Korea (7): Die großen Fragen der Zukunft

Taifun Bolaven ist noch einen Tag entfernt. Ein weiterer sonniger und vor allem hochkarätig besetzter Studientag hat begonnen: Pastor Daniel Donwon Lee von der Global Mission Church begann den Vormittag. Er kam – wie viele seiner Kollegen – als Student in die USA und war dort mit der Gemeindewachstumsbewegung und Donald McGavran in Kontakt. Aber wie viele seiner Kollegen stellt auch Pastor Lee kritische Fragen angesichts rückläufiger Trends in Korea: Die (evangelische) Kirche schrumpft und ihr Einfluss geht zurück. Lee spricht über die zehn Qualitätskriterien natürlicher Gemeindeentwicklung und die Kritik von Howard Snyder am Church Growth Movement, weil dort neben dem quantitativen auch das qualitative Wachstum der Gemeinden in den Blick kommt. Nun sind Zellgruppen und „Spiritual Formation“ ein großes Thema hier.

Interessant ist das insofern, als es zeigt, dass die Koreaner trotz ihrer Erfolge und Größe immer noch Impulse aus dem Ausland suchen und aufnehmen. Irgendwie gelingt das uns Deutschen insgesamt weniger gut, würde ich sagen. Bei allen kulturellen und theologischen Differenzen muss man vor dieser Haltung erst mal den Hut ziehen.

Gesunde geistliche Leitung hat mehrere Faktoren, sagt Lee:

  1. eine Balance zwischen Vision und Mission, zu der neben dem Mut zum Träumen auch die Fähigkeit gehört, die eigenen Grenzen anzunehmen
  2. eine Balance zwischen großen und kleinen Gruppen: große Sonntagsgottesdienste allein machen keine gesunde Gemeinde
  3. eine Balance zwischen Familie und Gemeinde
  4. eine Balance zwischen Arbeit und Ruhe: viele Koreaner sind sehr fleißig und ungeduldig, sie gönnen sich kaum Ruhe. Eine Spiritualität des Sabbat und des kontemplativen Gebets kann da helfen. Leider sehen viele das noch als etwas „Katholisches“ an.
  5. eine Balance zwischen Evangelium und kulturellem Kontext: koreanische Christen haben hier in Lees Sicht eher auf Konfrontation gesetzt und alles andere unter Synkretismusverdacht gestellt
  6. eine Balance zwischen der eigenen Gemeinschaft und der Herrschaft Gottes
  7. eine Balance zwischen den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen und der Gemeinschaft

Der Direktor von Campus für Christus in Korea, Sung Min Park, spricht über die Herausforderung freier Werke, dem ursprünglichen Auftrag treu zu bleiben und zielorientiert zu arbeiten. Jedes Jahr werden die praktischen Methoden der evangelistischen Gesprächsführung überarbeitet und angepasst – im Moment ist das „Soularium„, eine Bildkartensammlung, der letzte Schrei.

Jik Han Koh von YOUNG 2080 bildet junge Leiter aus und arbeitet mit Charles Kim zusammen, der am Freitag hier war. Er bezeichnet sich als Hersteller von Sprengstoff („TNT“ steht auch für „Twenties ’n‘ Thirties“). Ausgewogenheit findet er weniger wichtig, geistliche Aufbrüche können Kultur und Gesellschaft nur dann verändern, wenn sie Durchschlagskraft entwickeln. Seine Arbeit zielt in drei Richtungen: „Bible Korea“, „United Korea“ und „Mission Korea“ – da ist also wieder die Verbindung von Glaube und Nation, die wir aus der Geschichte schon kennen.

Und die Wachstumskurven der zurückliegenden Jahrzehnte scheinen für ihn Ansporn und Norm zu sein, wenn es um die Zukunft geht: Zahlen über Zahlen füllen seine Präsentationsfolien. Immer wieder fallen Begriffe wie „Dynamit“ und „Revolution“ im Zusammenhang mit der jüngeren Generation, die dafür sorgen soll, das die nächste Generation von Christen zur „goldenen Gans“ der koreanischen Gesellschaft wird.

