In den letzten Jahren gab es immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen über die Interpretation des Kreuzestodes Jesu. Einzelne soteriologische Konstrukte standen dabei in der Kritik, besonders der Gedanke des Sühnopfers und der Satisfaktion. Für die einen steht und fällt der Glaube mit diesen Vorstellungen, für die anderen sind sie unerträglich.
Theodore W. Jennings hat mit Transforming Atonement. A Political Theology of the Cross ein paar interessante Gedanken ins Spiel gebracht: Die gängigen Metaphern, die das Kreuz erklärten, sind aus seiner Sicht ungemein erfolgreich gewesen. So erfolgreich, dass sie den Zusammenhang, aus dem sie ursprünglich stammen, fast völlig gesprengt und aufgelöst haben.
Der Opfergedanke, für Juden und Griechen im ersten Jahrhundert noch ein alltägliches Erlebnis, wird etwa im Hebräerbrief herangezogen. Obwohl Jesus nach einem politischen Prozess exekutiert wurde, wird sein Tod als „Opfer“ verstanden. Zugleich wird deutlich, dass dieses eine Opfer das Verhältnis von Gott und Menschheit ein für allemal verändert. In der Folgezeit hat die Ausbreitung des Christentums, indem es keine blutigen Opfer mehr zuließ, dafür gesorgt, dass uns dieser Gedanke inzwischen völlig fremd geworden ist. Unglücklicherweise strotzen unsere alten (und leider auch viele der neuen) Kirchenlieder von eben dieser Begrifflichkeit.
Der Gedanke vom Triumph Gottes über die dämonischen Mächte, der in der alten Kirche eine große Rolle spielte und auf den Dualismus persisch-parthischer Herkunft anspielt, wo gute und böse Gottheiten sich einen Krieg lieferten, ist inzwischen weithin aus unserem alltäglichen Weltbild verschwunden, und von Teufel und Dämonen ist (außerhalb gewisser frommer Subkulturen) heute nur noch in dem Sinne die Rede, dass sie entmachtet sind. Den alten Dualismus (den es bei Marcion und den Manichäern noch gab) kennt heute kaum noch jemand.
Und von Satisfaktion (Anselm von Canterburys genialem Entwurf fürs feudale Hochmittelalter reden wir heute kaum mehr, weil nicht zuletzt das Christentum den Ehrbegriff und das Fehdewesen von damals effektiv überwunden hat. Heutige Versuche, Sünde als todeswürdige Majestätsbeleidigung darzustellen, lösen bei unseren Zeitgenossen verständlicherweise nur Kopfschütteln und Empörung aus.
Diese Modelle hatten ihre Zeit und ihren Sinn. Aber sie ist vorbei und kommt nicht mehr zurück. Sie haben ihren geschichtlichen Wert, aber kaum noch einen aktuellen. Und sie sind nicht „die Wahrheit“, sondern Modelle. Bei einem Modell kommt es darauf an, dass es wirkungsvoll erhellt, was es erklären soll. Wenn das nicht mehr gelingt, muss man (wie Anselm) neue Modelle finden. Der Streit um ihre Wahrheit (oder ob das „biblisch“ ist) ist also irrelevant, es geht vielmehr um die Zweckmäßigkeit solcher Bilder und Vergleiche.
Jennings weist auch noch darauf hin, dass diese Modelle eine gemeinsame Schwäche hatten, weil sie der Tendenz der altkirchlichen Theologie folgten, das Ereignis des Kreuzes vom Leben und der Verkündigung Jesu wie auch von den konkreten Umständen seines Todes durch das Urteil des römischen Statthalters und die Hand seiner Schergen immer mehr abzukoppeln. Das Kreuz wurde – ob bewusst oder nicht – damit auch entpolitisiert.
Wenn wir also heute fragen, warum Jesus so starb, wie er starb, und wozu das gut sein könnte, dann müssen wir das Kreuz wieder in den weiteren Zusammenhang der Evangelien stellen – und darüber hinaus danach fragen, welche Folgen dieser Weg Jesu für seine Nachfolger haben sollte (bei Jennings habe ich leider keinen Hinweis auf Tom Wright gefunden, der ja viel in dieser Richtung gearbeitet hat).
Eine schöne theologische Aufgabenstellung für die Passionszeit, finde ich.
Nach so einer kurzen Übersicht über verschiedene Kreuzestodinterpretationen hab ich schon lange gesucht, sie bietet außerdem Anreiz zum Weiterdenken. Das ist nämlich für mich ein Thema von unglaublicher Schwierigkeit und von unglaublicher Relevanz, geht es doch um das zentrale Thema des Christentums.
