Der Karneval der Seelen

Ein lustiger Zufall, dass ich diesen Post am 11.11. schreibe: Peter Rollins fragt Im fünften Kapitel von Insurrection nach den Ängsten, die uns zu allerlei Versteckspielen treiben. Mit Tillich (hier nennt er erfreulicherweise seine Quellen) identifiziert er die Angst vor dem Tod und der Sinnlosigkeit, die es jeweils in milder und akuter Form gibt. Der „religiöse Gott“ dient als Schutz gegen beides, wir weichen ihnen aber auch aus durch Flucht in Zerstreuung und Konsum oder in die Arbeit – alles was verhindert, dass wir zu sehr ins Nachdenken kommen und uns den Ängsten stellen müssen.

Freud wies darauf hin, dass uns das Verdrängte im Traum einholt, mit Lacan und Zizek deutet Rollins an, dass man aber auch vor der existenziellen Wahrheit eines Traumes wieder in den Wachzustand „flüchten“ kann. Die Geschichten, die wir über uns erzählen und die unsere Identität beschreiben, können ähnlich irreführend sein wie die selektiven und geschönten Selbstdarstellungen, zu denen uns soziale Netzwerke verleiten. Die Wahrheit über uns erfahren wir, wenn wir auf das schauen, was wir konkret tun.

Aber wir haben gelernt, mit der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu leben – wir ironisieren unser Selbstbild einfach. so gelingt es uns, auch vor uns selbst zu verschleiern, was uns wirklich antreibt. Wir müssen nicht hinter bzw. unter der Oberfläche suchen, sondern es liegt alles offen zu Tage, und gerade so ist es am raffiniertesten versteckt, indem es gerade nicht versteckt wird. Das „Herz“ eines Menschen, sagt Rollins mit Bonhoeffer, ist nicht das unsichtbare Innenleben, sondern es liegt offen zu tage, aber wir können es oft genug nicht entschlüsseln – so wie in einem Krimi oft alle Indizien auf dem Tisch liegen und man trotzdem nicht auf Anhieb sagen kann, was die Lösung des Rätsels nun ist. Wir aber bleiben uns selbst oft genug ein Rätsel.

Die Differenz zwischen dem, was wir glauben und wie wir handeln, ist ein beliebter Topos für Moralpredigten. In Wirklichkeit, sagt Rollins, stimmt das so nicht. Wir leben so, weil wir in Wirklichkeit glauben, dass das richtig oder besser ist, oder dass die Welt nun mal so funktioniert. Er bezieht sich hier auf Paulus, der schreibt, dass das Gesetz nicht nur vor der Sünde warnt, sondern zugleich den Anreiz zur Übertretung darstellt. Und als solches hält es uns in einem Dauerkonflikt gefangen, aus dem nur die Gnade befreit.

Das Thema Gnade illustriert Rollins dann mit eine fiktiven Geschichte von einem Sohn, der gegen seinen Vater, einen asketischen Gutmenschen, rebelliert, bis dieser jegliche Erwartung, sein Sohn könne sich ändern aufgibt. In just diesem Moment ist der Weg für den Sohn frei, sich zu verändern. Das ist eine schöne Geschichte, aber eben auch wieder erstaunlich konventionell in der Konkretion (so wie im vierten Kapitel der Verweis auf Mutter Theresa ja auch kein theologisches Sondergut darstellte. Predigten, die seinen Lösungsvorschlag aufnehmen, habe ich oft und an vielen unterschiedlichen Orten gehört). Insofern ist es dann wieder irritierend, wenn Rollins diese vermeintlich bahnbrechende Erkenntnis mit dem Hinweis versieht, die Kirche in ihrer heutigen Gestalt sei eine Veranstaltung, deren Struktur und Gottesbild darauf angelegt sind, Angst zu vermeiden und den Status quo zu garantieren statt für Veränderung zu sorgen und Verunsicherung zuzulassen.

Rollins beschreibt intelligent und aufmerksam Strategien der (Selbst-) Täuschung. Seine Lösung ist dann weniger originell als seine Analyse, und mit der pauschalisierenden Kritik und Abwertung anderer wirft er zwischen den Zeilen die Frage auf, ob er nicht immer wieder denselben Täuschungsmechanismen erliegt, die er so scharfsinnig seziert. Wahrscheinlich würde er das gar nicht bestreiten…?

Share

Eine Antwort auf „Der Karneval der Seelen“

  1. hallo peter,
    vielen dank für deine insurrection-reihe – im übrigen auch für deinen gesamten blog, der mich immer wieder neu zum nach- und umdenken bringt. hiermit habe ich mich nun wohl auch als treuer leser deines blogs und großer verehrer deines denkens geoutet;)..aber gut, genug der lorbeeren, zurück zum thema):
    ich lese insurrection sozusagen parallel zu deinen posts und mir kommen ähnliche fragen. auseinandernehmen, sezieren und analysieren beherrscht rollins offensichtlich sehr gut. beim zusammensetzen scheinen ihm aber bisweieln die ideen auszugehen und so verstrickt er sich, da stimm ich dir zu, in selbstwidersprüchen. (bsp. mutter theresa) da nimmt er was fein säuberlich auseinander, um beim zusammenbauen wieder dieselben fehler zu machen die er zuvor aufgedeckt hat.

    alles in allem fällt rollins religionskritik (so versteh ich sein buch bisher) ja ziemlich vernichtend aus. sowohl an der gemeinsam gelebten glaubenspraxis, als auch an der persönlichen, wenn man das überhaupt trennen kann und darf, lässt er nicht viel gutes. und als solche finde ich seine argumente ziemlich schlagkräftig. leider fehlt mir bisher bei aller guten und berechtigten (pauschal??-)kritik, das erwartete „konstruktive element“ und so bleibt es eine weitreichende kritik, die zwar hier und da sicherlich noch der nachbesserung bedarf aber dennoch zu überzeugen vermag. (oder vielleicht nur von rollins teils ausufernder polemik befreit werden muss). seine analysen sind ja soweit ziemlich gut und augenöffnend, aber was folgt daraus? was ist die (theologische) konsequenz? vielleicht kommt er dazu ja noch auf der schlussgeraden oder aber das ist genau der haken, der anscheinend dem leser selbst überlassen wird: zu sehen, was von „seinem gott“ bzw. glauben noch übrig bleibt und wie das wiederum konstruktiv in die eigene lebenspraxis überführt werden kann?!

Kommentare sind geschlossen.