Aus dem Buchladen des jüdischen Museums in München komme ich nie ohne eine Neuerwerbung raus. Diesmal war es „Wie man Fanatiker kuriert“ von Amos Oz. Als jemand, der in Jerusalem groß geworden ist, bezeichnet er sich augenzwinkernd als „Experten in vergleichender Fanatismusforschung“.
Das Thema ist hier und heute wieder aktuell, weil Bayern und andere östliche Bundesländer hohe Inzidenzwerte haben, die unter anderem auf die vielen Querdenker dort zurückgehen. Und weil in diesem Segment und bei dieser Thematik auch ein gewisser Hang zum Fanatismus und zur Radikalisierung (ganz aktuell z.B. hier) besteht.
(Photo by Jon Tyson on Unsplash)
So liest sich die Charakterisierung unseres Experten, die vielleicht auch hilft, zu unterscheiden, wer tatsächlich fanatisch ist und wer eine andere, vielleicht auch merkwürdige oder problematische Meinung vertritt:
Der Fanatiker ist die uneigennützigste Kreatur. Der Fanatiker ist ein ungemeiner Altruist. Oft ist der Fanatiker mehr an Ihnen interessiert als an sich selbst. Er will Ihre Seele retten, Sie erlösen, Sie von der Sünde befreien, vom Irrtum, vom Rauchen, vom Glauben oder vom Unglauben, er will Ihre Essgewohnheiten verbessern, Sie vom Trinken heilen oder von Ihren Wahlgewohnheiten. Dem Fanatiker liegt viel an Ihnen, er fällt Ihnen entweder permanent um den Hals, weil er sie wahrhaft liebt, oder er will Ihnen den Hals umdrehen, sollten Sie sich als nicht erlösbar erweisen.
Amos Oz, Wie man Fanatiker kuriert, Frankfurt 2004, S. 50
Im Grunde, schreibt Oz, wollte auch Bin Laden den Westen nicht vernichten, sondern nur von tragischen Verblendungen befreien, die in Wahrheit gesundheitsschädlich sind.
Die Ambivalenz von „um den Hals fallen“ und „den Hals umdrehen“ hat mich besonders angesprochen. Da erinnere ich mich an Begegnungen mit religiösen Fanatikern, aber auch an die Bilder von den Querdenkern am und im Reichstagsgebäude. Vielleicht liegt hier ein Schlüssel, was den Fanatismus neben seiner Selbstgerechtigkeit (und dem damit verbundenen Überlegenheitsgefühl) und dem Schwarz-Weiß-Denken (und der damit verbundenen „Klarheit“) noch interessant macht: Diese schlagartige Nähe, die er unter Menschen entstehen lässt.
Da können reflektiertere Positionen, die mehr Distanz zu sich und der eigenen Meinung pflegen, oft schwer mithalten. Andererseits ist ja niemandem geholfen, wenn wir jetzt alle fanatische Antifanatiker werden. Mit Humor und ohne Bitterkeit zu leben, das kann man von Amos Oz wunderbar lernen.