Gibt es dann am Ostersonntag eine Auflösung? Oder zumindest einen möglichen Antwortversuch von dir? Weil Fragenstellen ist ja nur ein Anfang 🙂
@Paul: Die Antworten liefert Jennings natürlich auch. Ich hoffe, ich komme noch dazu, etwas zu posten.
Meine eigenen, allgemeinverständlich gehaltenen Versuche findest Du in „Kaum zu Fassen“ (Link rechts in der Seitenleiste).
Danke für den Artikel. Ich halte es für ziemlich zentral, hier zu aktuell verstehbaren Modellen zu kommen. Mit der Satisfaktionslehre hatt ich schon lange ein Problem, fand damals aber hier nen guten Text:
http://therebelgod.com/cross_intro.shtml
Freilich kann es sein, daß auch dieses Modell (Christus Victor) wegen der vorkommenden Dämonen heute nicht mehr für alle nachvollziehbar ist. Aber damit kriegt Gott wenigstens ein „menschliches“ Antlitz, sprich: Er ist nicht so maschinell-stur zornig, bis er Blut sieht, wessen Blut auch immer.
Danke für die aufschlussreiche Zusammenfassung der „Modelle“. Sehr hilfreich.
Eine rein politische Auslegung des Kreuzestodes wäre mir zuwenig und zu eindimensional, da politisch tendenziöse Interpretationen in der Vergangenheit immer neue Gräben zwischen Glaubenden aufgerissen und selten gute Brücken gebaut haben, geschweige denn dem spirituellen inneren Hunger nach Versöhnung gedeckt haben. Aber Jennings Buchankündigung bei Amazon verspricht wohl mehr als reine „Polittheologie“:
„…. shows how the cross bears on overcoming of human division and sin, reconciliation to God, and new forms of social reality in the community of the crucified.“ – „zeigt wie das Kreuz die menschliche Entfremdung und Sünde überwindet, mit Gott versöhnt und neue Formen sozialer (mitmenschlicher/ gesellschaftlicher) Realitäten in der Gemeinschaftsbewegung um den Gekreuzigten hervorbringt.“ Ich bin neugierig geworden.
@Martin: „Politisch“ ist bei Jennings nicht im Sinne von Tages- und Parteipolitik zu verstehen, sondern darin, dass er die realen Machtverhältnisse damals wie heute in den Blick nimmt, die in der klassischen Theologie oft ausgeblendet wurden. Immerhin wurde Jesus ja wegen Hochverrats verurteilt. Aber die Frage, wie in diesem Tod Gott und Menschheit zusammenkommen, beantwortet er aus meiner Sicht wirklich gut.
@Bundesbedenkenträger: Das war Aulens Lösung, ich fand den Ansatz auch schon interessant für einen Lutheraner. Heute ist der für manche Christen hilfreich, sonst aber ähnlich schwer zu vermitteln wie die anderen. Bietet aber, da stimme ich voll zu, ein freundlicheres Gottesbild als das des Jähzornigen, was manche kennengelernt haben.
Tut mir leid, aber ich bin wohl zu blöd, um deinen „Kaum zu fassen“-Link zu finden 🙁
@ Paul
In der Leiste rechts neben dem Text gibt’s eine Rubrik „Was ich noch mache“.
Da drin auf das zweite Buchcover klicken.
Ist kein Link, ist ein Buch, zu finden unter „was ich noch mache“
@Alle: Sorry, das war zu ungenau: Einfach hier klicken
Ach, du hast das Buch gemeint, da wundere ich nicht mehr, dass meine Textsuche nichts finden 🙂
Danke für den Hinweis!
Was aber sollen wir mit biblischen Texte anfangen, die den Opfergedanken explizit zum Thema machen? Der für Karfreitag vorgeschlagene Predigttext aus Hebräer 9 bereitet mir schon jetzt Kopfzerbrechen…. Trotzdem Danke – das Thema ist super-spannend!
