Deutsch zum Abgewöhnen (10): „Abgreifen“

Ich greife ja hin und wieder Dinge auf und freue mich, wenn andere Ähnliches tun. Aber im Gegensatz zum Aufgreifen – eines Gedankens, eines Vorschlags, eines Trends oder einer Idee – hat die Vokabel „Abgreifen“ in letzter Zeit eine ausgesprochen widerliche Bedeutung angenommen.

Sie hat sich im Vokabular der Schnäppchenjäger, Vorteilsnehmer und Geiz-ist-geil-Schreihälse etabliert und kennt dabei keinerlei geistige Dimension, sondern nur die monetär-materielle Ebene; sie kennt auch kein Verantwortungsgefühl (etwa die Frage nach den Folgen des eigenen Handelns für andere), das Abgreifen ist ein dumpfer Reflex des kalkulierenden Ego (so gesehen sagt das hässliche Wort leider immens viel über die Zeit aus, in der wir leben), so wie ein Huhn nach einem Korn pickt, das auf seinem Weg liegt oder eine Zecke sich an ihrem Wirt festsaugt. Es ist ein parasitäres Verhalten.

Insofern freue ich mich über alle, die diesen Trend nicht aufgreifen – weder sprachlich noch im eigenen Handeln – und hoffe, dass der Begriff bald so abgegriffen ist, dass er wieder aus dem allgemeinen Spachgebrauch verschwindet. Noch schöner wäre ja, er verschwände, weil man ihn gar nicht mehr braucht, um menschliches Verhalten damit zu bezeichnen.

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Mut und Mythos

Meine Ferienlektüre hat mich von dem orthodoxen Theologen David Bentley Hart zum serbischen Polit-Aktivisten Srdja Popovic geführt. Vielleicht erklärt das, warum ich über einen Absatz bei Popovic noch mehr gestolpert als sonst vielleicht (gut, man kann nur stolpern oder nicht – aber es hat mich eben um so länger beschäftigt).

Popovic steht wie alle Aktivisten immer wieder vor dem Problem, dass man gegen die erdrückende Übermacht eines Systems steht und darüber zu resignieren droht. Da er kein religiöser Mensch ist, behilft er sich mit Tolkiens „Herr der Ringe“, der wie eine Art „heilige Schrift“ für ihn ist:

Ich hatte immer einen kleinen Tolkien-Schrein in meinem Zimmer, und selbst in den dunkelsten Stunden unserer Proteste, in denen Milosevic und der Irrsinn der „ethnischen Säuberungen“ alles zu beherrschen schien, griff ich zu meinem zerlesenen Exemplar von Tolkiens Buch und fand Zuversicht in dessen Seiten. In meiner Lieblingsszene sagt die Elbenfürstin Galadriel zum Hobbit Frodo: „Selbst der Kleinste vermag den Lauf des Schicksals zu verändern.“ (Protest! S. 26f.)

Popovic macht sich Mut, indem er einen populären Mythos bemüht. Später im Buch verweist er darauf und nennt Tolkiens Fiktion ganz naiv den „größten gewaltlosen Kampf der Geschichte“. Vielleicht ist das ja ein Übersetzungsfehler. Wenn nicht, dann ist es eine erstaunliche Aussage: Popovic tut buchstäblich so, als wäre Tolkiens Epos historische Wirklichkeit – und zwar eine maßgebliche, an der man sich orientieren und ausrichten kann und soll, weil sie eine moralische Wahrheit über diese Welt enthält: Den Sieg des Guten über das Böse, die erstaunliche Macht der Schwachen, die Bedeutung des Glaubens gegen allen Augenschein, und gerade in den düstersten Momenten diese Aura des Übernatürlichen, dem dieser Glaube gilt (wenn mal wieder die Adler heranfliegen – die Symbolik spricht ja Bände).

 

Denn die „natürliche“ Welt – und jetzt bin ich wieder bei Hart –, insofern sie aus materiellen  Prozessen und kontingenten Entitäten besteht, die ohne Bezug auf irgendeine Transzendenz existieren, gibt eine solche Hoffnung einfach nicht her. Sie erlaubt keine Vorstellung von Geschichte als einem irgendwie zielgerichteten Geschehen – bei Tolkien deutet sich das Moment einer Vorsehung an vielen Stellen an. Ein materialistisches Weltbild gibt schließlich auch keine Begründung von Wahrheit, Schönheit und Güte her, die über soziale Konstruktion oder subjektive Intuition hinausreicht.

