Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus verschwanden nicht nur eine Reihe diktatorischer Systeme von der Weltkarte, sondern nach und nach auch die soziale Marktwirtschaft mit ihrer breiten Mittelschicht, deren Wohlstand seit dem Zweiten Weltkrieg auch dadurch gewachsen war, dass der Staat Spitzenverdiener stark besteuerte. Margaret Thatcher und Ronald Reagan hatten schon eine Weile an der Aushöhlung dieses Systems gearbeitet, aber mit dem endgültigen Ende der Bedrohung durch eine sozialistische Revolution fiel auch der letzte Grund für die Plutokraten weg, an diesem gesellschaftlichen Kompromiss festzuhalten.
Wer also das Jahr 1989 als das Jahr der Befreiung feiert, sollte immer auch daran denken, dass dies zugleich die Geburtsstunde der wachsenden Kluft zwischen den Superreichen und dem Rest der Gesellschaft war, die dem globalen Club der Milliardäre massiven Auftrieb bescherte, und zwar nicht nur durch die russischen Oligarchen, sondern auch die kaum noch ernsthaft besteuerten Topverdiener im Westen.
Chrystia Freeland zeigt in Plutocrats. The Rise of the New Global Super-Rich and the Fall of Everyone Else, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland, Schweden oder Neuseeland in den letzten beiden Jahrzehnten schneller wuchs als in den USA. Dort wanderten drei Viertel des Ertrags vom Wirtschaftswachstum der Jahre 2002 bis 2006 in die Taschen des einen Prozents der Spitzenverdiener. Noch schärfer fiel der Kontrast nach der letzten Finanzkrise aus: Die wirtschaftliche Erholung der Jahre 2009 und 2010 kam zu 93% dem einen Prozent der Reichsten zu Gute, erschütternde 37% entfielen auf die 0,1% der Superreichen. Freeland spricht von der „neuen virtuellen Nation des Mammon“, die schwarz-gelbe Regierungskoalition bevorzugt in der Regel den Terminus „Leistungsträger“, bezeichnenderweise wird die CDU auch von Großspendern bevorzugt.
Der prominente Historiker Hans-Ulrich Wehler nennt derweil auf SPON folgende Zahlen:
Bis etwa 1989 zahlten die 30 Dax-Unternehmen den Vorständen 500.000 D-Mark Jahresgehalt. Im Vergleich zum Einkommen ihrer Arbeitnehmer war das ein Verhältnis von 20 zu 1. 2010 beträgt dieses Einkommen sechs Millionen Euro. Und das Verhältnis zum Einkommen der Arbeitnehmer beträgt, man mag es kaum glauben, 200 zu 1.
Wäre es nicht viel ehrlicher, wenn wir am 3. Oktober nicht nur den Sieg der Demokratie feierten, sondern auch deren Bedrohung durch die Plutokratie betrauerten und ernsthaft über Wege zu einer gerechteren Welt diskutierten? Die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Ost und West sind ja doch vergleichsweise gering im Vergleich zu der gigantischen Kluft, die sich hier auftut. So lange die erwirtschafteten Zuwächse überwiegend an der Spitze der Einkommenspyramide verteilt werden, fehlen dem Staat ja auch die Spielräume, um andere Lücken zu schließen.
Freeland zitiert aus einem Roman von Scott Turow: „Jeder, der noch dabei war, sich dafür auf die Schulter zu klopfen, dass die Roten in die Tonne gewandert sind, wird sich fragen, wer da eigentlich gewonnen hat, wenn Coca-Cola sich um einen Sitz bei den Vereinten Nationen bewirbt.“
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Im Rückblick wird klar, dass wir der Arbeiterbewegung (deren letzter Ausläufer der Kommunismus war) die Zähmung des Monsters für eine begrenzte Zeit verdanken.