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, und das wird auf absehbare Zeit auch noch so bleiben. Die Frage ist nur, ob von da noch Antworten zu erwarten sind auf die globalen wie auch die spirituellen und kirchlichen Krisen unserer Zeit.

Tatsächlich gibt es unterschiedliche Postmodernismen, die durchaus miteinander konkurrieren können. Die erste Welle, Dekonstruktion etwa, ist vielleicht schon am Auslaufen. Bei Tim Keel Intuitive Leadership: Embracing a Paradigm of Narrative, Metaphor, and Chaos habe ich heute ein Zitat gelesen von Walter Truett Anderson, Präsident der US-Zweigs der World Academy of Art an Science, der in The Truth about the Truth: De-confusing and Re-constructing the Postmodern World darauf anspielt:

Viele Menschen hoffen inbrünstig, dass der Postmodernismus – was immer sie darunter verstehen – vorbei geht. Und viele werden diesen Wunsch erfüllt bekommen: Stilformen ändern sich natürlich. (…) Postmodernismen werden kommen und gehen, aber die Postmoderne – der postmoderne Zustand – wird immer noch da sein. (…) Und obwohl er verschiedene Leute völlig unterschiedlich berührt, betrifft er doch uns alle. Wir alle entwickeln uns weg von der Sicherheit unserer Stämme, Traditionen, Religionen und Weltbildern hin zu einer globalen Zivilisation, deren Pluralismus uns blendet und überwältigt.

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(Post-)Charismatische Woche

Hasos Workshop „Postcharismatik“ auf dem Emergent Forum war (obwohl ich den letzten Teil verpasst habe) eine sehr anregende Sache. Die meisten Gesprächsteilnehmer hatten in der Vergangenheit überwiegend positive Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung gemacht. Und doch war im Laufe der Zeit immer deutlicher geworden, dass an manchen Stellen eine gewisse Ernüchterung eingetreten war: Einiges „funktionierte“ nicht mehr wie früher, anderes schien zu fehlen – besonders im Hinblick auf eine ganzheitliche und erfüllte Spiritualität, die uns dauerhaft weiterbringt, und auf gesellschaftliche Relevanz der Sprache und Gottesdienstformen. Viele waren der ständig neuen Wellen und der chronisch vollmundigen Verheißungen überdrüssig geworden. Fast alle hatten Freunde und Bekannte, die an den Parolen und Vorbildern verzweifelt waren. Den Hunger nach Gott und die Sehnsucht nach einem Leben mit mehr Kraft und Tiefgang dagegen hatten die wenigsten aufgegeben.

Wie bewahrt man nun auf dem weiteren Weg in der Nachfolge Christi das Gute der charismatisch-pfingstlichen Bewegung, die ja immerhin der wohl dynamischste Teil der Weltchristenheit ist? Natürlich ist sie nicht frei von Fehlern und problematischen Seiten – aber das kann man von den anderen Flügeln der Weltkirche auch nicht behaupten. Im Unterschied zu den verbürgerlichten reformatorischen Kirchen erreichen Pfingstler gerade die armen und einfachen Leute. Johannes Reimer erzählte in einem persönlichen Gespräch am Rande vom explosiven Wachstum der Pentecostales in Lateinamerika. Und Haso wies auf die Mitwirkung großer Pfingstgemeinden bei der Überwindung der Rassentrennung in Südafrika hin. Und in der Ursprungszeit der Pfingstbewegung waren Frauen und Männer, Arme und Reiche, Schwarze und Weiße tatsächlich eins. Für mich das deutlichste Zeichen, dass hier der Geist Gottes am Werk gewesen sein muss und es noch ist.

Die charismatische Bewegung in den westlichen Ländern hat diese Radikalität nicht so oft erreicht. Und während es durchaus in Ordnung ist, einem Armen irgendwo auf der Welt zu sagen, dass Armut nicht der Wille Gottes ist, so hat das umstrittene Wohlstandsevangelium im Kontext mancher (aber bei Weitem nicht aller!) charismatischen Vorstadtgemeinden das Evangelium problematische Züge angenommen. Mit der (hin und wieder auch kommerzialisierten) Betonung auf Heilung und Wohlbefinden wurden manche Richtungen fast zum christlichen Pendant der Esoterik und Wellness-Bewegung. Aber vielleicht lässt sich das ja ergänzen durch einen ebenso intensiven Einsatz für Diakonie und soziale Gerechtigkeit.

