Deutsch zum Abgewöhnen: „Ich erinnere“

Ich habe es vor ein paar Jahren zum ersten Mal bewusst in einem Fernsehinterview von Peer Steinbrück gehört, dass jemand sagte, „ich erinnere dieses oder jenes Ereignis“ statt „ich erinnere mich an dieses…“ Seither begegnet es mir ab und zu und diese Woche habe ich einen längeren Text aus dem Englischen übersetzt, der sich um Erinnern und Vergessen drehte. Da lag die Versuchung nahe, erinnern á la Steinbrück zu verwenden. Allein, ich brachte es nicht fertig.

Auf der Website des Duden fand ich heute einen Vermerk, dass eine nichtreflexive Verwendung von „erinnern“ norddeutsch ist. Sie ist also nicht falsch. Ob gut oder schön, das hat der Duden nicht zu bewerten. Für meinen Geschmack dürfen die lieben Preußen das so halten, und wenn sie es tun, dann versuche, ich mich nicht lange dran zu erinnern, sondern es ganz schnell wieder zu vergessen (mich vergessen werde ich deswegen freilich nicht).

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9 Antworten auf „Deutsch zum Abgewöhnen: „Ich erinnere““

  1. Ich erinnere MICH noch an meinen Englischunterricht in Hamburg, das nicht in Preußen, sondern in Norddeutschland liegt. Die Lehrerin sagte, dass „ich erinnere“ ein Anglizismus sei von „I remember“.
    Ich finde, das macht … äh hat …. Sinn.

    Als Standardsprache habe ich es auch im Norden nie gehört. Ob das Niederdeutsche es kennt, weiß ich nicht, bezweifle es aber.

    Das bairische Gegenstück dazu wäre „I woaß des no gnau“.

  2. Bei Helmut Schmidt habe ich es öfter gehört, denn er erinnert sehr viel 😉 Finde es aber gar nicht so störend.

  3. @Andreas: für den Bayern ist doch alles „Preußen“, was nördlich des Mains liegt 🙂

    Der Hang zum Anglizismus verstärkt es definitiv.

  4. …das macht sinn… (wurde schon erwähnt)
    … ich muss das erst realisieren …

    andererseits haben die hüter der deutschen sprache kein problem mit französischen lehnwörtern wie hotel (gasthaus), büro (kanzlei), friseur (ungefähr so französisch wie das handy englisch), u.v.a.m.

    was lernen wir daraus? das, was die amerikaner schon längst begriffen haben, nämlich das sprache etwas lebendiges ist, das einer ständigen verändrung unterliegt. kein mensch redet heute so wie heinz rühmann oder theo lingens, geschweige denn so wie vor 80 oder gar 100 jahren. und das was uns heute „normal“ und „schön“ erscheint, wird in 20, spätestens 30 jahren ein bisserl altvaterisch daherkommen.

    so gesehen: zeit für den deutschsprachigen raum, sich zu entspannen, und mit einer möglichen reform der s-schreibung oder gar der groß- und kleinschreibung den untergang des abendlandes heraufbeschwören. als ob ein herr goethe so geredet oder geschrieben hätte wie’s anno 1960 im duden stand…

  5. Mir fiel auf, dass das „mich“ auffällig oft in Psychologen-Kreisen weggelassen wird. Hielt es deshalb bisher für ne Art Therapeutendeutsch.

  6. Habe genau das von Dir genannte Phänomen neulich mehrmals bei einem Dozenten in einer Vorlesung gehört, was mir bei ihm bis dato nie aufgefallen war. Er kommt allerdings wohl eher aus dem rheinländischen Raum, also nicht so wirklich Norddeutschland.

  7. Noch ein Beispiel für Sprachwandel und Sprachempfinden.

    Einer der Brüder Grimm (die waren ja u.a. auch Germanisten) hat im 19. Jh. einen Aufsatz verfasst, in dem er u.a. auf Sätze wie „der Hund bellte“ zu sprechen kam, und beklagte, dass es immer seltener werde, dass jemand „der Hund boll“ oder „der Hund hat gebollen“ sagt, und fügt in dem Zusammenhang die Bemerkung ein „(oder früher noch schöner: der Hund ball)“.

    Ist keine 200 Jahre her, und heute kann das kein Mensch ernst nehmen. War aber so ernst gemeint wie Peregrinos alemannische Abwehr des Erinnerns ohne mich.

  8. Seit ca. 1800 ist die zahl der „starken“ Verben deutlich zurückgegangen. Ursprünglich war das eine zu den starken Verben gleichberechtigte Gruppe, es wurde auch schon mal ein schwacher Verb (heißen, heißte, geheißt) stark (heißen, hieß, geheißen).

    Nur dann wurde die Sache durch Lautwandel immer unregelmäßiger, und heute unterscheidet mensch am besten regelmäßige von unregelmäßigen Verben (wobei es auch unregelmäßige „schwache“ Verben gibt, z.B. denken).Und so langsam werden immer mehr unregelmäßige Verben regelmäßig ….

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