Freilich ist es völlig legitim, sich mit Tolkien zu motivieren. Popovic ist Aktivist, kein Philosoph (er erläutert seine Vorstellungen von Welt und Wirklichkeit auch nicht näher), und so lange er für seinen Einsatz irgendeinen Grund findet, ist das zu begrüßen. Ich kann auch verstehen, dass die Geschichte der europäischen Christenheit nicht immer den  Eindruck erweckt hat, dass hier jemand an gewaltlosen Veränderungen zum Nutzen aller interessiert ist.

Ich glaube nur, mir wäre es wichtig, dass die Sache, für die ich mein Leben einsetze (und das tut Popovic, vorbildlicher, engagierter und gläubiger als viele religiöse Menschen) einen tieferen Grund hat. Im Übrigen wäre Jesus – rein historisch betrachtet, Gandhi fand das ja auch – gar kein schlechtes Vorbild für gewaltfreien, kreativen und mutigen Protest. Und wenn man dann noch fragt, was Jesus angetrieben und zu diesem verblüffenden Paradigmenwechsel zur Feindesliebe hin motiviert hat, dann käme am Ende beides doch noch zusammen.

Wenn man schon an Gandalf und Galadriel glauben kann (in dem Sinne, dass ihre Geschichte die Wahrheit über mein Leben und diese Welt aussagt), dann kann man genauso gut, wenn nicht besser, an das Evangelium glauben. Die erstgenannte Geschichte ist nachweislich und unzweifelhaft erfunden. Und sie ist bekanntlich inspiriert von letzterer, die nicht irgendwo in Mittelerde, sondern im realen Krisenherd Nahen Osten stattgefunden hat. Tolkien selbst hat im Gespräch mit C.S. Lewis die Position vertreten, das Evangelium sei Mythos und historische Wahrheit zugleich.

Zur Wahrheit gehört leider auch, dass es noch viel einfacher wäre, das zu glauben, wenn nicht viele Christen aus dem Evangelium eine Geschichte über private Erlösung und/oder eskapistische Jenseitsphantasien gemacht hätten und sie zur persönlichen Bereicherung oder zur Legitimierung von Macht, Gewalt und Unterdrückung missbraucht hätten.

Popovic schließt sein Buch übrigens mit dem berühmten Satz von Martin Luther King, dass der Bogen der Geschichte sich zur Gerechtigkeit hin neigt, und hofft, King möge Recht behalten. Da ist er wieder, der Glaube.

https://twitter.com/ChurchModern/status/635133225418027009/photo/1

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Die Ökonomie der Werte

Der spätmodernen Gesellschaft geht es im Prinzip darum, Dinge zu kaufen, in immer größerer Vielfalt und Überfluss, und so muss sie danach streben, immer mehr Bedürfnisse zu fabrizieren, die sie befriedigen kann, und möglichst viele Beschränkungen und Verbote des Begehrens abzuschaffen. Eine solche Gesellschaft ist implizit atheistisch und muss langsam, aber sicher, die Auflösung transzendenter Werte betreiben. Sie kann nicht zulassen, dass uns letztgültige Güter von den nächstliegenden Gütern ablenken. Unsere heilige Schrift ist die Werbung, unser höchstes Ideal die persönliche Wahl. Gott und die Seele behindern zu oft das Verlangen, etwas zu erwerben, auf dem der Markt beruht, und konfrontieren uns mit Werten, die in schroffer Rivalität zu dem einen wahrhaft substanziellen Wert im Zentrum unseres sozialen Universums stehen: dem Preisschild.

David Bentley Hart, The Experience of God, S. 313.

