Kapstadt-Rückblick: Theologie

Mit einigen Tagen Abstand beschäftigen mich die Diskrepanzen des Kongresses. Ich bin einer großen Vielfalt von TeilnehmerInnen, Themen und Projekten begegnet. Das war ungemein bereichernd und beeindruckend. Es spielte sich aber im Wesentlichen in den Pausengesprächen und den kleineren Einheiten (Multiplexe und Dialog-Sessions) an den Nachmittagen ab.

Im Plenum wurde versucht, die Einheit zu betonen und dabei explizit zu machen, dass es eine theologisch begründete Einheit ist. Das hat zu einer gewissen theologischen Stagnation geführt. Die hat auch ihr Gutes, etwa in der geschlossenen Abwehr des „Wohlstandsevangeliums“ in jeder Form. Aber man fragte gar nicht erst, ob an anderer Stelle nicht doch theologische Innovation nötig wäre. Vielleicht beruht diese Entscheidung auf einer realistischen Einschätzung: vielleicht ist der Zusammenhalt so brüchig, vielleicht ist auch niemand da, der mit einem mutigen, neuen Entwurf den Kongress inspiriert.

Vielleicht war es aber auch Ängstlichkeit. Paradigmenwechsel, egal in welcher Zunft, verlaufen nie geräuschlos. Und man bekam die taktischen und politischen Manöver im Vorfeld und hinter den Kulissen ja verschiedentlich mit. Es gäbe ja eine Menge spannender Fragen und etliche interessanter Neuansätze. Sie sind naturgemäß umstritten. Aber vielleicht hätten ein paar experimentierfreudige Querdenker dem Kongress auch theologisch gut getan. Es hat fast den Anschein, als hätte sich seit Manila 1989 nicht viel bewegt. Wer konservativ denkt, wird in jeder Neuerung einen Abfall sehen und nur in deren restaurativer Rücknahme etwas Gutes erkennen, aber wer kontextuell denkt, weiß auch, dass in einer veränderten Welt die Verfälschung genau dadurch entstehen kann, dass man zu lange an manchen konventionellen Formen festhält.

Die gute Nachricht im Blick auf Lausanne ist: Die Praktiker sind längst dabei, ausgetretene Pfade zu verlassen, und zum Teil machen sie ganz hervorragende Arbeit. Die nachdenkliche Frage an Lausanne ist, warum man sich das theologisch nicht leisten zu können glaubt, und ob sich dieses Versäumnis nicht irgendwann einmal rächt. Das langatmig-orthodoxe und im Vergleich zum Kongressverlauf auch etwas fade offizielle Schlussdokument spiegelt leider nur nur diese Seite des Kongresses wider. Sein Name kam nur in der Polemik der Kollegen aus dem Süden vor, aber ich hätte mir einen Rowan Williams gewünscht – der hätte drei seiner Landsleute ersetzen können. Oder Miroslav Volf über Versöhnung und ethnische Konflikte. Oder jemanden, der mit dem Begriff „postmodern“ noch etwas anderes zu verbinden weiß als nur das Gespenst des hemmungslosen Relativismus.

Die offizielle Kongresstheologie war ausgesprochen modernistisch, sie erging sich überwiegend in Propositionen. Dagegen lese ich eben in Alan Roxburghs Introducing The Missional Church von einem Begriff, den ich in Kapstadt hin und wieder vermisst habe:

Das Reich Gottes wird in Metaphern … und Bildern erklärt. Es ist unmöglich, alle Bilder in einer rationalen Definition für ein Lexikon unterzubringen. Man kann diese Beschreibungen nicht kodifizieren und in eine nette Schublade stecken. Jesu Worte zeigen, sie öffnen und deuten viel mehr an, als sie definieren.

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9 Antworten auf „Kapstadt-Rückblick: Theologie“

  1. >>Das Reich Gottes wird in Metaphern … und Bildern erklärt. Es ist unmöglich, alle Bilder in einer rationalen Definition für ein Lexikon unterzubringen. Man kann diese Beschreibungen nicht kodifizieren und in eine nette Schublade stecken. Jesu Worte zeigen, sie öffnen und deuten viel mehr an, als sie definieren.<<

    Das ist halt genau das, womit die meisten noch ihre Schwierigkeiten haben. Die Kontrolle, die Deutungshoheit entgleitet ihnen. Interessant, dass Jesus aber genau so gelehrt hat. Sicherlich sehr bewusst…

  2. Ja, diese Schwierigkeit war unübersehbar. Zugleich aber eben auch, dass sich das nicht mehr lange halten lässt mit der Deutungshoheit. Interessant ist, dass Frauen sich hier viel leichter tun. Sie waren eh unterrepräsentiert in den dogmatischen Kartellen…

  3. Dass Frauen sich da leichter tun wundert mich nicht. Schließlich sind Frauen generell eher visuell / narrativ gepolt als Männer.

  4. Dieses etwas komplexes Bild des Kongresses kam schon in der recht unterschiedlichen Berichterstattung über Twitter und Internet zum Ausdruck. Vielleicht liegt es auch daran, dass unsere Welt in den letzten 20 Jahren viel kompexer geworden ist. Anteil haben auch die neuen Medien und die verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen überall in der Welt. So stehen wir vor neuen Herausforderungen, die eine vielfältigere Antwort erfordern. Vielleicht ist das einfach das Grundergebnis des Kongresses.

  5. Danke für diesen Einblick, Peter. Ich hatte bisher kaum etwas zum Inhalt/Atmosphäre des Kongresses gelesen (nur Klagen über Kommunikationsprobleme und oberflächliche persönliche Bemerkungen) und hatte den Eindruck, es interessiert auch niemanden (in der freikirchlichen Schweiz).
    Schade, wenn die postmoderne Welt nicht wahrgenommen wurde. Und schade, wenn nicht erkannt wurde, dass das Evangelium um Gerechtigkeit, Versöhnung, Problemlösungen in dieser Welt geht, und nicht nur um theologische Formulierungen oder „pie in the sky when you die“.

  6. alles wird komplexer und die konservativen ängstlicher… ich hab das gefühl, dass schon aus der geschichte der lausanner bewegung eher eine theologie der angst spricht? kann das sein?
    kann man aus einer „existenz als gegenbewegung“ zu einer „bewegung für etwas“ werden? und wie?

  7. Danke, Peter.

    Ich habe die theologischen Aussagen auch oft als ängstlich, manchmal fast wütend empfunden und glaube auch, dass es damit zusammenhängt, dass man den eigenen Autoritätsverlust fürchtet. Also, Mike .. ja, ich finde, das kann sein.

    Ich starte gerade meinen eigenen, subjektiven Rückblick auf http://www.marburger-syndikat.tk – wen’s interessiert.

    @Rolf Nee … die Frau an und für sich ist nicht unbedingt immer visueller/narrativer gepolt als der Mann an und für sich. nee, nee.

  8. Vielen Dank für die laufende Berichterstattung aus Kapstadt! Versuche zu erfassen, wie diese Eindrücke und Erfahrungen für die Praxis von miss. Gemeindeaufbau / Gemeindeentwicklung „vor Ort“ fruchtbar gemacht werden können (@ Gofi: Klar interessiert´s!).

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