Predigttext ist Hebr 9, 15.26b-28? Nun ich meine, in den ausgelassenen Versen hat man schon so etwas wie die Antwort: Der Leitgedanke ist, daß jemand sterben muß, um ein Testament zu vollstrecken, bzw ein Bund Blut erfordert (hab ich das jetzt richtig verstanden?). Ich gehe einmal davon aus, daß diejenigen Leute, die das Opfermodell ablehnen ebenso das Bund nur mit Blut Modell ablehnen. Man muß also in der Predigt das ganze Modell in die Jetztzeit übersetzen. Womöglich ist der Märtyrergedanke hilfreich, also jemand, der sich für andere opfert (da haben wir doch wieder Opfer). Wenn Jesus seine Botschaft konsequent gelebt hat, hat ihn das erstens in Konflikt mit der Obrigkeit gebracht und zweitens konnte er diesem Konflikt aufgrund seiner Botschaft nicht mit Gewalt begegen, sondern nur mit Passivität, mit Passion, mit dem Kreuz. So war er stärker als alle anderen, hat sie besiegt, und stand am Ende einfach wieder auf (hat ein bißchen was von einem Menschen der einem ins Gesicht lacht, wenn man ihn schlägt, dem kommt man mit Gewalt nicht bei). Paßt auch schön der Jahresspruch: Gott ist in den Schwachen mächtig… aber ein Teil von dem, was ich schrieb, gehört nicht nach Karfreitag, sondern nach Ostern 😉
@Heike: In diesem Fall könnte man durchaus den jüdischen Hintergrund etwas erhellen – da gibt es einen schönen Aufsatz von Hartmut Gese; ich glaube, er hieß „Die Sühne“.
Und dann kann man weiter über nichtkultische Verwendungen des Opferbegriffs heute nachdenken: Wir „opfern“ ja alles mögliche, um ein Ziel zu erreichen. Der springende Punkt in dem Text ist das „ephapax“ – ein für alle Mal. Das erklärt nämlich auch, warum mit diesem einen Opfer endgültig Schluss war mit Opfern im kultischen Sinn. Andere „Opfer“ – etwas aufgeben, ggf. das Leben – gibt es weiter, aber von denen wird auch keine sühnende Wirkung erwartet, und sie weisen auch alle nur auf das Kreuz zurück.
Spannender Post; interessante Buchempfehlung.
Spannend (-und leidvoll-ungelöst-) ist für mich nach wie vor die Frage, wie weit die Kontextalisierung gehen darf: Während ich für die in der Kirchengeschichte aufgeworfenen Bilder und Modelle zu Recht einschränkend sage, dass sie für die damalige Zeit hilfreich waren und für uns verständlicherweise nicht mehr nachvollziehbar sind, lasse ich diesen Anspruch nicht mehr für die Bilder gelten, die im Neuen Testament Erwähnung finden. Hier plötzlich taucht die Ausnahme von der Regel auf, hier wird vermeintlich Wirklichkeit und nicht Annäherung an ein Geheimnis beschrieben, und plötzlich ist es nicht mehr die Kirchengeschichte, sondern der biblische Text, der wie ein Fels im Weg steht, weil er schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar ist. Kann ich diese Bilder wirklich so ganz anders behandeln? Und wenn ja, wer setzt dan die Grenze?
Fragen über Fragen ;-(
@Michael: Na, in diesem Fall trifft die Feststellung der „Unbrauchbarkeit“ oder zumindest eingeschränkten Nützlichkeit ja beides, die Tradition und das Neue Testament selbst. Und wenn der Weg der ist, aus den (damals vernachlässigten) Erzählungen der Evangelien Alternativen für heute zu erheben, wie Jennings das tut, dann könnte ja allen geholfen sein. Manche biblische Texte haben dann eben eher den Wert, dass sie uns ermuntern, eine eigene Interpretation zu wagen statt die herkömmlichen immer nur zu wiederholen. Und doch kann man daraus ja lernen, dass man damals vielleicht aus guten Grund manche Schlüsse (etwa den Doketismus) ablehnte, während andere denkbar waren.
@Alle: Falls es jemanden interessiert – das Kapitel über Kreuz und Leiden (bzw. Heilung) von Jennings habe ich in dem Podcast hier mit ein paar Kommentaren kurz zusammengefasst
Was mich als theologischen Amateur bei diesen Diskussionen zum Kreuzestod verwundert, ist, dass die Erklärungen immer top-down sind. D.h. es werden Weltmodelle entworfen und aus ihnen die Bedeutung von „Erlösung“ (durch das Kreuz) abgeleitet. Was nicht gefragt wird, ist in etwa: „Was passiert im Menschen, in seinem Leben, durch diese Erlösung?“. Oder vielmehr, man überlässt das Thema mitsamt Röm 8, dem Schlüsseltext dazu, den ‚wiedergeborenen‘ Christen.
