Beim gestern schon erwähnten „Runden Tisch“ war eine gewisse Grundspannung hörbar. Da war einerseits Volker Gäckles eher (er)nüchtern(d)e Frage, ob sich der Kongress von Kapstadt und das Cape Town Commitment in seinen „ethischen Passagen“, die den Schwerpunkt bilden, nicht nur der gewachsenen und verstärkt wahrgenommenen Weltverantwortung der Bewegung gestellt, sondern sich mit der Fülle und Komplexität der Themen nicht zu viel vorgenommen und zugemutet haben könnte. Auch die Frage nach einem „Machbarkeitswahn“ eher reformiert-angelsächsischer Provenienz stand im Raum, deren Kontrast die lutherisch-teutonische Selbstbescheidung der Kirche auf die Rechtfertigung des Sünders bildet.
Den Gegenpol bildete Ansgar Hörstings engagierter Aufruf, doch endlich „Maximalisten“ zu werden, wobei die konkrete Näherbestimmung seines Schlagwortes so ausfiel, dass sich kaum jemand noch freiwillig als „Minimalist“ geoutet hätte, der Gott weniger zutraut, als dass er über Bitten und Verstehen unvorstellbar viel Gutes bewirken möchte.
Zwischendurch geisterte auch immer wieder der Begriff „postmodern“ durch die Debatte, in der Regel als vages Synonym für Dinge, die uneinheitlich, widersprüchlich oder einfach nur fremd erscheinen.
Vielleicht könnte das Neue, das alle zu fassen suchten, besser mit der vorsichtigen (mehr ist es noch nicht) Abkehr von Totalitätsansprüchen aller Art beschrieben werden. Wenn das so ist, und wenn die ethischen Appelle gar nicht darauf abzielen, den Himmel auf Erden zu schaffen, sondern nur darauf, das jeweils Mögliche zu tun und damit ein Zeichen zu setzen, dass Gott (und mit ihm sein Volk) sich nicht einfach abfindet mit Unrecht, Leid und heilloser Zerrüttung, deren endgültiges Ende zwar erst Gottes neue Welt bringt, die aber auch jetzt unter den Bedingungen der alten Welt – freilich immer wieder von Neuem – überwunden werden können. dann könnte man doch gut damit leben. Und wenn das einherginge mit dem Verzicht auf theologische Totalitätsansprüche (z.B. auf Unfehlbarkeiten jeglicher Art), dann wäre damit nur die Türe für vertiefte Ökumene und einen respektvollen, aber auch klaren Dialog mit anderen Religionen geöffnet.
Der für (die Postmoderne kennzeichnende) Verzicht auf einen Totalitätsanspruch – darauf, sich der irreduzibel komplexen Welt in einer umfassenden Theorie oder auch einer alle Probleme lösenden Praxis zu bemächtigen – muss keineswegs in einen radikalen oder auch nur naiven Relativismus führen, wie mancher vielleicht minimalistisch-pessimistisch argwöhnt. Man kann ihn christlich auch als die Demut interpretieren, dass unser Tun und Erkennen Stückwerk bleibt. Als dieses Stückwerk ist es aber keineswegs wertlos und kein Grund, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen. Insofern wäre Capetown 2010 mit seiner Tendenz zu einer Hermeneutik der Liebe und deren Praxis vielleicht tatsächlich ein Schritt in eine christliche Postmoderne.