Die letzten Tage habe ich dann mit einigen Leitern aus dem bunten charismatischen Spektrum zugebracht und mich an der Vielfalt, Lebendigkeit und Offenheit gefreut, die mir dort entgegen kam. Natürlich gibt es auch mehr oder weniger große theologische und kulturelle Differenzen, aber überall war der Wille erkennbar, unterschiedliche Positionen nicht als Trennungsgrund zu betrachten, sondern die Unterschiede stehen zu lassen und einander so gut es geht zuzuhören. Viele machen an ihrem Ort und auf ihre Weise Schritte in ihr gesellschaftliches Umfeld hinein und erleben dabei gute und ermutigende Dinge.

Für mich waren die Gespräche sehr wertvoll, weil ich dort ein aufrichtiges und leidenschaftliches Suchen nach Gott und seinen Wegen gefunden habe und die Bereitschaft, sich dafür ganz einzusetzen. Und es gibt viele Parallelen zur Emerging Church, vielleicht weniger in den Formen als vielmehr in den Haltungen: Viele sind anfangs auch als Bilderstürmer und lästige Rebellen behandelt worden, jede(r) kann von Fehlern und Irrwegen berichten, die sie oder er im Lauf der Jahre gemacht und – oft mit Hilfe von Mentoren oder treuen Betern – auch wieder hinter sich gelassen hat. Und wir sprachen auch von Erfolgen und Rückschlägen und der immer noch vorhandenen Sehnsucht nach einem erfüllten geistlichen Leben, wachsenden Gemeinden und einer echten Transformation der Gesellschaft, die sich nicht allein auf guten Willen und menschliche Anstrengung, sondern auf den Geist Gottes gründet.

Jetzt im ICE nach Erlangen bereite ich den vorletzten Abend des Alpha-Kurses vor: Heilt Gott heute noch? Ich lese in Nicky Gumbels Skript eine ganze Reihe kleiner und größerer Heilungsgeschichten und bin neu motiviert, für Kranke zu beten, auch wenn meine eigenen Erfahrungen noch deutlich bescheidener ausfallen. Andererseits fragen immer mal wieder Leute, ob es Alpha auch „weniger charismatisch“ gibt. Ich würde sagen: In der Form vielleicht schon, in der Sache aber wäre das ein schwerer Verlust.

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Spruch der Woche

Aber im Allgemeinen könne man sagen, dass die Schönheit der Welt in der christlichen Tradition fast keinen Platz habe. Das ist befremdend. Die Ursache schwer verständlich Es ist eine furchtbare Lücke.

Simone Weil (Danke an Reiner für den Tipp)

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Minze und Dill

Nicht unbedingt meine Lieblingszutaten im Essen, aber es geht auch nicht um Kochrezepte, sondern um einen Ausspruch Jesu, mit dem er gegen eine Art Glauben protestiert, der bei Kleinigkeiten im Nahbereich pingelig ist und dabei fundamentale Schieflagen und Absurditäten im weiteren Zusammenhang unseres Lebens toleriert. Alibi-Aktionen, mittels derer wir uns um das Eigentliche drücken:

Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. (Matthäus 23,23)

Ich habe mich gefragt, wie das heute klingen würde. Ein paar Dinge sind mir dazu eingefallen:

  • Ihr spendet an eure christlichen Einrichtungen – und wählt Politiker, die armen Ländern die Entwicklungshilfe kürzen
  • Ihr protestiert gegen Abtreibungskliniken – und feiert Soldaten als „Helden“, die den Ölnachschub gewaltsam sichern und massive „Kollateralschäden“ in Kauf nehmen
  • Ihr werft kein Stück altes Brot weg – und fahrt jeden noch so kurzen Weg mit eurem spritfressenden Autos, die nicht nur die Atmosphäre aufheizen, sondern auch die Nachfrage nach Biosprit steigern und riesige Flächen von Regenwald vernichten

Die Reihe lässt sich in den Kommentaren fortsetzen, hoffentlich ohne dabei aus „Minze und Dill“ plötzlich das Spiel „Splitter und Balken“ werden zu lassen. Es geht ja nicht darum, selbstgerecht eine gute Sache gegen eine andere auszuspielen – das eine tun, ohne das andere zu lassen, sagt Jesus. Wie wäre zum Beispiel dieser Satzanfang: Ihr trinkt fair gehandelten Kaffee – und …

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