(Wer es noch nicht gelesen hat: Teil 1 und Teil 2)
Wie geht es weiter? Vielleicht so:
Sie zieht zurück in die gemeinsame Wohnung und richtet sie, so gut es geht, wieder her. Und dann wartet sie auf seine Rückkehr. Immer wieder schickt er Nachrichten. Das hält ihre Hoffnung am Leben, aber es ist eine angespannte Hoffnung. Wenn er sie wirklich so liebt, wie er schreibt, warum dauert das denn alles so lange?
Und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, steht er plötzlich vor der Tür. Sie hat Mühe, ihn zu erkennen nach der langen Zeit, und weil er so ärmlich gekleidet daherkommt. Die Wohnung steht immer noch unter Beobachtung. Immer wieder geht er weg, um sich mit Leuten zu treffen, und dann kommt er wieder zurück. Sie würde ihn am liebsten nicht mehr gehen lassen, aber sie weiß, dass sie das nicht verlangen kann.
Wie befürchtet kommt schließlich der Tag, als die Polizei die Wohnung durchsucht und ihn mitnimmt. Er wird im Schnellverfahren verhaftet und kurz darauf kommt die Nachricht von seinem Tod. Insider munkeln, er sei an den Folgen von Folter gestorben. Das Begräbnis findet in aller Stille statt. Nur ihre besten Freundinnen sind dabei.
Geheimdienst und Innenministerium sind zufrieden, dass die Gefahr vorbei ist. Nun können sie sich anderen Dingen zuwenden.
Aber dann gibt es ein paar merkwürdige Besuche und neue Botschaften. Das Gerücht geht um, dass er lebt und die Revolution wieder in vollem Gange ist. In aller Stille besucht er sie und verschwindet ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Aber lange genug, dass sie glauben kann, das war keine Halluzination. Allmählich gehen bei ihr die seltsamsten Menschen aus und ein. Fremde werden zu Freunden, Zyniker und Resignierte wagen wieder, auf die große Wende zu hoffen.
Manche von ihnen sind ihm irgendwo begegnet und finden nun zu ihr. Andere kommen ins Haus und haben das Gefühl, dass er unsichtbar da ist – irgendwie „Dazwischen“, wenn sie am Tisch sitzen und erzählen, wenn sie sich erinnern und von der Zukunft träumen, wenn sie immer wieder seine Sprüche zitieren
Zwischen all diesen Menschen.
Zwischen Traurigkeit und Vorfreude.
Zwischen all den kleinen Anfängen und den großen Herausforderungen.
Diese Liebesgeschichte ist noch nicht zu Ende. Aber wenn das, was aussah, wie das absolute, totale Ende, nicht das Ende war, dann ist das Ende so, wie es dieser Brief beschrieben hatte: Eher fallen die Berge und Hügel in sich zusammen, als dass er sie vergisst oder verlässt.
Wo kommen wir vor in dieser Geschichte?
Einmal persönlich: Die meisten erleben bei sich selbst wechselhafte Gefühle und gemischte Motive, nicht nur im Blick auf andere Menschen, sondern auch auf Gott. Und wir erleben Zeiten der Funkstille, des Wartens und Zweifelns, der unerfüllten Sehnsucht, in denen sich scheinbar gar nichts tut.
Es berührt uns aber auch gemeinschaftlich: All die „verlassenen“, von anderen (und womöglich auch sich selbst) abgeschriebenen Kirchen und Gemeinden, denen kaum noch jemand etwas zutraut und von denen niemand etwas erwartet, die als Konkursmasse gelten.
Leben im Exil und im Warten heißt, dass wir ganz ehrlich werden können im Blick auf uns selbst. Und dann erreicht uns – nicht immer so schnell, wie wir uns das vielleicht wünschen – neue Hoffnung, dass wir nicht allein und gottverlassen sind, auch wenn alle Umstände genau das zu sagen scheinen. In Jesus ist Gott selbst ein von allen Verlassener geworden, damit sich niemand mehr verlassen fühlen muss. Und selbst wenn wir uns so fühlen, dann war das nicht das letzte Wort und dann ist das nicht das Ende.