Als sich unsere Gemeinde in den Anfangsjahren in einer Schulaula traf, die Band noch lauter und vielleicht auch nicht immer so gut wie heute spielte, kam ein Kirchenvorsteher aus dem Umland zu Besuch, um sich mal umzusehen. Seine Tochter erzählte mir später, er habe daheim gesagt, das sei kein Gottesdienst, was wir da machen. Der Grund war auch schnell ausgemacht: Es gab kein Vaterunser. Vor ein paar Monaten ist mir dasselbe bei einem Open Air Gottesdienst hier im Wohngebiet wieder passiert, da war es ein Herr aus der Nachbarschaft, der die Unterlassung vorwurfswoll kommentierte.
Später haben wir jeden ersten Sonntag im Monat einen Gottesdienst in einer Kneipe angefangen, und da waren es dann weniger die Gäste (die in der Regel ganz froh waren, dass es sich von dem, was sie mit „Gottesdienst“ assoziierten, wohltuend unterschied), sondern ein Teil unserer Gemeinde, der mit dieser neuen Form seine Mühe hatte. Immer wieder fiel am Monatsende der Satz, so beiläufig, dass man spürte, wie tief dieses Urteil sitzen musste: „Am nächsten Sonntag ist ja kein Gottesdienst“.
Das fehlende Vaterunser spielte dabei wohl keine Rolle. Aber solche Dinge wie: Bei einem Gottesdienst steht kein Bier oder Cola auf dem Tisch, zu einem Gottesdienst gehört eine „Lobpreiszeit“, ein Gottesdienst braucht eine bestimmte religiöse Sprache und einen sakralen Raum. Auf der anderen Seite: Im ersten Jahr besuchte uns Prof. Manfred Seitz, der in Erlangen lange Jahre praktische Theologie gelehrt hat, und bestätigte im anschließenden Gespräch, dass alle wesentlichen Elemente der Liturgik, die einen christlichen Gottesdienst konstituieren, enthalten waren.
Was also macht einen Gottesdienst aus? Die Frage wird immer drängender, wenn Christen ihre Selbstisolation überwinden wollen. Es ist vielleicht nicht die lateinische Messe nach tridentinischem Ritus wie bei den Piusbrüdern, aber andere alte und neue Traditionen (indem man etwa Latein durch einen der verschiedenen kanaanäischen Dialekte ersetzt), die letztendlich doch Nebensächliches zur Hauptsache machen. Zu Zeiten der Christenverfolgung war es ja durchaus sinnvoll, sich zu Zeiten und an Orten zu treffen, wo es niemand bemerkte. Heute dagegen ist die (in vielen Köpfen kaum auszurottende) Prämisse, ein „richtiger“ Gottesdienst finde am Sonntag vormittag statt, ein Hauptgrund, warum viele junge Leute und alle, die den sonntäglichen Kirchgang nicht von klein auf gelernt haben, sich dort nicht bereitwillig einfinden – ganz egal, wie viel Mühe wir uns mit der Gestaltung machen.
In der Suche nach neuen Formen von Gemeinde und Gottesdienst ist es also entscheidend, dass wir möglichst sauber unterscheiden lernen, was die (wenigen) Essentials sind und was alles variabel gestaltet werden kann, weil es sich „nur“ um unsere (manchmal sehr zählebigen) Vorlieben und Gewohnheiten handelt.
Beim Einkaufen heute war der Supermarkt, wo ich Stammkunde bin, umgeräumt. Nichts war mehr am gewohnten Platz. Ich habe dreimal so lange gebraucht wie sonst und es war anstrengend. Ich fühlte mich fremd und musste mich zur Hühnerbrühe durchfragen, die ich vorher im Schlaf gefunden hätte. Sie war natürlich am anderen Ende des riesigen Schuppens.
Aber es war immer noch ein Supermarkt…
Dem kann ich nur zustimmen!!!!
Zu den – zugegeben wenigen – unabdingbaren Bestandteilen eines Gottesdienstes gehört für mich die Anfangsformel:
„Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“.
Diese Formel macht für mich klar um wen es hier geht, wer die Herrschaft hat. Es geht um eine Abgrenzung auch und gerade im Geistlichen Raum gegenüber den Mächten dieser Welt.
Was unterscheidet einen Gottesdienst von der Zusammenkunft des Kaninchenzüchtervereins wenn von Vorne nur Kommt: „Ja Hallo zusammen, ich freue mich dass ihr gekommen seid!“? Und nicht wenige Gottesdienste fangen heute so an!
Würde mich freuen über die „Essentials“ eines Gottesdienstes ins gespräch zu kommen.
