Allah (6)

Koranverbrennungen christlicher Fanatiker und Mordanschläge ihrer muslimischen Geistesverwandten zeigen auch diese Woche, dass ein Miteinander von Christen und Muslimen auf beiden Seiten nicht nur Freunde findet. Miroslav Volf, Mitautor der Yale Response auf das „Common Word“ geht in Kapitel 8 und 9 von Allah. A Christian Response der Frage nach, was Christen und Muslime jeweils unter Liebe verstehen. Eine Erklärung für die Beobachtung, dass im Koran seltener von Gottes Liebe und mehr von seiner Barmherzigkeit und Güte die Rede ist, liegt möglicherweise am Vorverständnis von Liebe im Sinne der (bzw. in Analogie zur) platonischen Philosophie: Dort wird Liebe als Bedürftigkeit verstanden – ohne den anderen fehlt mir etwas. Dieser Gedanke lässt sich auf Gott aber nur mit großen Schwierigkeiten übertragen. Wir sagen wohl, dass Gott uns Menschen gewollt hat und will, aber nicht, dass er uns braucht. Gottes Hinwendung zu uns und seine Großzügigkeit gegenüber seinen Geschöpfen ist aber durchaus ein vertrauter Gedanke für Muslime, wie Volf zeigt. Auf diese Weise sprechen also auch sie von dem, was Christen als die Liebe Gottes bezeichnen.

Dann betrachtet Volf den Zusammenhang zwischen Gottes Liebe und seiner Gerechtigkeit. Das Klischee, auf der einen Seite herrsche das Bild eines strengen Gesetzgebers und auf der anderen Seite ein möglicherweise etwas harmloser oder sentimentaler „lieber“ Gott, geht nicht auf. Christen wie Muslime glauben an den inneren Zusammenhang von Liebe und Gerechtigkeit. Und obwohl dieser auf beiden Seiten Anlass zu vielen Diskussionen gegeben hat, lässt sich doch auch sagen, dass hier wie dort der Gedanke dominiert, dass Gottes Gerechtigkeit ein Aspekt seiner Liebe ist, und nicht umgekehrt.

In den Hadithen findet sich analog zur goldenen Regel der Satz, dass nur der wahrhaft glaubt, der für seinen Nächsten das Gute genauso anstrebt, wie für sich selbst. Auch in diesem Punkt gibt es also eine Übereinstimmung. Volf fährt fort mit einer Betrachtung von al-Ghazalis Ninety-Nine Beautiful Names of God, das aus der mystischen Tradition des Islam schöpft. Was er dort über Gottes Barmherzigkeit, Vergebung und Liebe zur Schönheit entdeckt, unterstreicht sein Fazit:

There are affinities in the way Christianity and Islam understand the fine texture of goodness and love. Similarities in their understanding of God are the reason why these affinities exist.

Den Unterschieden geht Volf in Kapitel 9 nach und findet sie an vier Punkten:

  1. Während Christen sagen können „Gott ist Liebe“, sind Muslime hier in der Regel zurückhaltender. Für sie ist Liebe zweifellos eine sehr wichtige Eigenschaft Gottes, aber sie charakterisiert sein Wesen nicht genauso umfassend wie das im Christentum geschieht.
  2. Gottes Liebe, hier zitiert Volf wieder al-Kahzali, bezieht sich letzten Endes wieder auf ihn selbst zurück: Indem Gott einen anderen liebt, liebt er sich selbst, die Existenz des Anderen (d.h. seiner Schöpfung bzw. des Menschen) ist daher sekundär. Für Christen ist die Liebe zum anderen konstitutiv und Anderssein schon im trinitarischen Wesen Gottes verankert.
  3. Während Gott in beiden Traditionen das Unrecht ablehnt, unterscheiden Christen stärker zwischen Tat und Täter (bzw.Sünde und Sünder) und sehen Gottes Liebe nicht als reaktiv, sonder als kreativ an. Sie entsteht nicht dadurch, dass ihr etwas Liebenswertes begegnet – so sagt es Luther in der Heidelberger Disputation –, sondern sie erschafft das, was ihr gefällt zuallererst (Amor dei non invenit sed creat suum diligibile. Amor hominis fit a suo diligibili). Im Koran kann zwar davon die Rede sein, dass Gottes Barmherzigkeit Menschen wieder zurückführt zu einem gerechten Leben in seiner Liebe, aber der Gedanke der Liebe Gottes zu den Gottlosen findet sich dort so nicht. Gott liebt die Gerechten – der Gedanke, dass man sich diese Liebe durch Wohlverhalten nicht verdienen muss (und Gott beleidigen würde, wenn man es doch versuchte), kommt so nicht vor.
  4. Das Gebot der Feindesliebe hat für Christen einen anderen Stellenwert. Zwar ist die Mehrheit der Christen trotz gewaltloser Anfänge im Neuen Testament seit Augustinus davon überzeugt, dass es einen gerechten Krieg geben kann (vgl. aktuell in Libyen), während der Islam seinen Ursprung in einer Gemeinschaft hatte, die sich kriegerischen Feinden gegenübersah, ähnlich wie das alte Israel. Das Common Word spricht davon, dass Muslime sich gegenüber Nichtmuslimen freundlich und friedlich verhalten sollen, so lange diese friedlich sind. Christen gehen aber mit dem Gebot zur Feindesliebe noch einen Schritt weiter: Es geht nicht nur darum, nichts gegen den anderen zu haben, sondern selbst dann noch für ihn zu sein, wenn er sich unfreundlich verhält.

Erstaunlicher als die Unterschiede findet Volf die Gemeinsamkeiten. Das liegt daran, dass seine Fragestellung nicht die nach dem ewigen Heil ist, sondern nach dem friedlichen Zusammenleben. Teil IV des Buches ist diesem Thema gewidmet.

(Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3Teil 4 und 5 dieser Reihe. Wer unten kommentieren möchte, kann sich dort über den bisherigen Verlauf der Diskussion und ihre Grenzen orientieren)

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