Beichte: das halb leere Glas?

Kürzlich habe ich nach längerer Zeit wieder einmal an einer „allgemeinen Beichte“ teilgenommen. Ich weiß gar nicht, ob es diesen Ritus in anderen Konfessionen überhaupt gibt, oder ob das ein lutherisches Proprium ist:

  • Ein paar allgemeine Aussagen in Bekenntnisform dazu, dass wir Sünder sind und der Vergebung bedürfen,
  • ein Augenblick der Stille, um das für sich persönlich zu konkretisieren,
  • die Frage nach der Reue und dem Glauben, dass die bevorstehende Absolution im Namen und Auftrag Gottes erfolgt,
  • schließlich der Zuspruch der Vergebung, Dank und Segen.

Was ich aber sagen kann: Ich finde diese Form, mit Schuld umzugehen, seltsam. Und zwar auf mehreren Ebenen: Zum einen betont die lutherische Liturgie hier den Zusammenhang von Schuld und Strafe ganz massiv. Indem man das eine bekennt, wendet man das andere ab. Das ist der theologische Aspekt meiner Unzufriedenheit.

Zum anderen scheint mir, dass ich bei dieser Form der „Beichte“ alles Wesentliche doch mit mir selbst ausmache. Das muss kein Schaden sein, aber dann brauche ich auch keinen Pfarrer und keinen hörbaren Zuspruch. Ich habe in der Regel keine große Mühe, ernsthaft zu glauben, dass Gott mir vergibt, wenn mir etwas wirklich leid tut.

Aber es gibt Situationen, wo ich das hören muss, weil ich es nicht glauben kann. Dann aber von jemandem, der (wie Gott auch) tatsächlich weiß, worum es konkret geht, und mich trotzdem nicht verurteilt. Das nämlich hat eine heilsame, befreiende und beflügelnde Wirkung, die sich in der allgemeinen Form, in der alles Konkrete unausgesprochen bleibt, zumindest bei mir nicht einstellt. Es bleibt eine einsame Sache.


Shalone Cason

Und ein letzter Aspekt: Oft muss die Vergebung der Sünden der Erkenntnis derselben vorausgehen. Anders gesagt: Der wahre Charakter meines Denkens und Handelns wird mir erst dann bewusst, wenn ich es nicht mehr beschönigen oder rechtfertigen muss und es zum ersten Mal ehrlich anschauen kann. Beichte wäre für mich dieser Prozess,

  • etwas anzusprechen – ans Licht zu bringen –, das sich ungut anfühlt und mich belastet,
  • ein Gegenüber zu haben, das mich nicht verurteilt, mich wohlwollend anhört und mir damit im Angesicht Gottes
  • einen angstfreien Raum gewährt, in dem sich verknotete Verhältnisse klären und Versöhnung möglich wird.

Kommen wir also mit der allgemeinen Beichte Menschen auf halbem Weg fürsorglich entgegen oder versäumen wir es, ihnen gerade die Schritte zuzumuten (und sie dabei zu begleiten), durch die sie wachsen und heil werden könnten? Ob halb voll oder halb leer – in diesem Glas ist mir zu wenig drin.

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