Arme Kaninchenzüchter, immer müssen sie als schlechtes Beispiel herhalten. Ich finde die Formel gut, aber zu den essentials würde ich sie jetzt nicht zählen. Es gibt ja auch andere Wege, diesen Bezug deutlich zu machen. Aber da ist es wieder – das Bedürfnis, einen „heiligen Raum“ durch Abgrenzung zu definieren, oder?
finde die auseinandersetzung mit den elementen eines gottesdienstes auch sehr interessant. als ich vor einer weile eine liturgie ausgearbeitet habe, beschäftigte ich mich auch mit solchen fragen. wahrscheinlich war ich aber schon sehr lange nicht mehr in einem „richtigen gottesdienst“ 😉
btw. hast du essentials gesagt peter? 😉
Ich meine oft zu verstehen, dass das Problem mit dem „richtigen“ Gottesdienst eher ein Problem mit dem „nicht mehr mein (gewohnter)“ Gottesdienst ist.
So ist das auch mit dem Supermarkt. Meiner hat vor 3 Jahren umgebaut und ich finde mich immer noch nicht 100% zurecht. Genauso wie es lange gedauert hat bis unsere neue Küche „meine“ wurde 😉
Luther hat es bei der Einführung der Torgauer Schlosskirche 1544 so formuliert: „dass dieses neue Haus dahin ausgerichtet werde, dass nichts anderes darin geschehe, als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“
Das finde ich für den Anfang gar nicht schlecht, weil es die schon essentials benennt, aber viel Freiheit für die Form lässt (Vaterunser – ja oder nein etc.).
@ Simon: Nicht schlecht. Nur dass wir auch miteinander reden (und Gott irgendwie darin hoffentlich auch zu Wort kommt), das fehlt mir hier noch…
@ ebbelwain: wenn diese Differenzierung allen bewusst wäre, dann wäre das ja schon ein großer Gewinn 🙂
Ich vermute, dass Luther das schon mitgedacht hat, dass auch Menschen im Gottesdienst sprechen und darin der Herr mit uns spricht.
Allerdings wohl eher in Form von Schriftlesung und Predigt als in Form von Bienenkörben oder ähnlichem. Aber da sind wir dann ja schon wieder bei der Frage der konkreten Gestaltung (wer redet wann wie mit wem).
Ich atme immer auf, wenn dieses Thema in dieser Form aufgegriffen wird… 🙂
Und gerade die Unterscheidung zwischen dem Wesentlichen und dem, was variabel zu gestalten ist, finde ich sehr sinnvoll! Und um dann mal konkret zu werden: Was sind denn Eurer Ansicht nach solche „essentials“ 😉 ?
Danke Peter. Wir haben seit Jahren dasselbe Problem, ich habe neulich ein Position Paper dazu verfasst, den jeder neuer Besucher im Besucherpaket bekommt – weil wir das ständig gefragt werden. Vielleicht ist es für den einen oder anderen hilfreich (oder auch nicht)
ZEITLOS UND ZEITGEMÄß: Unser Stil
Wir machen Kirche anders! Das ist meist das Auffälligste, das man als neuer Besucher an der Baptisten Gemeinde Aschaffenburg wahrnimmt. Keine traditionelle Liturgie. Der Gottesdienst ist von bunten Farben, Pop-Musik und einer lockeren Gemütlichkeit geprägt. Familiär und herzlich. Da kommt schnell die Frage auf: weshalb unterscheiden wir uns in dieser Hinsicht von den meisten Kirchen?
Zeitlos
Das Evangelium, also die rettende Botschaft von Jesus Christus, spielt im Leben unserer Gemeinde eine zentrale Rolle. Obwohl mehr als 2000 Jahre seit dem Leben und Wirken von Jesus auf der Erde vergangen sind, verstehen wir diese Botschaft als zeitlos: er ist derselbe – heute, morgen und in aller Zeit (Offb 1,8)! Er bleibt fest, ein Anker für alle Menschen (Hebr 6,19).
Zeitgemäß
Diese Botschaft erfordert unseres Erachtens auch zeitgemäße Ausdrucksformen in unserer heutigen Zeit (Mk 2,22), damit der moderne Mensch diese zeitlose Wahrheit verstehen kann. Wir benutzen deshalb moderne Hilfsmittel, neue Technologien und aktuelle Kommunikationswege um das Evangelium zu vermitteln (1Kor 9,22). Dieses biblische Prinzip schlägt sich in allen Bereichen unserer Gemeinde nieder: in der Lautstärke und dem Stil unserer gesungenen Lieder, der Gestaltung unseres Kindergottesdienstes, der Dekoration des Bistros oder sogar dem Kleidungsstil des Predigers! Nichts ist davon ausgenommen.