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Stiefkinder müssen zusammenhalten

Liebe Leidensgenossen, die öfter emissionsfrei auf zwei als abgasend auf vier Rädern unterwegs sind,

die Verkehrspolitik (vor allem da, wo sie Politik ist und von der schwerreichen KFZ-Lobby „mitgestaltet“ wird) betrachtet uns immer noch als Stiefkinder. Die KFZ-Nutzer sehen uns als lästige Konkurrenz, die ihren ungebremsten Vorwärtsdrang hemmt. Also werden wir, wenn wir die Straße nutzen, mit 30 cm (statt 1,50 m) Abstand überholt und, wenn auf dem Radweg fahren, beim Rechtsabbiegen gefährlich geschnitten. Verkehrsminister wollen uns gern mal pauschal als Rüpel darstellen – Autofahrer halten sich ja, wie wir alle wissen, sämtlich tadellos an die StVO. Schließlich gibt es noch meine besonderen Freunde: Hundehalter und ihre Vierbeiner, die uns mit Teleskopleinen (ein klares Indiz für (a) schlecht erzogene Tiere und (b) faule, unaufmerksame Halter) auflauern, die sich blitzschnell quer über jeden Radweg spannen lassen. Dass uns oft der Wind ins Gesicht bläst — gut, das gehört eben dazu.

Wir haben also einen schweren Stand. Und daher brauchen wir einander.

Ich rede jetzt nicht davon, einen neuen Verband zu gründen oder Online-Petitionen anzuklicken. Einiges könnte durch ein paar Kleinigkeiten verbessert werden, die wir selbst in der Hand haben. Zwei davon fallen mir täglich auf – man kann keine Viertelstunde durch die Stadt radeln, ohne dass man sie antrifft:

  • LICHT: Die Zeit quietschender und bei Nässe streikender Reifendynamos nebst gelblich funzelnder Birnchen, die ständig kaputt gehen, ist längst vorbei. LED-Lampen, ob mit Batterie oder Nabendynamo gespeist, sind erschwinglich und hell, es gibt heute keine Ausrede mehr dafür, unbeleuchtet herumzufahren. Es doch zu tun, ist verdammt gefährlich, und zwar nicht nur für Euch selbst, sondern auch für alle anderen.
  • GEISTERRADLER: Auch der deppertste Autofahrer schafft es noch, rechts zu fahren oder die Fahrtrichtung einzuhalten. Warum können das so wenige von uns? Egal ob auf dem Radweg oder auf einem dieser markierten Fahrradstreifen am Fahrbahnrand, oder in Einbahnstraßen, die nicht ausdrücklich für Räder in beiden Richtungen freigegeben sind, gegen die Fahrtrichtung ist man verdammt gefährlich unterwegs. Neulich habe ich gelesen, dass es das Unfallrisiko verfünffacht. Frontalzusammenstöße unter Radfahrern sind enorm verletzungsträchtig.
Lie Down in memory of Road Traffic Accid by onlinejones, on Flickr
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Neulich kam ich auf dem Radweg um eine Rechtskurve und da schoss mir – gegen die Fahrtrichtung – eines dieser schnellen e-Bikes eines örtlichen Pizzalieferdienstes entgegen. Die Dinger sind fast 40 km/h schnell und schwer, die Reaktionszeit war also minimal. Wir haben einander nur deshalb knapp verfehlt, weil ich eine Vollbremsung hingelegt habe. Ich habe ihm dann freundlich, aber unmissverständlich die Meinung gesagt. Es wäre allen geholfen, wenn wir das öfter täten.

Und dann machen wir alle zusammen dasselbe (Meinung sagen) mit den Autofahrern, auch wenn die sich gern hinter getöntem Glas und lauter Musik verschanzen.

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Muss man sich Liebe leisten können?

Die Redaktion des Duden postete – aus aktuellem Anlass – am Freitag auf Facebook die Definition einer christlichen Kardinaltugend:

In Anbetracht der aktuellen Nachrichtenlage möchten wir heute ein Wort erklären, das wir für sehr wichtig halten:
Nächstenliebe, die: innere Einstellung, aus der heraus jmd. bereit ist, seinen Mitmenschen zu helfen, Opfer für sie zu bringen.
Synonyme: Anteilnahme, Erbarmen, Mitgefühl, Teilnahme.

Die Frage, über die in endlosen Variationen gestritten wird, ist derzeit freilich die, ob Nächstenliebe eine romantische und/oder religiöse, in jedem Fall aber sentimentale Illusion ist, der nachzugeben unklug und teuer wäre. In diesem Fall würde Nächstenliebe als Kriterium für „Realpolitik“ (wie es dann so gern heißt) ausscheiden. Die plakativen und zum Teil bewusst anstößigen Aktionen des Zentrum für Politische Schönheit etwa klagen die bedingungslose Pflicht zur Hilfe gegenüber Flüchtlingen ein, und das in einer Weise, die an die Kompromisslosigkeit der biblischen Propheten erinnert: Wo es um Menschenleben geht, ist alles Rechnen, was wir uns denn leisten können, fehl am Platz.

