… neulich hat mich ein freundlicher Mensch, der es gut mit uns beiden meint, darauf aufmerksam gemacht, dass Du mit den Dingen, die ich so von mir gebe, wenig anfangen kannst: In meinen Texten erscheinen Fremdwörter, ich neige zu Abstraktionen, ich mag den Horizont möglichst weit und habe die Illusion, dass sich Detailfragen von selbst beantworten, wenn man das große Bild erst einmal verstanden hat. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand meint, das Offensichtliche noch erklären zu müssen, daher höre ich mit dem Erklären lieber so frühzeitig auf, dass jeder das Offensichtliche selbst besichtigen kann und sich nicht fühlt, als wäre er beim betreuten Lesen.
Vermutlich gehörst Du zu den vielen (nicht immer, aber sehr oft: unheimlich netten!) Menschen, die Bücher mit Fußnoten gar nicht erst in die Hand nehmen. Ich habe von diesen verbreiteten Allergien gehört, muss jedoch verschämt bekennen: Ich finde Fußnoten in sinnvollen Dosen spannend und interessant. Ich mag es eigentlich, wenn in einem Text so viel drin steckt, dass man ihn mehr als einmal lesen kann, ohne sich zu langweilen. Komplexität erlebe nicht nur als ermüdend, sondern oft auch in einem guten Sinn herausfordernd, ab und zu sogar zauberhaft und voller Überraschungen. So komisch das klingen mag: Ich empfinde es manchmal als befreiend – ja als Kompliment an den Leser –, wenn ein Autor in seinem Text genug offen lässt, das ich selbständig zu Ende denken kann und auf das ich mir meinen eigenen Reim machen darf.
Wenn Du das nun liest, könntest Du mir vorwerfen, ich sei ein elitärer Snob. Und ich könnte antworten, … nein, lassen wir das. Liebes Lieschen Müller, bleib, wie Du bist. Lies, liebes Lieschen, was Dir gut tut und was all diejenigen, die Dich besser verstehen als ich, für Dich schreiben. Ich halte derweil die Stellung bei Fußnotenfreaks und Intellektuellen (wer hätte denn schon gedacht, dass Fußnoten – und dann auch noch falsche! – jemals so Furore machen würden wie in diesem Jahr?). Von denen bezweifeln übrigens die wenigsten, dass es Lieschen Müllers geben muss und dass dies auch für sie eine wunderbare Sache ist. Umgekehrt erlebe ich das öfter mal, dass ein Lieschen (freilich nicht Du!) in seiner (Fuß-)not jemanden auf den Mond schießen möchte. Vielleicht könnten wir das gemeinsam ändern?
Also – ich kümmere mich um diese verhinderten Mondfahrer. Die sind ja – 5 Euro ins Phrasenschwein – „auch nur Menschen“. Und falls ich dabei etwas Interessantes entdecke, sage ich denen Bescheid, die so schön einleuchtend, praktisch nachvollziehbar, theoriefrei und anschaulich schreiben – ohne sich in Fußnoten, Klammern und Parenthesen zu verheddern. Und dann reden wir vielleicht noch ein Wörtchen mit denen, die (mein Ausdruck war das nämlich nicht!!!) Dich so verniedlichend als Lieschen bezeichnen und die so genau wissen, was Du liest und wie Du tickst.
Herzliche Grüße,
Peter
Lieber Peter,
du schreibst gern für deinesgleichen, und das finde ich herrlich und gut für mich. Ich lese, was du schreibst und wundere mich recht oft, dass darauf niemand einen Kommentar verfasst. Dann tut es mir leid, dass ich nicht imstande bin, dir angemessen zu antworten – denn mit meinem Lieschen-Verstand nehme ich zwar Gutes für mich aus deinen Anregungen sowie aus den Antworten, die du bekommst. Aber ich kann nicht mithalten. Das tut mir nicht weh; ich habe was zu kauen und lerne auf jeden Fall.
Allerdings bin ich auch manchmal enttäuscht, nämlich dann, wenn du dich einige Tage nicht auf deiner Seite hast vernehmen lassen.