Es ist sehr schade, dass in vielen Kirchen das gegenteilige Prinzip herrscht: ein Jesus, der sich dem Zeitgeist anpassen muss und eine Kirche, die vor starrer, unnachgibiger Tradition nicht mehr am Puls der Zeit ist und folglich diese Generation verliert. Vergessen wir aber nicht, dass es viele empfehlenswerte Kirchen gibt, die eher traditionsbewusst arbeiten und dies auch tun sollen. Wir jedoch haben uns dafür entschieden, eine Gemeinde für Menschen von Heute zu sein! Darin sehen wir unsere Aufgabe, das können wir am besten! Deshalb arbeiten wir ständig an unserem Stil – machen hier und da sicherlich auch Fehler – damit deine Freunde, Bekannte und Kollegen einen Jesus kennenlernen können, den sie auch verstehen.
Ach ja, noch was.
Das du, Peter, im Supermarkt nichts finden kannst, liegt daran dass du ein Mann bist. [Jetzt bitte keine Gender-Diskussion anfangen, okay?] 😉
Macht mal bessere Hinweise, wie man bei Euch einen Kommentar richtig abgibt. Ich hatte so Schönes geschrieben und verstand die Angaben unterhalb der e-mail aAdresse nicht und alles war weg.
Jetzt vesuche ich es noch mal.
Sorry, Klaus. Eigentlich müsste der Text noch da sein, wenn Du im Browser den Button mit dem Rechtspfeil klickst. Bitte versuch es nochmal…
Nochmal zu den Essentials:
ebbelwain, du schreibat:
> Genauso wie es lange gedauert hat bis unsere neue Küche “meine” wurde
Genau, und doch _ist_ es eine Küche. Man erkennt sie an den Essentials: Es gibt einen Wasserhahn, einen Herd, einen Kühlschrank, …
Das meine ich. Und mir ist halt die geistliche Abgrenzung von „der Welt“ sehr wichtig, weil wir eben auch gegen „Mächte und Gewalten“ zu kämpfen haben, und da ist ein „Hallo erstmal“ wirklich nicht genug.
Gottesdienst? Ich lese in 1.Kor. 14,26: „Wie ist es denn nun, liebe Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat jeder …….“ Erst einmal, wer kommt zusammen? Brüder und Schwestern in Christus! Nicht eine gemischte Versammlung von Gästen und Christen. In Kelheim/Donau trifft sich eine Gemeinde zu zwei Versammlungen am Sonntagmorgen. Die erste um 9 Uhr 15 betrifft nur Christen. Sie kommen nach dem Motto zusammen „Ein jeder habe etwas“. Der Heilige Geist wird eingeladen. Man möchte diesem „Besucher“ gefallen. Sie feiern das neue Bundesmahl und erneuern ihren Bund, den jeder persönlich mit dem Herrn JESUS geschlossen hat. Immer wieder werden wunderbare JESUS-Lieder gesungen mit nur einer Guitarre als Begleitung. Es wird viel gebetet. Es kommt eine heilige Atmosphäre auf. Einer der Ältesten hält die Predigt, usw. Danach ist Pause bis 10 Uhr 30.
Dann beginnt ein anderer Gottesdienst, an dem dann neue Leute teilnehmen, Freunde und Bekannte, Fremde. Auch hier wird JESUS groß gemacht, und in der Predigt stellt man sich auf die Besucher ein, evangelistisch. Später wieder Gespräche und Austausch.
Wenn ich an einem solchen Gottesdienst teilnehme, merke ich die „Priesterliche Atmosphäre“. In der „Zeltkirche“ des Mose gestaltete die Priesterschaft den Gottesdienst. In der Gemeinde des Neuen Bundes sollte die Priesterschaft der Gläubigen einen heiligen Gottesdienst halten. Doch sehr oft werden die „modernen“ Gottesdienste schon mit flappsigen, spaßigen, auf den Menschen bezogenen Sätzen begonnen und mit technischen Hilfsmitteln und der Leitung von „Lobpreiskünstlern“ fortgesetzt, die so oft ihr Künstlerego mit der entsprechenden Lautsprecherstärke projizieren. Sehr oft möchte ich dann am liebsten davon laufen und in einer Hauskirche anbeten, lernen, beten, Gemeinschaft pflegen mit den übrigen Jüngern des Herrn. Als Vorbilder dienen wohl bestimmt auch Apg. 2, 41-47: apostolische Lehre, Gemeinschaft, Brotbrechen (Halten des Bundesmahles) und Beten. Oder das Gebet der Gemeinde in Apg. 4. „Ein jeder sehe zu, wie er darauf baut.“ (1.Kor.3,10)
@ Klaus: Bei den Stilmitteln denke ich, vieles ist schlicht Geschmacksfrage. Aber theologisch kann ich Deine Trennung nicht nachvollziehen. In 1.Kor 14 schreibt Paulus ja ausdrücklich davon, dass man mit Gästen im Gottesdienst rechnen muss und dass sich das in der „Gestaltung“ (in diesem Fall: dem Umgang mit Geistesgaben) auswirken sollte…?
