Heute wurde ich in einem Gespräch über alternative Lebensstile gefragt, wie es gehen kann, dass Singles und kinderlose Paare in einer eher zahlenmäßig eher familiendominierten Gemeinde einen Platz haben, wo sie nicht nur geduldet, sondern als gleichwertig behandelt werden. Also nicht als defizitär, und es ist ja für viele ein Kampf, sich angesichts subtiler alltäglicher Taktlosigkeiten und Diskrimierungen nicht so zu fühlen (welche Eltern träumen nicht von glücklich verheirateten Söhnen und Töchtern und süßen Enkeln – und agieren nicht gerade sehr konstruktiv, wenn sie allmählich merken, dass ihnen die Erfüllung des Wunsches vielleicht versagt bleibt?).
Die Frage traf mich an einem Punkt, der mich seit Tagen beschäftigt. Es begann neulich in einer Gesprächsrunde, wo wir aufgefordert wurden, zu erklären, was wir an „der Ehe“ großartig finden. Ich konnte nicht genau erklären warum, aber ich brachte keinen Satz heraus. Vielleicht erschienen mir manche Beiträge als zu abstrakt (ich muss ja nicht die Ehe lieben, sondern meinen Partner, und das fällt je nach Tagesform mal leichter und mal schwerer). Viele Aussagen wiederholten sich dann auch erwartungsgemäß: Die Anwesenden waren alle verheiratet und damit offenbar ausnahmslos glücklich, das ist für heutige Verhältnisse ja eine eher atypische Konstellation.
Ohne dieses Glück jetzt in Abrede zu stellen oder die Leistung dahinter zu schmälern (denn oft genug haben es sich die Paare auch hart erarbeiten müssen), das „Hohelied der Familie“ klingt eben doch schnell zwiespältig, wenn wir damit über das Ziel hinaus schießen. Man kann es verstehen, weil auf evangelischer Seite noch der historische Frontstellung gegen die katholisch-mittelalterliche Verklärung des Zölibats und die moderne Unverbindlichkeit situativer Lebenspartnerschaften oder hoher Scheidungsraten und verbreiteter Resignation zu einer Art Trotzreaktion führten, eben so wie die Tatsache, dass manche Leute (vor allem Männer) die Verantwortung für Kinder scheuen und keine Abstriche an ihrem materiellen Lebensstandard machen wollen.
Da neigt man schon mal dazu, zu übersehen, dass Jesus selbst unverheiratet war (Dan Brown zum Trotz, der sich das als typisches Kind unserer Zeit offenbar gar nicht vorstellen kann) und den traditionellen Wert von Ehe (vgl. Mt 22,30) und Familie (Mt 12, 46ff) kräftig relativierte, und dass Paulus große Vorteile darin sah, auf die Ehe (und folglich auch Kinder) zu verzichten – freilich aus anderen Gründen, als es heute oft der Fall ist. Und mit dem Virus des modernen Individualismus sind ohnehin alle infiziert, ob verheiratet oder nicht, denn unsere Kernfamilien sind nur ein müder Rest der Großfamilie, die zu biblischen Zeiten die Norm war und mehr als zwei Kinder und zwei Generationen einschloss. Manche Ehen zerbrechen heute nicht nur an den Schwächen und Fehlern der Partner, sondern auch an dem gewaltigen Druck der instabilen Lebensumstände. Der etwas unbeholfene Versuch, hier eine christliche Gegenkultur zu schaffen (der von konservativen Politikern gern zum Stimmenfang genutzt wird), misslingt ebenfalls leicht, wenn man zu theologischen Überhöhungen der Ehe greift und/oder wenn Kirche sich vor den Karren der Hochzeits- und Romantikindustrie spannen lässt (vgl. den kleinen Rundumschlag von Ben Myers)
Echte Gegenkultur wäre ein durchdachtes, ehrliches und gleichwertiges Miteinander von Singles und Paaren, Geschlechtern und Generationen, für das es noch nicht so viele funktionierende Modelle gibt. Können Gemeinden das leisten oder bleibt das den alten und neuen Orden und Lebensgemeinschaften überlassen? Was muss geschehen, damit alle gemeinsam das Hohelied der Liebe singen, das eben weitaus mehr ist als das Hohelied der Ehe und Familie?