Mit diesem Text kann natürlich viel Schindluder getrieben werden, vor allem, indem man den Leuten zuerst die Sündenfurcht einbläut und ihnen anschließend das Heilmittel dafür anbietet. Wer sich aber wirklich darauf einlässt, spürt sehr genau, dass Paulus hier fast verzweifelt versucht., irgend etwas auf den Punkt zu bringen. Und wenn wir dieses Etwas erkennen würden, würden wir wohl die meisten Kreuzestheologien als mehr oder weniger gelungene Umschreibungen eben dieses existenziellen Geschehens begreifen.
@ Peter: Wie deutest du die Opfervorschriften des Alten Testaments? Waren die von Gott tatsächlich so gefordert? Haben die sich Menschen ausgedacht? Waren das Modelle?
@Martina: Im Verständnis der Menschen des Alten Testaments waren die Opfervorschriften eher ein Angebot Gottes als eine Forderung. Nicht der Sünder oder das Volk kommt um, sondern nur ein Opfertier. Gleichzeitig steckt im Sühnopfer (auch im kultisch-symbolischen Opfer eines Tieres) noch der Gedanke der neuen Hingabe, immerhin wird das Tier im Tempel geopfert und das Blut (also das Leben nicht nur des Tieres, sondern eben auch der Menschen) wird am Altar oder am Jom Kippur sogar im Allerheiligsten versprengt. Man kommt also durch den Tod hindurch zu Gott in diesem kultischen Drama. Der gebrochene Bund ist wieder in Kraft gesetzt. Das ist für uns fremd, aber mit etwas Einfühlung nachvollziehbar. Nur genau herauszudestillieren, was genau darin jetzt Gottes Reden war und was menschliche Reaktion, das wird schwierig. Wir haben Gottes Reden nur in einer immer schon interpretierten Form. Da wird immer auch ein Rest stehenbleiben, zu dem wir keinen Zugang finden, oder nur mühsam.
Für mich persönlich ist die Frage doch ziemlich entscheidend, ob die Erneuerung des Bundes/ Versöhnung/ Reinigung/ Heiligung durch das Opfer nur in der Vorstellung der Menschen passiert (weil sie denken, sie müssten das tun) oder tatsächlich (weil Gott festgelegt hat, dass es keinen anderen Weg gibt, um mit ihm ins Reine zu kommen).
Aus meiner Sicht hängt genau daran die Frage, ob ich im Zusammenhang mit dem Kreuzestod Jesu vom „Opfergedanken“ / „Modell“ des Opfers sprechen kann, das ich durch andere Modelle ersetzen kann oder ob es mit dem Opfer mehr auf sich hat und ich mich diesem Opfer als solchem in irgendeiner Form stellen muss.
Insofern wäre jetzt meine Annahme, dass du, auch wenn du die Frage scheinbar offen lässt, dazu tendierst, die Opfer des Alten Testaments eher als etwas zu deuten, was sich Menschen erdacht haben. Stimmt das oder liege ich da total daneben? (Das soll kein Angriff sein, ich bin einfach ein wenig neugierig…)
@Martina: Wie gesagt, das lässt sich aus meiner Sicht rückblickend nicht klären. Sagen wir es so: Die Vorstellung hatte sich entwickelt, es gab durchaus Ähnliches in anderen Religionen, Gott hat sich darauf eingelassen, dass Menschen so denken. „Kein anderer Weg“ ist in diesem Zusammenhang eine problematische Aussage – wer will das wissen?
Und Gott hat daran gearbeitet, Opfer überflüssig zu machen: Immerhin kam das Diasporajudentum schon seit Jahrhunderten ohne Opfer aus, längst bevor Jesus ins Spiel kam. Jesus selbst geht auf maximale Distanz zum Tempel, er opfert nichts, sondern er stört auch noch den Opferbetrieb und kündigt die Vernichtung des Tempels an. Hätte er das getan, wenn dort zu 100% Gottes Wille geschieht und dies das ultimative Vorbild ist für seinen Weg ans Kreuz?
Was also Jesus angeht, so ist „Opfer“ in jedem Fall „nur“ eine Metapher. Denn dass diese Hinrichtung sicher kein kultisches Opfer war, liegt auf der Hand: Kein Tempel, sondern draußen vor der Stadt, kein Priester, sondern heidnische Soldaten, keine Gebete, sondern Spott und Flüche, kein rituelles „Ausbluten“ – dennoch von „Opfer“ zu reden ist also in jedem Fall ein Modell zur Erklärung dieses Todes am Kreuz.
