Ich finde die Praxis der Kontemplation eine ganz wertvolle und unverzichtbare Sache. Allerdings scheint mir, dass ich die dazugehörige Theorie manchmal erst in mein theologisches Koordinatensystem übertragen muss. In den letzten Woche habe ich das neue Buch von Franz Jaliczs gelesen. Ab und zu stolpere ich dabei über Aussagen wie diese, wo er davon spricht, die „Welt der Dualität“, wie er es nennt, hinter sich zu lassen:
Er ist kein Objekt, kein Gegenüber, das ich als Subjekt erkennen und kontaktieren kann. Wenn ich mich als ein „Ich“ von ihm abgrenzen (Subjekt) und ihn mit einer Du-Anrede von mir ausschließen könnte (Objekt oder Gegenüberstehendes), wäre er nicht mehr Gott. Gott kann man nicht begrenzen. Gott kann ich nicht von mir ausschließen, indem ich ihn als ein Gegenüber behandle. Gott ist überall und in jedem Geschöpf und auch nirgends, weil er nicht in Zeit und Raum eingeordnet werden kann. In der Wirklichkeit kann ich ihn viel mehr mit „Ich“ ansprechen als mit „Du“. Deswegen hat auch Mose Gott als „ich bin“ erkannt. Ich muss Gott in mir finden. Dort ist er unmittelbar da. (S. 141)
In der Tradition der Mystik, etwa bei Meister Eckhart, gibt es freilich viele ähnliche Aussagen. Ich denke, dass ich erahnen kann, was gemeint ist. Trotzdem finde ich die gewählte Sprache schwierig. Und die Exegese zum Gottesnamen, gelinde gesagt, sehr gewagt.
Miroslav Volf setzt sich in Von der Ausgrenzung zur Umarmung mit dieser Frage, ob die Grenzen des Selbst am Ende völlig aufgehoben werden, kritisch auseinander. Wie Jaliczs geht auch er von der Trinität als Vorbild aus. So wie sich dort Einheit und Unterschied nicht aus- sondern einschließen, Vater und Sohn also zu jedem Zeitpunkt unterscheidbar bleiben, aber nicht zu trennen sind, so gilt das auch für die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch:
Wenn sich die Trinität so der Welt zuwendet, werden der Sohn und der Geist in dem schönen Bild des Irenäus die beiden Arme Gottes, durch die die Menschheit erschaffen und in Gottes Umarmung aufgenommen wurde (vgl. Adversus Haereses 5,6,1). Dieselbe Liebe, die in der Trinität in sich nicht abgeschlossene Identitäten erhält, ist darauf aus, „in Gott“ Raum für die Menschheit zu schaffen. Die Menschheit ist jedoch nicht einfach der Andere Gottes, sondern der geliebte Andere, der zum Feind geworden ist. Wenn Gott sich daran macht, den Feind zu umarmen, ist das Kreuz das Ergebnis. Am Kreuz öffnet sich der tanzende Kreis der Selbsthingabe und gegenseitigen Einwohnung der göttlichen Personen für den Feind; in der Qual der Passion hält die Bewegung für einen kurzen Augenblick an und ein Riss erscheint, so dass die sündige Menschheit mitmachen kann (vgl. Johannes 17,21). Wir, die anderen – wir, die Feinde – werden von den göttlichen Personen umarmt mit derselben Liebe, mit der sie einander lieben, und deretwegen sie für uns in ihrer ewigen Umarmung Raum schaffen.
Also begegne ich Gott nicht als einem Fremden, ich begegne ihm nicht nur außerhalb meiner Selbst, sondern auch in mir (das darf man dann gern „Seelengrund“ nennen). Man muss aber das „Du“ nicht als etwas Ausgrenzendes missverstehen, wie Jalics es explizit tut. Nicht einmal der johanneische Jesus, der ja deutlich anders spricht als der synoptische, kann auf das „Du“ verzichten. Freilich will niemand Gott zum Objekt machen im Sinne des Ich/Es von Martin Buber. Aber hinter das richtig verstandene „Ich und Du“ geht es auch nicht richtig zurück, und da soll es vermutlich auch gar nicht.