Just diese Diskussion behandelt David Bentley Hart in Experience of God. Er beschreibt, wie Nächstenliebe in einem materialistisch-mechanistischen Weltbild als verwirrender „Altruismus“ erscheint. Denn eigentlich lässt diese Vorstellung von der Welt kaum eine Vorstellung von Moral zu, außer in der Form von Verhaltensweisen, die sich im Zuge der natürlichen Selektion als vorteilhaft erwiesen haben. Man kann vom Nützlichen reden, aber das ist nicht dasselbe wie das Gute.

Simone Martini [Public domain], via Wikimedia Commons
Die Frage ist für Hart nicht, ob Altruismus sich hin und wieder auch als nützlich erweisen könnte (das tut er zweifellos), sondern wie er mit rein materialistischen Prämissen zu erklären und zu beschreiben ist. Für Richard Dawkins gehört nur der Egoismus zur Grundstruktur der Evolution, und auch für den Wissenschaftsjournalisten Robert Wright liegt aller Nächstenliebe die Erwartung zugrunde, selbst von den Folgen des eigenen Tuns zu profitieren. Hart nimmt sich ein paar Seiten Zeit, Wrights Argumentation zu zerpflücken und ihre logischen Brüche darzulegen. Freilich könne man immer postulieren, dass jedes Verhalten sich entweder als Eigeninteresse erklären lässt oder als eine zufällige Begleiterscheinung desselben. Wie aber lässt sich dann das menschliche Bedürfnis erklären, nicht selbstsüchtig zu wirken?

Das hieße auf aktuelle Diskussionen wie etwa Flüchtlinge und Schuldenerlass angewandt: Tyrannisieren idealistische „Gutmenschen“ sich und andere mit einem illusionären moralischen Anspruch , der weder nützlich noch einlösbar ist? Ist ihre scheinbare Selbstlosigkeit, wie oft unterstellt wird, nicht nur eine besonders raffiniert verbrämte Selbstsucht (und wäre diese Selbstsucht daher verwerflich)? Hart geht dem Gedanken nach, Altruismus beruhe auf eines Selbsttäuschung:

… wenn wir überzeugt sein müssen, dass wir aus uneigennützigem Antrieb handeln, dann muss es in uns eine echte Veranlagung zum Altruismus geben, der wir um unseres inneren Gleichgewichts willen nachkommen müssen. Wir können uns nur dann vortäuschen müssen, dass unser Handeln selbstlos ist, wenn wir in unseren moralischen Intentionen tatsächlich selbstlos sind; die Illusion der Selbstlosigkeit würde daher die Wirklichkeit der Selbstlosigkeit beweisen, zumindest als ein Ideal, das uns leitet. (S. 269)

Wenn es um Nächstenliebe und Menschenrechte geht, geht es nicht mehr nur um das Nützliche und Pragmatische, sondern es geht um Ideale und etwas Absolutes. Nun muss man gewiss kein religiöser Mensch sein, um sich dafür einzusetzen. Aber Hart erinnert daran, dass man über die Ökonomie der Nützlichkeit hinausgeht und und -denkt, wenn man die Wirklichkeit des Guten und Unbedingten voraussetzt:

Jede wahrhaft ethische Handlung ist ein Akt hin zum Transzendenten, ein Willensentschluss, zu dem man sub specie aeternitatis gelangt, und eine Aufgabe, die man um einer Sache willen übernimmt, die jenseits dessen liegt, was wir als Natur kennen. Ethik hat, wie das Wissen auch, notwendigerweise eine transzendentale Logik. Jede Tat, die um ihrer moralischen Güte willen getan wird, ist ein Glaubensakt.

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Natürlich sorglos

schlossgarten

Jesus spricht in der Bergpredigt über die Sorge und das Vertrauen, und wie ein Blick auf die Blumen und Vögel letzterem auf die Sprünge hilft. Ich habe mir letzte Woche ein paar Gedanken dazu gemacht, was das für uns heute bedeuten kann. Vielleicht ist jetzt die ideale jahrezeit, um dieser Spur einmal gründlich nachzugehen.

