Was sagt einer, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, zu glauben, dass alles Schlechte, das auf der Welt geschieht, das Ergebnis eines böswilligen Gottes ist, wenn er morgens aufwacht und aus dem Fenster schaut und die Welt noch immer so beschissen ist, wie sie es immer war?
Er sagt: „Scheiße.“
Das jedenfalls habe ich gesagt.
Das muss man gelesen haben: Shalom Auslander in einem hinreißenden Abrechnung mit Gott, oder besser: den gewalttätigen und strafenden Gottesbildern des christlichen Fundamentalismus und des konservativen Judentums, in der Zeit.
Sehr guter Text. So was kann nur ein Jude schreiben. Das gleiche Thema in Romanform, mit demselben Humor als Buchempfehlung:
„Weiß Gott“ von Joseph Heller. Antiquarisch kaufen z.B. hier: http://tinyurl.com/yz2yens
Was ich als Atheist allerdings nicht nachvollziehen kann, ist das Gefühl des „Fehlens von Verantwortlichen“, was einige exGläubige in ihrem „neuen Leben“ so deprimiert. Kann mir das jemand erklären?
Alle Atheisten/Agnostiker die ich kenne, sind zufrieden damit, verantwortliche Personen und Vorgänge auf der diesseitigen Welt identifizieren zu können und entsprechend damit umzugehen. Ob allerdings diese identifizierte „Verantwortlichkeit“ immer zurecht zutrifft, steht auf einem anderen Blatt… 😉 Gerade Linke neigen sehr dazu, „der Gesellschaft“ oder „dem Kapitalismus“ alles in die Schuhe zu schieben.
Gruss Frank
ich kann’s auch nicht erklären, scheint mir aber doch mit der Erziehung zu tun zu haben, alles in Schuldkategorien zu sehen – das ist ja noch etwas anderes als „Verantwortung“. Und wenn man mal z.B. René Girard liest, dann versteht man, dass Glaube auch zum Gegenteil führen kann, nämlich der Überwindung des Sündenbock-Mechanismus, der hier so genial beschrieben wird.
Es gibt auch Naturkatastrophen usw., für die es keine Verantwortlichen gibt. Auch gesellschaftliche Bewegungen scheinen manchmal unabwendbar zu sein. Wer die Menschen wirklich erreichen will, muss wohl bereit sein, sich kreuzigen zu lassen.
Stimmt! Ich glaube, „Schuld“ ist der richtige Ansatz. Schuld für vermeintliches Fehlverhalten der eigenen Person oder anderer Personen in Beug auf den angeblich bekannten Willen Gottes. Haben die nie was davon gehört, dass Gott unergründlich ist, d.h. unerforschlich und unserem Verständnis unfassbar (Jesaja 40,28; Psalm 145,3; Römer 11,33-34).?
Könnte sein, dass diese Leute Dichotomie denken und zusätzlich alles in moralische Kategorien fassen müssen?
Andere sagen: „Das passiert halt.“, wenn ein Unfall, ein Erdbeben o.ä. zu einem Verlust führt. Jemand, der „Erklärung des Sinns“ benötigt, wird dann entweder sich selbst oder einer strafenden Gottheit die „Schuld/Verantwortung“ geben. Das erste bringt früher oder später Depressionen, das zweite Unruhe und bei vielen dann Fanatismus, wenn man es „Gott“ recht machen und andere Menschen „Gottes Willen“ unterwerfen will.
Brecht schrieb mal:
„Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe.
Herr K. sagte: „Ich rate dir, nachzudenken,
ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde.
Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen.
Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit
behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden:
Du brauchst einen Gott.“
Gruss Frank,
der weder was gelernt hat.
und da wäre noch die totale Unfähigkeit, in komplexen Zusammenhängen zu denken. Es muss für solche Menschen immer eine (!) lineare Ursache-Wirkung-Relation geben. „Meine Rabbiner haben mich gelehrt, dass es ein unmittelbares Verhältnis von Ursache und Wirkung zwischen meinen Handlungen und meinem Schicksal gibt“ – Logiken den Trivialen, und wenn die auf eine Obsession mit Schuld/Moral treffen, dann wird es bitter. Denn dann muss auch ein Erdbeben moralische Schuld als Ursache haben.
Jesus dreht solche Zusammenhänge in Johannes 9 übrigens um: Der Blindgeborene ist blind nicht deswegen, weil jemand gesündigt hätte, sondern er wird gesund, damit (die „Ursache“ des Geschehens liegt also in der Zukunft, Jesus denkt Zeit anders herum!) sich Gottes Wirken an ihm zeigt.
Wenn man mal so an Dinge herangeht und fragt, wie man mitwirken kann, um etwas zu heilen oder zu verbessern, dann wird auch praktisch ein Schuh draus.