Menschliche Identität wird in den verschiedenen Lebensaltern ganz unterschiedlich empfunden, schreibt James Hollis in The Middle Passage. Es ist vielleicht ganz hilfreich, sich das hin und wieder ins Gedächtnis zu rufen:
Als Kind erlebt sich das Ego als abhängig von der Welt seiner Eltern. Nicht nur physisch, sondern vor allem auch psychisch. Das Kind identifiziert sich mit seiner Familie. Viele Kulturen haben Mythen und Rituale, die den Abschied aus der Kindesalter und die Verbindung in die weitere Welt begleiten.
Ohne solche Riten erleben viele die Pubertät als verwirrend und destabilisierend. Hollis nennt die Zeit zwischen 12 und 40 Jahren das „erste Erwachsenenalter“. Der heranwachsende Mensch versucht, die „Großen“ nachzuahmen. Die Abhängigkeit des Kindes tritt zurück, beziehungsweise wird sie auf die kollektiv geprägten Rollen des Erwachsenen projiziert: Karriere, Partnerschaft und Elternrolle (und natürlich der „gute Christ“ mit dem „richtigen“ Glauben) verheißen Halt und Sicherheit und dämmen die gelegentlich auftretende Angst ein. Und doch ist dies erst eine recht oberflächliche, schablonenhafte und damit auch vorläufige Identität.
Erst im Übergang zum zweiten Erwachsenenalter brechen die Projektionen zusammen. Die Rollen, die man sich ausgesucht hat, führen keineswegs automatisch zum erfüllten Leben. Enttäuschung und Ernüchterung sind die Folge, der Sinn des eigenen Tuns und Daseins verflüchtigt sich, die Antworten anderer Menschen passen nicht mehr zu den eigenen Fragen. Manche flüchten sich dann in Elternkomplexe und unter den Schirm einer fremden Autorität und die Entwicklung der Persönlichkeit kommt zum Stillstand. Andere stellen sich der neuen Verantwortung, die aus dem Sterben des Egos und erwächst, und fangen an, bewusster und klarer zu leben. Für die entscheidenden Fragen im Leben taugen geborgte Antworten nichts. Die gute Nachricht, schreibt Hollis, die aus dem Tod des ersten Erwachsenenalters folgt, ist dass man sein Leben zurückbekommt.
Die vierte Identität schließlich hat mit dem Bewusstsein der Sterblichkeit zu tun.
Hollis ordnet jeder diese Lebensphasen eine Achse zu: Für die Kindheit ist es die Eltern/Kind-Beziehung. Das erste Erwachsenenalter dreht sich um die Achse zwischen Ego und der äußeren Welt, in der es sich behauptet und einrichtet. Immer, wenn die Achse sich ändert, gerät die bisherige Identität notwendigerweise ins Wanken: Im zweiten Erwachsenenalter bekommt das gedemütigte Ego es mit dem geheimnisvollen Selbst zu tun, das einer größeren Bestimmung folgt als einfach nur zu „funktionieren“, und das der Verstand nie ganz zu fassen bekommt. Die vierte Achse ist die zwischen dem Selbst und Gott: Was ist meine ganz eigene Rolle als vergänglicher Mensch im kosmischen Drama?
Bei aller Konfusion, die diese Übergänge mit sich bringen, ist es doch auch tröstlich, dass wir alle vor der gleichen Aufgabe stehen.