@Martina: kleiner Nachtrag – die Frage, die Du oben aufwirfst, gilt dann ja im umfassenden Sinn. Wenn das Opfer 1:1 Gottes uneingeschränkter Wille im alten Bund war, dann waren das auch alle anderen Anweisungen, sprich: jedes einzelne Element des Gesetzes, die Reinheitsvorschriften und all das. Plus die Aufforderung an einzelnen Stellen, Menschen zu töten (der „Bann“) und vieles mehr.
Und es wird schwierig zu erklären, warum Jesus und die Autoren des Neuen Testaments plötzlich vieles davon ignorieren und kritisieren, wenn es der vollkommene und in seiner Vollkommenheit stets richtig erkannte Wille Gottes war. Genau da lag ja der Konflikt zwischen Jesus und seinen jüdischen Gegnern. Das lässt sich dann nur so lösen, dass man sagt, Gott hat es sich zwischenzeitlich anders überlegt oder dass er für bestimmte Phasen bestimmt Spielregeln erlässt (so macht es der Dispensationalismus). Damit würden diese allerdings durch die Bank als „situativ“ relativiert und man kann aus ihnen kaum noch ablesen, was Gott tatsächlich will.
Was ich in diesem Kontext (Opfer, das Kreuz als Sühne-Instrument) noch als spannungsreich empfinde, ist das Reden über das „Blut Jesu“. Da gibt es Bibelstellen, die das Blut Jesu in direkten Zusammenhang stellen mit der Vergebung (z. B. 1. Joh. 1, 7 oder Hebräer 9, 22 – ohne Blutvergießen keine Vergebung). Aber auch in Liturgie und Liedgut geht es oft um das Blut Jesu, das „so weiß wäscht wie Schnee“ und das (in extremen theologischen – teilweise schon fast magischen – Ansätzen) dieses und jenes bewirken soll.
Wenn ich den Gedanken ablehne, dass der Tod Jesu als Sühneopfer notwendig war, sondern versuche, die Bedeutung des Kreuzes aus dem historischen Kontext anders zu verstehen: Kann man sich da die Blut-Jesu-Theologie nicht auch komplett sparen?
Und ein zweiter Punkt: Das „Zurück in den historischen Kontext“ verneint nicht, dass Versöhung und Vergebung notwendig sind. Aber es postuliert, dass das Kreuz und der Kreuzestod Jesu nicht (oder nicht hauptsächlich) der Versöhnung zwischen Gott und Menschen dient. – Oder?
@Peter: Ich denke auch nicht, dass die Tieropfer an sich Gottes vollkommener Wille waren. Gott selbst hat ja durch die Propheten schon im AT immer wieder die Opferpraxis kritisiert – z.B. weil den Menschen gleichzeitig, Liebe, Barmherzigkeit und Gotteserkenntnis fehlten. Tieropfer ohne die entsprechende Herzenshaltung haben Gott auch im alten Bund nicht genügt. Und ich nehme mal stark an, dass das auch Jesu Punkt war.
Es geht mir aber auch gar nicht um die Frage, ob die Opfervorschriften des AT 100% Gottes vollkommener Wille waren, sondern nur darum, ob aus Gottes Sicht Opfer nötig waren.
Und so lange wir diese Frage nicht eindeutig mit „nein“ beantworten können, halte ich es für voreilig, das ganze Thema „Opfer“ als ersetzbares Modell zu bewerten, das uns heute nichts mehr zu sagen hat.
Wie auch immer du das sehen willst – „Opfer“ bleibt ein Interpretament für den Kreuzestod; und eines, das schwer verständlich ist, selbst für Bibelleser. Wenn es nicht das einzige oder das einzig legitime ist, nicht einmal innerhalb des NT (darum ging es mir), dann lohnt sich die Frage nach Alternativen in jedem Fall.
Da scheiden sich die Geister: Was für die einen der rote Faden der Bibel ist, ist für andere ein rotes Tuch: Der Opfertod Christi.
Ein Freund machte mich auf dieses Posting aufmerksam, und da hier unter den Kommentatoren schon einige Irritation erkennbar ist und manche Fragen nicht beantwortet wurden, kann ich vielleicht ein paar Worte dazu schreiben.
Das stellvertretende Sühneopfer Christi hängt mit Gottes Wesen zusammen.
