Die „Häresie der Glaubensgewissheit“

Ich bin beim Vorbereitung für eine Unterrichtseinheit mit Konfirmanden letzte Woche auf ein wunderbares kleines Buch von Hans Urs von Balthasar († 1988) gestoßen, der im katholischen Milieu vor drei Jahrzehnten so eine Art Rob Bell war, auf den die Hardliner und Traditionalisten sich mit allen Kräften einschossen. Es heißt Kleiner Diskurs über die Hölle, und wer Love Wins/Das letzte Wort hat die Liebe sympathisch fand, aber gerne noch mehr gelesen hätte, könnte hier auf seine Kosten kommen.

Das Buch ist leicht lesbar geschrieben – und es ist sogar kürzer (wahrscheinlich hat es einfach nur weniger Absätze und Leerzeilen) als das von Bell. Erfreulicherweise hat von Balthasar neben der Bibel auch die ganze Palette der Kirchenväter und der Mystiker parat, aus deren Werken und Worten er souverän zitiert.

Dass Ignatius von Loyola in seine „Geistlichen Übungen“ eine Betrachtung zur Hölle integriert hat, deren Ziel das Staunen über Gottes Barmherzigkeit ist, gerade weil mir die eigene Gerechtigkeit fehlt, hält er beispielsweise für richtig und wichtig. Allerdings hat das gerade ohne Seitenblick auf andere zu geschehen, und damit auch im „letzten Ernst“.

Bedenklich wird es dagegen, wenn man den Seitenblick riskiert und aus der drohenden existenziellen Möglichkeit der Hölle einen objektivierten theologisch-wissenschaftlichen Gegenstand macht, wie es seit Augustinus immer wieder der Fall war, nämlich die Hölle der anderen:

Denn in diesem Augenblick verwandelt sich alles: die Hölle ist nicht mehr die je-meinige, sondern sie ist das, was „den andern“ blüht, während ich ihr gottlob entronnen bin. Und ich kann mich fleißig und fromm auf die Heilige Schrift berufen [er zitiert Offb. 21,8; 1.Kor 6,9f.]

… Aber, sagt sich der theologisierende Monsignore, mir scheint, ich falle unter keine dieser Kategorien. Und schon ist ihm das Gebet auf den Lippen: „O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, wie Räuber, Betrüger, Ehebrecher – oder wie dieser Zöllner da“ (Lk 18,11). Man bevölkre dann die Hölle mit allerhand Ungeheuern: Ivan dem Schrecklichen, Stalin den Entsetzlichen, Hitler dem Wahnwitzigen und all seinen Spießgesellen, was gewiss auch eine ansehnliche Gesellschaft ergibt, der man im Himmel lieber nicht begegnen möchte.

Es kann als ein die Theologiegeschichte durchziehendes Motiv gelten, dass dort, wo man die Hölle mit einer „massa damnata“ von Sündern füllt, man durch irgendeinen bewussten oder unbewussten Trick sich (vielleicht vorsichtig, aber doch getrost) auf die andere Seite stellt.

Von Balthasar zeichnet dann knapp nach, wie sich von Bonventura über Luther zu Calvin und seinen Nachfolgern eine immer absolutere Gewissheit (im Gegensatz zum Akt des Vertrauens „hat“ man die dann eben auch) entwickelt, die es möglich macht, den anderen, un- oder „schwachgläubigen“ Teil der Menschheit als der Hölle verfallen zu denken. Das passt im Übrigen erstaunlich gut zu Iain McGilchrists Analyse, die ich vor einer Weile hier skizziert habe.

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2 Antworten auf „Die „Häresie der Glaubensgewissheit““

  1. Hmm … ich würde im letzten Absatz nicht von „Gewissheit“ sprechen, sondern von „Sicherheit“ (in Anlehnung an Luthers Unterscheidung von certitudo und securitas – letztere geht vom Menschen aus und behält daher immer was Verkrampftes, während erstere von Gott geschenkt wird, samt der entsprechenden Gelassenheit).

  2. @Daniel: Kann man machen, nur gerät dann aus dem Blick, wie das Beharren auf „Gewissheit“ diese problematische Eigendynamik gewonnen hat, die Luther wohl nicht wollte, die aber im Begriff der „certitudo“ vielleicht doch schon als Möglichkeit angelegt ist, so dass sie sich in der Aufklärung dann endgültig verselbständigt.

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