Vielleicht mal eine unprogrammierte Quäker-Andacht besuchen? Vielleicht bringt dir das neue Impulse.
Gute Idee – wo finde ich die?
@Peter
Die meisten Quäkerversammlungen in Deutschland sind im /german yearly meeting/ organisiert. Deren Zusammenkünfte kannst du (mit etwas Geduld) hier rausfinden:
http://www.rgdf.de//index.php?option=com_content&task=blogsection&id=13&Itemid=62
Ich gehöre zu einer unabhängigen Versammlung in München:
http://www.the-independent-friend.de/?q=muenchen
Sehr guter Beitrag! Danke!
Wie es Herrn K., der nicht gerade fromm ist, mit einem (ziemlich langen) Gottesdienst ergeht, habe ich heute auf meinem Blog erzählt. Mit Link hierher zum Weiterdenken.
http://gjmatthia.blogspot.com/2009/02/herr-k-besucht-einen-gottesdienst.html
Die Frage bleibt: Denkt jemand?
Ein Aufsatz von Josef Pieper aus dem Jahr 1973 beginnt sehr passend zu dem Beitrag hier:
„Ein junger Großstadtpfarrer, vom Fehrnsehen kürzlich ausführlich porträtiert und hoch gerühmt, verlegt kurzerhand den sonntäglichen Gottesdiens in den Klubraum seiner jugendlichen Pfarrkinder, die dort zu Coca-Cola und Pommes-frites beieinandersitzen. ‚Kommt Ihr nicht in meine Prdedigt, warum soll ich mich dann nicht zu euch an den Tisch setzen und hier mit euch reden?‘
Ein sehr plausibles, fast selbstverständliches Verfahren, denkt man zunächst. Unklar bleibt allerdings, ob dieser entschlossene Mann der Meinung war, durch solches Miteinanderreden sei alles, worauf es mit dem christlichen Gottesdienst abgesehen ist, zuwege zu bringen, und wenn nicht alles, so doch das Wichtigste, der Kern.“
Der Aufsatz heißt:
„Nicht Worte, sondern Realität: Das Sakrament des Brotes“
Damit ist wahrscheinlich schon klar worauf es dabei hinausläuft.
Mir scheint, was ein „richtiger“ Gottesdienst ist hängt davon ab, was man über Sakramente denkt. Sind das Mysterien, bei dem etwas heilsnotwendiges passiert oder sind es Zeichenhandlungen, die der jeweiligen Situation angemessen sein sollen oder eventuell auch weggelassen werden können, wenn es eben nicht passt, es die Leute nicht verstehen.
Oder vielleicht anders: Ist ein christlicher Gottesdienst ein „kultische“ Veranstaltung oder eine „pädagogische“.
PS: Josef Pieper ist übrigens ein super Author. Fast alles was es von ihm zu lesen gibt lohn sich!
Danke für die katholische Perspektive. Man muss und wird als Fremder sicher nicht alles verstehen, aber man sollte doch möglichst viel verstehen können. Insofern wäre die Frage, wie man Sakramente einführt.
Ich meine, das Verstehen muss nicht unbedingt am Anfang stehen. Oft ist man doch gerade von dem angezogen, was man nicht versteht, was fremdartig und faszinierend ist. Dass die Faszination dann schrittweise mit Verständnis „gefüllt“ werden muss, ist natürlich ganz essenziell.
Wenn sich Leute dem tibetischen Buddhismus zuwenden, dann bestimmt nicht deswegen, weil sie verstanden haben, worum es dabei geht.
Das soll natürlich nicht bedeuten, dass man sich ein möglichst komisches Brimborium ausdenken sollte, um zu faszinieren. Aber zumindest ist Fremdartigkeit kein Hindernis.
@ Andreas: Nein, die Fremdartigkeit ist kein Hindernis, wenn deutlich wird, dass wir uns darum bemühen, Brücken zum Verstehen zu bauen und nicht denken, es sei selbstverständlich, dass man bestimmte Dinge weiß oder kennt (und wenn nicht, wird man schräg angeschaut…). Es ist eher so, dass wir Christen uns selbst die Fremdartigkeit des Evangeliums gar nicht mehr bewusst machen vor lauter vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Wenn man es dann jemandem erklären will, dem diese fehlen, merkt man oft, dass man selbst längst nicht alles verstanden hat, was man in einem bestimmten Jargon aufsagen kann 🙂