Leider lässt sich die tolle Kulisse des Erlanger Schlossgartens hier nicht simulieren, die wir vorgestern beim OpenER-Gottesdienst genießen konnten. Aber wer möchte, kann hier meine Gedanken vom Sonntag nachhören  (nebenbei: es ist die vermutlich kürzeste Predigt, die ich in diesem Kalenderjahr gehalten habe).

Wer mag, kann sich den Podcast ja irgendwo an einem schattigen Plätzchen in der Natur anhören und gleich praktisch werden.

 

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Etwas zu sagen finden

Für alle, die sich auf die Ferien freuen, ein Zitat von Gilles Deleuze, das ich bei Byung-Chul Han am Ende von Psychopolitik gefunden habe. Es geht um Ruhe, Freiheit und das Schweigen:

Die Schwierigkeit ist heute nicht mehr, dass wir unsere Meinung nicht frei äußern können, sondern Freiräume der Einsamkeit und des Schweigens zu schaffen, in denen wir etwas zu sagen finden. Repressive Kräfte hindern uns nicht mehr an der Meinungsäußerung. Im Gegenteil, sie zwingen uns sogar dazu. Welche Befreiung ist es, einmal nichts sagen zu müssen und schweigen zu können, denn nur dann haben wir die Möglichkeit, etwas zunehmend Seltenes zu schaffen: Etwas, das es tatsächlich wert ist, gesagt zu werden.

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Wende und Wandlung

Vor einer ganzen Weile schrieb ich hier über Joanna Macys ökologischem Narrativ der großen Wende, das sie in Active Hope: How to Face the Mess We’re in Without Going Crazy von zwei anderen populären Erzählungen unterscheidet, nämlich dem Business as Usual und der apokalyptischen Geschichte vom großen Crash, zwischen denen unsere Politik in der Regel oszilliert, im Merkelland mit starker Tendenz zum ersten.

Die Sache beschäftigte mich noch einmal beschäftigt, als ich diese Woche Frederick Buechners Telling The Truth. The Gospel as Tragedy, Comedy and Fairy Tale las. Für Buechner hat die Tragik, mit der es die Wahrheit über die Menschen und die Welt immer zu tun hat, mit dem Unvermeidlichen zu tun, während er die Komik mit dem Unerwarteten assoziiert. Das Märchen schließlich ist die wundersame Wandlung. Eine tiefere Dimension der Wirklichkeit kommt zum Vorschein, das wahre Wesen der Dinge enthüllt sich: Die Königin ist in Wirklichkeit eine Hexe, der Frosch in Wirklichkeit ein Prinz. Es wird keineswegs immer alles gut, schon gar nicht alles auf einmal, aber immer bricht die Hoffnung durch Finsternis und Resignation.

Die Parallele zwischen  Märchen und dem Narrativ der Wende liegt auf der Hand. Man kann das Evangelium freilich kaum als „alles gut – weiter so“-Geschichte lesen. Man muss nur bis zum Magnificat blättern, um zu sehen, das der Status Quo (obwohl beliebt bei der kirchlichen Bürokratie) keine Option ist. Die apokalyptischen Elemente mit ihren Bildern von Krise, Untergang und schmerzhaften Geburtswehen hingegen  sind, wie im Grunde die Tragik bei Buechner auch, nicht das letzte Wort, sondern das vorletzte. Allerdings eines, das ernst genommen werden will.

Der Dreiklang bei Buechner könnte Macys Narrativ noch mehr Tiefe geben: Unser aller Tragik ist ja nicht zu leugnen. Ebensowenig lässt sich das Lachen unterdrücken, wenn jemand beim Versuch, besonders würdevoll zu erscheinen, richtig albern aussieht, oder wenn der Underdog die Nase am Ende vorn hat.

Die Dimension des Märchens ist aber noch nicht im glücklichen Zufall erfüllt, sondern sie birgt in sich die Ahnung, dass solche Wendungen (so flüchtig und episodisch sie auch sein mögen) Zeichen sein könnten , in denen sich Größeres ankündigt: eine tiefere Magie. Die Tatsache, dass Märchen bis heute in praktisch allen Kulturen ungemein lebendig sind, könnte ihrerseits ein Zeichen dafür sein, dass sich darin mehr als bloß weltfremdes Wunschdenken oder Zweckoptimismus ausspricht.

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