Viel-zu-Vielfalt?

Kürzlich hatte ich mit einem Freund beim Kaffee ein interessantes Gespräch über die Beobachtung von D.G. Dunn im Anschluss an Ernst Käsemann, dass es eine Vielfalt neutestamentlicher Theologien gibt, die sich nicht auf einen Nenner bringen lassen. Jede Auslegungstradition hat ihren eigenen Kanon im Kanon: Die Katholiken die Pastoralbriefe, die Orthodoxen die johanneischen Schriften, Evangelische die frühen Briefe des Paulus, Pfingstler und Charismatiker die Apostelgeschichte, postmodern-sensible Denker und Praktiker (und da schließe ich mich ein) favorisieren das Lukasevangelium und (mit Bonhoeffer, Dallas Willard und Franz von Assisi) die Bergpredigt.

Es ist auch gar nichts falsch daran. Die (Lehr-) Einheit der ersten Christen ist eine historische Fiktion. So gesehen lässt sich auch die Frage nach der wahren Kirche über die reine Lehre nur so lösen, dass man sich ständig weiter spaltet, weil schon die Ausgangspunkte nicht ganz kompatibel sind. Ab einem gewissen Punkt wird das dann reichlich absurd.

Aber man könnte die Vielfalt eben auch als Stärke sehen, das eigene Repertoire erweitern statt auf Reinheitsgrade zu pochen, andere Standpunkte kennen und schätzen lernen und schließlich die Dinge aus der eigenen Tradition in die Mottenkiste packen, die im heutigen kulturellen Umfeld nicht mehr vermittelbar sind. Dazu freilich wäre eine Portion Sekundärschicht-Bewusstsein nötig, um es mal mit Ken Wilber zu sagen. Aber unmöglich ist es nicht.


“Unity and Diversity in the New Testament: An Inquiry Into the Character of Earliest Christianity” (James D. G. Dunn)

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Schotten dicht?

Spiegel Online berichtet – mal wieder – von einem Gerichtsurteil zum Thema Schulpflicht. Ohne hier auf irgendwelche Details einzugehen, die vielleicht auch überzeichnet sind, eines fällt doch auf: Es scheinen immer religiöse Motive zu sein, die Eltern zweifeln lassen, ob ihre Kinder an staatlichen Schulen gut aufgehoben sind. Umgekehrt kann man auch begründete Zweifel daran haben, ob Kinder bei streng religiösen Eltern gut aufgehoben sind, die sie von der Umgebung abschotten, um sie vor allen möglichen Dingen zu beschützen.

Einmal ganz abgesehen von konkreten Missständen an dieser oder jener Schule (es gibt ja auch ganz reguläre Bekenntnisschulen) ist die Flucht aus der Vielfalt der Meinungen (oder vor dominierenden Ansichten, die man nicht teilt) der wesentliche Grund dieser rechtlich wie sachlich aussichtslosen Manöver: Wahrheit vermittelt nur die eigene, vertraute Tradition, alles andere ist zwangsläufig Verführung. Für viele Kinder wird diese Wahrheit dann aber doch irgendwann einmal brüchig, und dann ist der Zusammenbruch um so heftiger. Oder anders gesagt: Irgendwann kommt das Gewächs aus dem Glashaus ins Freiland, aber den Temperaturschock verträgt nicht jede Pflanze.

Aber es ist eben nicht alles richtig hier drinnen und draußen nicht alles falsch. Bei John Caputo habe ich zum Thema der Vielfalt, Vorläufigkeit und Kontingenz unserer Standpunkte heute gelesen:

… ich behaupte, dass niemand die Wahrheit weiß, nicht in einer epistemologisch unerschütterlichen Weise, obwohl wir alle unsere verschiedenerlei Glauben haben (und haben müssen).

… die darauf beharren, den Weg zu wissen, haben ihr Leben programmiert, auf Autopilot geschaltet. Sie sind Wissende (Gnostiker), die sich aus dem Spiel ausgeklinkt haben. Sie sind wie abenteuerlustige Urlauber auf dem Weg ins Unbekannte – aber nicht ohne einen klimatisierten, allradgetriebenen Hummer, einen erfahrenen Führer und Reservierungen im 5-Sterne-Hotel. Selbst wenn wir uns an ein Satellitensystem anschließen könnten, das unsere Reisen um den physischen Globus lenkt, wäre der Erdball für radikale spirituelle Wanderer wie uns immer noch ein Staubkorn in einem unendlichen Universum, und wir fragen uns, wohin all das geht.

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