Gott, wie er sich uns in der Bibel darstellt, hat bestimmte Eigenschaften, wie ewig, allwissend, allmächtig, selbstbestimmt, selbstgenügend, und eben auch liebevoll und gerecht. Und da Gott nun mal Gott ist und kein Mensch, sind Wesen und Eigenschaften bei ihm deckungsgleich: Gott ist Liebe und er ist Gerechtigkeit. Und in seiner Eigenschaft als Gerechtigkeit hasst er Ungerechtigkeit und Sünde. Diese beiden Eigenschaften, Liebe und Gerechtigkeit, lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Sie stehen gleichberechtigt und gleichermaßen absolut nebeneinander. Und da kommt das stellvertretende Sühneopfer ins Thema: Gott liebt die Menschen, und um ihnen gnädig zu sein, muss seiner Gerechtigkeit Genüge getan werden. Die Menschen selbst sind nicht dazu in der Lage, zumal sie tot in Übertretungen und Sünden sind. Also tritt der Sohn Gottes, gesandt vom Vater, selbst für sie ein, nimmt Gottes gerechten Zorn auf sich, bezahlt mit seinem Tod für ihre Schuld und kauft sie frei. Gott der Heilige Geist vollendet dieses Werk der Erlösung und wirkt in den somit Erlösten den Glauben, mit dem sie sich den Verdienst Christi zueigen machen können.
Dieses Thema durchzieht die gesamte Bibel, und die Kreuzigung selbst bildet sozusagen den choreografischen Höhe- und Brennpunkt des Heilsgeschehens. Hier werden die Vorschattungen und Vorbilder des AT eigentliche Wirklichkeit, wobei der Satz Christi am Kreuz „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ besonders hervortritt. In diesem Satz werden das Wesen der Sünde und das Wesen der Gerechtigkeit Gottes gleichermaßen deutlich.
Das Kreuz als Ort des stellvertretenden Sühneopfers ist übrigens nicht erst für den (post)modernen Menschen, unverständlich, sondern es war schon vor zweitausend Jahren den Griechen eine Torheit (d.h. Quatsch), und den Juden ein Ärgernis (d.h. ein Skandal), „denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.“ Und auch das ist bis heute nicht anders.
@Simeon Behrends: Das ist eine gängige Paraphrase von Anselm von Canterbury, aber sie abstrahiert von den konkreten Schilderungen des Neuen Testaments, blendet die politische Dimension komplett aus und bleibt auf eine ganz bestimmte Sühnetheorie fixiert, die zur einzig legitimen Deutung erhoben wird. Ich habe ja oben deutlich gemacht, dass ich das mit Jennings für nicht ausreichend halte. Was ich immer schade (oder ärgerlich) finde bei solchen Diskussionen, das ist die Unterstellung, dass alle, die diese Position kritisieren, das Anstößige des Kreuzes aus Feigheit beseitigen wollen. Umgekehrt wird ein Schuh draus.
Ich dachte bei meinen Ausführungen eigentlich eher an die Bibel als an Anselm.
Z. B. Offenbarung 5,9:
„Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist erwürgt und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zunge und Volk und Heiden.“
War aber de facto mehr Anselm als Bibel. Klar kann man einen poetischen Text wie diesen zur Untermauerung der Theorie anführen. Das ändert nichts daran, dass diese Interpretation nur eine unter mehreren ist, dass hier metaphorisch geredet wird (Jesus wurde ja NICHT „erwürgt“), und dass sie in einer Denktradition steht, die im 12. Jahrhundert populär wurde.
Nun, Jesus war auch kein Lamm.
Und dennoch hat Johannes der Täufer ihn bei der esten Begegnung sofort prophetisch als das „Lamm Gottes“ identifiziert, weil es sein Amt war, stellvertretend für die Sünden von Menschen als Sühneopfer am „Fluchholz“ zu sterben.
Da führt nun mal kin Weg daran vorbei. Die Bibel ist voll davon. Anselm hatte es auch nur aus der Bibel. Sowas denkt sich doch keiner aus!
Das ist die johanneische Variante. Bei den Synoptikern stehen da andere Begriffe. Deshalb kann man auch nicht sagen, es führe „kein Weg daran vorbei“. Wir müssen lernen, gleichzeitig mit unterschiedlichen Sühnetheorien und Metaphern zu arbeiten. Diese ist nur eine unter mehreren, und sie ist heute (wie oben beschrieben) vielleicht die problematischste. Stur daran festzuhalten, ist ein Symptom von geistiger und geistlicher Erstarrung, Denkfaulheit und fahrlässiger Gleichgültigkeit gegenüber der Suche und den Fragen von Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen.