Eine der neuen Erfahrungen meines Vikariats ist das strikte Predigen nach der Perikopenordnung. Die Frage ist für mich nicht, welchen Text ich predige, sondern nur noch wie. Über Vor und Nachteile dieser Regelung ließe sich so Manches sagen, aber als Übung ist es eine feine Sache. Zumal die aktuelle Epistelreihe etliche Stücke enthält, die ich selbst nie ausgewählt hätte, weil sie oft recht spröde und unanschaulich ausfallen. Aber selbst dann stellen sich unerwartete Entdeckungen ein, wie ich inzwischen mehrfach erlebt habe.
Case in Point: 1.Thess 4,1-8 vom 20. Sonntag nach Trinitatis. Der Autor einer Predigthilfe kam zu folgender Überzeugung:
Der Text erreicht mich sowohl als Prediger wie als Christ weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick.
Und etwas weiter unten heißt es:
Spätestens an dieser Stelle war mir klar, dass man diesen Text nicht predigen kann.
Was der Autor nicht vorhersehen konnte: Manchmal liefert einem ja die Tagespresse den Resonanzboden frei Haus. Diesmal in Form von Donald Trumps Skandalinterview aus dem Jahr 2005, das am nämlichen Wochenende die Schlagzeilen beherrschte. Damit, dass er seine Geschäftspartner über den Tisch zieht, prahlt er ja schon, seit er „The Art of the Deal“ hat schreiben lassen. Eigentlich könnte man die Predigt nun so nennen:
Was würde Paulus zu Donald Trump sagen?
Freilich wäre Trump selber relativ uninteressant. Er sitzt ja nicht vor mir. Wahrscheinlich habe ich auch nicht viele seiner Sympathisanten in den Kirchenbänken sitzen. Aber wir haben eine gesellschaftliche Debatte über Sexismus, auf die sich Bezug nehmen ließe, wir können über gerechte und ungerechte Geschäftspraktiken und Handelsbeziehungen reden und wir können fragen, was ein achtsamer und empathischer (oder in biblischer Sprache: ein barmherziger) Umgang miteinander in einer Partnerschaft und im Wirtschaftsleben für einen Gewinn und Fortschritt bedeuten würde. In jedem Fall wäre klar, wie aktuell und brisant die Themen sind, die Paulus hier anreißt.
Wer es noch etwas zeitloser und philosophischer möchte, kann über Martin Bubers Unterscheidung von Ich/Du und Ich/Es als Grundmodus des Umgangs mit anderen sprechen. In welche Richtung Paulus uns weist, liegt auf der Hand.
Aktuelles und Grundsätzliches, in ein paar Zeilen verdichtet, an ein paar kurzen Beispielen verdeutlicht – kann man sich als Prediger eigentlich mehr wünschen?