Pfingsten, die Pfingstler und der Zeitgeist

Ich hatte es letzte Woche ja schon erwähnt: an Pfingsten die Misere der Kirchen zu beklagen, ist ein beliebter, aber alles andere als origineller und wohl auch nicht geistreicher Akt. Exemplarisch dieses Zitat eines traditionalistischen Katholiken, Kardinal Brandmüller, aus der SZ online:

In Afrika und Asien sieht der Kardinal den „Geist des Herrn“ noch mächtig wirken, während in Deutschland „das Schiff der Kirche mit schlaffen Segeln zum Spielball des Meeres, das heißt des Zeitgeistes, wird“.

Ähnliche Töne waren auch im evangelikalen Umfeld des Kapstadt-Kongresses immer wieder zu hören: Anderswo boomen die Kirchen, hier nicht, und das liegt natürlich am Zeitgeist. Von dem müssen wir wieder weg. Die Rhetorik erinnert an den Antimodernismus des 19. Jahrhunderts und dessen evangelikales Gegenstück, den Fundamentalismus Anfang des 20. Jahrhunderts.

Dabei spielt der Zeitgeist eben auch eine gewichtige Rolle beim Boom. Brian McLaren hat schon bei seinem Besuch 2007 darauf hingewiesen, dass das kirchliche Wachstum fast immer im Zuge von Modernisierungsprozessen stattfindet. Deswegen Afrika und Asien. Und Yan Suarsana beschreibt in dem hier schon erwähnten Buch Christentum 2.0, dass der Erfolg der Pfingstbewegung (zu der er auch charismatische Bewegungen in den historischen Kirchen rechnet), genau damit zu tun hat, dass sie Menschen beim Übergang aus einer vormodernen in eine moderne Welt dabei hilft, ihre Identität neu zu bestimmen: Manche alten Elemente, etwa des Animismus, werden in die (z.B. in ihrer Nutzung von Technik und Kommunikationsmitteln oder Offenheit für Bildung und sozialen Aufstieg) westlich-modern geprägten, dogmatisch nicht festgelegten Theologie und Spiritualität integriert, etwa im Heilungs- und Befreiungsdienst mancher Prediger und Gemeinden. Sein Fazit:

In vielen afrikanischen Ländern fungiert das pfingstliche Christentum so als „Brücke zwischen zwei Welten“, indem es lokale religiöse Vorstellungen integriert und es damit kompatible macht zu den „sogenannten primitiven Religionen, die charakterisiert sind durch Animismus, Geistbesessenheit, Vergöttlichung, Schamanismus und Prophetie“, sich jedoch gleichzeitig von der alten, vermeintlich überholten Symbolwelt distanziert, indem „Ahnen, Geister, Fetische, Zauberei, Jujus und andere Große Götter von nun allesamt an mit dem Werk des Teufels gleichgesetzt werden“. Um diesen Teilverlust im Vergleich zur bisherigen Plausibilitätsstruktur zu kompensieren, wird auf der anderen Seite das Tor zu Neuem geöffnet: Zum einen ist dies eine neue religiöse, dezidiert christliche Plausibilitätsstruktur, zum anderen die Befähigung zur Partizipation an der […] neuen Lebensrealität, die geprägt scheint durch einen westlichen Lebensstil (S. 63)

Kaum jemand, den ich kenne, will nun einer plumpen, unkritschen Kontextualisierung des Evangeliums im 21. Jahrhundert das Wort reden und die Fehler der liberalen Theologie oder des Kulturprotestantismus wiederholen. Nur kann man beim Thema „Zeitgeist“ eben auch den gegenteiligen Fehler machen. In der Spät- und Postmoderne sind die meisten Kirchen noch gar nicht angekommen. Es gibt noch keine „funktionierenden Modelle“, die „reproduzierbar“ wären, und es ist noch nicht einmal sicher, dass sie in dem Maße, wir wir das kannten, wieder existieren werden.

Dass das Christentum dort wächst und hier nicht, ist nämlich beides dem Zeitgeist geschuldet. Die Aufgaben, die es hier zu lösen gilt, bekommen wir nicht in den Griff, indem wir versuchen, diese Erfolgsgeschichten zu imitieren. Das ist der Fehler an der konservativen Rolle rückwärts. Auch dieses Denkmuster der Verweigerung ist übrigens keineswegs typisch christlich – es blüht überall da, wo die Angst vor dem sozialen und gesellschaftlichen Abstieg die Runde macht.

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