Die anschließende Diskussion ergibt weitere interessante Aspekte:

  • „Liberale“ (in unserem Sprachgebrauch wohl eher: politische) Theologie entwickelte sich in Korea im Widerstand gegen die Diktatur. Evangelikale glaubten, dass Evangelisation irgendwann die Gesellschaft von selbst verändern würde und hielten sich heraus aus Demonstrationen. Heute sehen sie das selbstkritisch. Der Versuch, durch die Gründung einer christlichen Partei politisch mitzuwirken, gilt als gescheitert, nun herrscht etwas Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen. Da waren die Katholiken besser dran, sie konnten zum Beispiel auf Befreiungstheologie aus Lateinamerika zurückgreifen.
  • Vielen Gemeinden scheint die jüngere Generation wegzubrechen. Unter jungen Christen ist eine Stillebewegung entstanden. Leider, sagt Pastor Lee, bleibt aber selbst diese Bibelmeditation oft an der Oberfläche; damit sie wirken könnte, müsste die kontemplative Dimension gestärkt werden.
  • Die jüngere Generation in Korea leidet unter der für hiesige Verhältnisse hohen Arbeitslosigkeit (knapp 10%), daher zögern viele zu heiraten und es werden weniger Kinder geboren. Die Zukunftsaussichten haben sich eingetrübt. Junge Leute stehen unter solchem Leistungsdruck, dass sie oft den Kontakt zu jeglicher Form christlicher Gemeinschaft verlieren.
  • Bei Campus, sagt Rev. Park, hat man die „modernistische Apologetik“ zurückgestellt zugunsten dialogischerer und emphatischerer Ansätze. Wie „postmodern“ die tatsächlich sind, frage ich mich gerade – das klingt mir noch mehr nach Techniken denn nach verinnerlichten Haltungen: Er würde gern Kreationismus neben der Evolutionstheorie in die Schulbücher bekommen, aber auch das ist bisher gescheitert (Gott sei Dank…!). Da sind wir wieder bei der Spannung zwischen der eher fundamentalistischen Tendenz vieler Protestanten hier (und von Campus für Christus generell) und einer zunehmend pluralistischen Kultur.
  • Für unsere Referenten benutzen „christlich“ und „protestantisch“ als Synonyme. Katholiken werden wie Buddhisten, der Islam oder Konfuzianismus weitestgehend als Konkurrenz empfunden. Wer sich zu positiv äußert, kann in konservativen theologischen Ausbildungsstätten hier durchaus seine Anstellung verlieren (Karl Barth zu erwähnen reicht anscheinend auch schon – warum auch immer). Insofern fallen die Antworten auf Nachfragen sehr zurückhaltend aus. Unbefriedigend, demnächst soll in Busan der Ökumenische Rat der Kirchen tagen.
  • Interessante selbstkritische Einsicht gegen Ende: Die Koreaner haben westlichen Imperialismus in der Mission kritisiert und zwischenzeitlich festgestellt, dass die eigenen Missionare denselben Fehler begingen.
  • Pastor Kang unterstreicht die Bedeutung der Spiritualität. In Korea ist das Thema unterentwickelt, gerade hier sind Richard Foster, Dallas Willard oder Philip Yancey Vorbilder – und das Studienkonzept des George Fox Seminary. Lee erwähnte immerhin Henri Nouwen. Vielleicht stehen in zehn oder zwanzig Jahren ja auch Katholiken wie Richard Rohr, Franz Jaliczs oder Thomas Merton auf der Liste?
Die Frage, die bei mir zurückblieb, lautet: Lassen sich Fehler und Schwächen, die man im 19. Jahrhundert aus Amerika übernommen hat (konfessionelle Zersplitterung, Gesetzlichkeit im Blick auf Alkohol, sehr traditionelle Definition von Geschlechterrollen, autoritäre Führung, kleinkarierter Dogmatismus), nun mit (durchaus respektablen) Denkern und Autoren aus dem Amerika des 20. Jahrhunderts (selbst wenn Willard, Foster u.a. alle noch leben, da liegt ihr Schwerpunkt) kurieren? Oder ist das lediglich eine momentane Zwischenstation auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, in dem die meisten schlicht noch nicht angekommen sind?
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3 Antworten auf „Korea (7): Die großen Fragen der Zukunft“

  1. Noch in meiner Studentenzeit habe ich in einem katholischen Wohnheim gewohnt. Da kamen eines Tages zwei koreanischen Missionären zu evangelisieren. Man kann sich vorstellen, wie komisch es für unseren katholischen Pfarr und katholische Bewohner vorkam.

    1. Ja, vielleicht sieht es in ein paar Jahren dann besser aus. Momentan ist die Kluft noch recht groß

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