Dein Lieschen
(Übrigens: Google klärt mich über jedes Fremdwort – samt Zubehör – auf, das macht Spaß.)
Ja, lieber Peter, so machen wir das!
Und da sage noch einer: dumm glaubt gut!
„Fides quearens intellectum“ – Der Glaube sucht das Verstehen (Anselm von Canterbury) Wohin entwickelt sich eine Frömmigkeit, aus der das Forschen, Fragen, Reflektieren und Argumentieren ausgeklammert bleibt? Unfreiheit, lknechtischer Geist, weltfremde Schwülstigkeit.
Gut geschrieben. Nur wo liegt die Wahrheit? Vermutlich dazwischen – inter leges…;-)
Passend zum Thema schrieb diese Woche Jörg Lau über die antiintellektuelle Tendenz des Internets: „Das Internet ermöglicht starke Selbstselektion. Man sucht und findet nur noch seinesgleichen und klopft sich im Kreis auf die Schulter. Das ist das Problem solcher Blogs wie “Achse des Guten” und stärker noch “PI”. Linke Pendants gibt es wahrscheinlich, sie fallen mir aber bezeichnender Weise nicht ein. Das Internet ist eher ein “rechtes Medium”, wie mir scheint. Anti-elitär, anti-intellektuell, die Neigung zu selbstselektionierenden Meinungsverstärkung fördernd – nicht so sehr den Zweifel, den Einspruch, das Ausprobieren und Ausloten anderer Gedanken. Das ist ein bisschen schade, denn es gibt ja doch so viel zu entdecken.“
http://blog.zeit.de/joerglau/2013/01/22/warum-ich-blogge-2_5852
Dieses Echo freut mich, zeigt es doch, dass die Kommunikation nicht immer nur auf Facebook beschränkt bleiben muss. Dort hatte ich heute in meinem Profil diese Frage gestellt:
„Eine Frage, die ich nicht nur meinen Kolleginnen und Kollegen stelle: Es heißt immer wieder, dass man sich mit seiner Schreibe an „Lieschen Müller“ und nicht „Dr.Liesen Müller“ orientieren solle. Laufen wir dadurch nicht Gefahr, dass unser Instrument, mit dem wir denken, Gedanken formulieren, auf neue Erkenntnisse kommen, durch diese Entwicklung an Schärfe, Lebendigkeit und Ausdrucksreichtum verliert? Einfach zu schreiben sollte doch nicht gleichbedeutend dazu sein, sich in seiner Ausdrucksweise auf das niedrigst mögliche Niveau herabzubegeben. Oder doch? Wäre es stattdessen nicht besser, wenn nicht wieder der Status erreicht würde, dass eine Zeitung (heute auch Website oder Blog) als Beispiel für eine „gute deutsche Sprache“ etwa in der Schule angeführt würde? Genau dies geschah immer wieder in den 70’ern und 80’ern an vielen Gymnasien….“
Zwischenzeitlich gibt es dort auch Antworten. Ich erlaubte mir, auf dieses Blog hinzuweisen.
Eine Anwort daraus: „Klasse! Peter hat es auf den Punkt gebracht! Einwandfrei! Nur, ich bin ebenfalls der Meinung, dass die Wahrheit, wenn es nsie denn gibt, dazwischen liegt!“
Zwischen was genau soll die Wahrheit denn liegen?
Zwischen dem Schreiben für „Lieschen Müller“ und dem für „Dr.Lieschen Müller“
Sprich: Wir müssen die Kunst vollbringen, so zu schreiben, dass auch komplizierte Themen so verstanden werden, dass sie auch die verstehen, die nur einfache Texte zu lesen gewohnt sind…
Kleiner technischer Hinweis: Die erste Benachrichtigung, dass es einen Reaktion auf meinen Kommentar gab (16:08 Uhr) ist regulär gelaufen. Die zweite (16:48) landete im Spamordner. Vielleicht mal Einstellungen überprüfen.
Gegen die freundliche „wir müssen“-Vereinnahmung wollte ich mich eigentlich in dem Post oben zur Wehr setzen. Ich denke, jeder Autor darf selbst bestimmen, wie und für wen er schreibt. Darum ging es mir eigentlich, und um nichts anderes.