Klar kann man Gott nicht begrenzen. Aber Gott hat sich in der Schöpfung selbst begrenzt und zurück genommen, damit Raum für etwas anderes entstehen kann. An dieser Vorstellung hängt theologisch viel zu viel, um sie zu verwischen oder aufzugeben. Zugleich hört Jalizcz ja keineswegs auf, vom „Ich“ zu reden, das ja in seiner Auffassung als Gegensatzpaar den Gedanken der Abgrenzung ebenso transportiert wie das „Du“. Das ist zumindest missverständlich.
Vielleicht wäre eine etwas entwickeltere Pneumatologie die Lösung für die Spannung, die Jalicz beschreibt. Der Heilige Geist fristet in diesem Buch jedenfalls ein Schattendasein, aus dem man ihn befreien sollte. Wenn wir überhaupt von „Unmittelbarkeit“ reden wollen, dann wohl am besten so, dass der Geist verbindet, ohne die Unterschiede obsolet zu machen.
Zitat von oben: „Nicht einmal der johanneische Jesus, der ja deutlich anders spricht als der synoptische“ – woran macht man das fest? Auf welche Textaussagen bezieht sich das?
Soll keine kritische Hinterfragung der Aussage sein, mir ist nur die Argumentationslinie nicht geläufig. Bitte ein paar kurze Hinweise dazu. Danke.
@si: Kein Problem – generell gibt es auffällige Differenzen zwischen den ersten drei und dem vierten Evangelium, die vor allem in der Sprache liegen. Bestimmte Begriffe erscheinen dort ganz anders, zum Beispiel fehlt der Begriff „Reich Gottes“ weitgehend; stattdessen ist vom „ewigen Leben“ die Rede, das wiederum bei den anderen keine Rolle spielt.
Insgesamt redet der johanneische Christus mehr, als er handelt, die Gedankengänge sind länger und kreisen mehr, als dass sie auf ein Ziel hinlaufen. Dabei ist auch das Verhältnis von Vater und Sohn viel ausführlicher Gegenstand der Betrachtung, das wird in den ersten drei Evangelien nur ganz punktuell thematisiert.
Was mich an Ausdrücken wie „johanneischer Jesus“ stört, ist die damit verbundene Konnotation, dass das irgendwie eine andere Gestalt wäre als der synoptische Christus. Wir sollten das besser als untershiedliche Aspekte der gleichen Person betrachten, die von verschiedene Autoren hervorgehoben werden.
Das Zitat von Jaliczs verrät ein panheistisches Weltbild, in dem Gott letztlich im Diesseits aufgeht. Und in der dann konsequenterweise (wie auch in Teilen des Hinduismus) die Subjekt-Objekt-Unterscheidung aufgelöst wird. Solche Aussagen möchte ich nicht „in mein theologisches Koordinatensystem übertragen“, ich finde so was hat Grenzen.
Wer Gott im „Ich“ sucht, der wird da laut Jesus was ganz anderes finden, egal ob nun der „synoptische“ (Mk 7,21-23) oder der „johanneische“ (Jh 2,24-25; 3,17 etc.). Wir können Gott nur als Du erfahren – als derjenige, der die Sünde in uns verdammt, aber gerade deswegen uns retten will. Jes 6 ist ein gutes Beispiel dafür.
Wobei ich das, was Volf schreibt, durchaus „in mein theologisches Koordinatensystem übertragen“ kann, falls bei so geringen Abstand „übertragen“ noch das richtige Wort ist.
@Helmut: Nein, ich würde Jaliczs bei allem, was ich von ihm gelesen habe, nicht unterstellen, dass er pantheistisch denkt. Ich denke, es ist eine unscharfe und unglückliche Begrifflichkeit. Umgekehrt würde ich bei Gott nicht das Verdammen und damit den Gegensatz an erster Stelle sehen, das sorgt für eine zu große Distanz. Wieso auch sollte Gott uns retten wollen, weil er uns verdammt? Es geht ja nur eins von beiden…
„Umgekehrt würde ich bei Gott nicht das Verdammen und damit den Gegensatz an erster Stelle sehen“
Es ist gewissermaßen logisch an erster Stelle: Gott rettet uns vor seiner gerechten Strafe bzw. seinem gerechten Zorn, Rö 1,16ff. „An erster Stelle“ im Sinne, dass es das Hauptattribut Gottes ist, will ich das auch nicht sehen.