Kürzlich hatte ich mit einem Freund beim Kaffee ein interessantes Gespräch über die Beobachtung von D.G. Dunn im Anschluss an Ernst Käsemann, dass es eine Vielfalt neutestamentlicher Theologien gibt, die sich nicht auf einen Nenner bringen lassen. Jede Auslegungstradition hat ihren eigenen Kanon im Kanon: Die Katholiken die Pastoralbriefe, die Orthodoxen die johanneischen Schriften, Evangelische die frühen Briefe des Paulus, Pfingstler und Charismatiker die Apostelgeschichte, postmodern-sensible Denker und Praktiker (und da schließe ich mich ein) favorisieren das Lukasevangelium und (mit Bonhoeffer, Dallas Willard und Franz von Assisi) die Bergpredigt.
Es ist auch gar nichts falsch daran. Die (Lehr-) Einheit der ersten Christen ist eine historische Fiktion. So gesehen lässt sich auch die Frage nach der wahren Kirche über die reine Lehre nur so lösen, dass man sich ständig weiter spaltet, weil schon die Ausgangspunkte nicht ganz kompatibel sind. Ab einem gewissen Punkt wird das dann reichlich absurd.
Aber man könnte die Vielfalt eben auch als Stärke sehen, das eigene Repertoire erweitern statt auf Reinheitsgrade zu pochen, andere Standpunkte kennen und schätzen lernen und schließlich die Dinge aus der eigenen Tradition in die Mottenkiste packen, die im heutigen kulturellen Umfeld nicht mehr vermittelbar sind. Dazu freilich wäre eine Portion Sekundärschicht-Bewusstsein nötig, um es mal mit Ken Wilber zu sagen. Aber unmöglich ist es nicht.
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