Ich habe hier schon eine ganze Weile nichts mehr zur Klimathematik geschrieben, weil es genug gute und wichtige Beiträge anderswo gibt. In den letzten Tagen hat es mich aber doch wieder gepackt. Die Widersprüche sind es, um es genau zu sagen.
Bittere Wahrheit
Bento glänzt nicht mit intellektuellem Anspruch, aber Fridays for Future erscheint immerhin in der Menüzeile. Auf den Zug ist man offenbar aufgesprungen. Nun hat sich Helene Flachsenberg dort über den CO2-Rechner des Bundesumweltamtes beschwert, weil der ihr eine schlechte Klimabilanz erstellt hat. Der Grund: Ein Langstreckenflug nach New York. Damit hat sie alles, was sie im Alltag eingespart hat, mit einer einzigen Reise wieder in die Luft gepustet.
Dass ich zu meinem Geburtstag etwas Besonderes erleben wollte, und dann auch noch in die USA, diese Hochburg von Industrialisierung und Kapitalismus reiste, erscheint mir auf einmal grenzenlos egoistisch. Wie die größtmögliche Frechheit, die ich unserem Planeten antun konnte.
Helene Flachsenberg

So klagt die Autorin über das schlechte Gewissen, dass ihr „gemacht“ wird. Und eine Art Sündenbock findet sie auch, nämlich RWE mit seinen Kohlekraftwerken. Überhaupt, die Konzerne und das irre Märchen vom nachhaltigen Konsum…
Vielleicht hätte sie, bevor sie in die Tasten griff, doch besser Felix Ekards feinen Text auf Zeit Online lesen sollen. Wie übel Langstreckenflüge (freilich Fliegen überhaupt) zu Buche schlagen, ist ja wirklich keine Neuigkeit. Da reißt man quasi mit dem Hintern wieder ein, was man mit den Händen an CO2-Einsparungen aufgebaut hat:
Selbst wer regional und bio einkauft, in einem gedämmten Mehrfamilienhaus wohnt und jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, der liegt, sobald ein, zwei Flugreisen in ferne Länder dazukommen, weit über dem deutschen Durchschnitt von elf Tonnen pro Kopf und Jahr.
Susanne Götze im „Freitag“
Der CO2-Rechner ist einfach nur ein Spiegel. Flachsenberg gefällt schlicht das Bild nicht, das sie darin abgibt: Ein bisschen wie der Frust, wenn das große Stück Sahnetorte die Diät und die Joggingrunde zur Makulatur macht – und man plötzlich auf die perfiden Tricks der Bäckerinnung oder der Hersteller von Personenwaagen schimpfen würde.
Glaubwürdigkeit ist gefragt
Natürlich ist und bleibt es eine politische Aufgabe, die Energie- und Verkehrswende voranzutreiben. Aber das entbindet uns als einzelne doch nicht von der Verantwortung für unsere Gewohnheiten. Auch nicht im Urlaub. Im Grunde müssen wir alle jetzt schon anfangen, so zu leben und zu reisen, dass es so klimaverträglich wie irgend möglich ist. Und an einen Punkt kommen, wo es für uns in Ordnung ist, dass uns der Verzicht schmerzt (und wir es aushalten, statt auf RWE zu schimpfen). Umso mehr, als man täglich in den sozialen Medien Freunde und Bekannte sieht, die hier- und dorthin zu ihren Sehnsuchtsorten jetten und im nächsten Moment wieder Zitate von Greta Thunberg liken, ohne sich dabei viel zu denken.
Vielleicht sollte, wer künftig als Tourist in ein Flugzeug steigt – egal wohin – eine Schamfrist einhalten, bevor sie/er wieder Greta-Zitate und grüne Slogans postet. Vierzig Tage Glaubwürdigkeitsfasten wären ganz ok. Für einen Interkontinentalflug vielleicht drei Monate. Nicht aus fremdinduzierter Scham, wie Flachsenberg insinuiert, sondern um ein so wichtiges Anliegen nicht durch die eigene Doppelbödigkeit in Misskredit zu bringen.
Dazu meine nächste, wirklich ernst gemeinte Frage: Sollten wir als Pfarrkollegien und Gemeindegruppen künftig noch nach Israel, in die USA oder auf FreshX-Tagungen in Nordengland fliegen? Oder rechtfertigen Begegnung, ökumenisches Lernen und Kulturaustausch die Wunden, die das Reisen schlägt?
Reisen wie zu Omas Zeiten?
Ich habe nachgesehen, wie lange ein Bahnfahrt von Erlangen nach London dauert: Sie ist in unter acht Stunden möglich. Mit dem Flugzeug kann man das (CheckIn, Wartezeiten und die Transfers von und zum Flughafen eingerechnet) in etwas mehr als der Hälfte der Zeit schaffen. Für Glasgow oder Dublin (Ziele, die für mich interessant sind) erweitert sich die Reisezeit entsprechend um weitere 5 bis 8 Stunden. Also nichts für einen Kurztrip übers Wochenende.
Andererseits ist der Gedanke an Wochendendausflüge über tausend Kilometer und mehr ein relativ junges Phänomen: Als ich mit 16 das erste Mal nach England reiste, kam Fliegen nicht in Frage. Abgehalten hat es uns damals nicht. Dahin heißt es nun zurückzukehren. Ich lerne so manches von meinen Kindern. An diesem Punkt können wir die Lernrichtung zwischen den Generationen vielleicht mal umkehren: Nicht nur alte Gemüsesorten anbauen und essen, sondern auch Reisen wie die Großeltern damals in den Sechzigern. Statt immer gleich in die Luft zu gehen.
Nein, das Billigflugzeitalter hat keine Zukunft.