Gestern abend kam in einer Gesprächsrunde die Frage nach der „goldenen Mitte“ auf. Natürlich will (und muss) man manche Extreme vermeiden, weil da zum Beispiel die Grenze zum Fanatismus überschritten wird. Aber die Mitte als Ideal taugt auch nicht, da waren wir uns einig.
Heute habe ich Martin Schleskes brandneues Buch Der Klang. Vom unerhörten Sinn des Lebens in die Hand genommen, mich an der anregenden, bildreichen Sprache gefreut und eine schöne Antwort auf die Frage von gestern gefunden:
Im Bild einer Landschaft gesprochen, geht es gerade nicht um die sprichwörtliche „Gratwanderung“ – jenen scharfen Höhenweg, wo zur Rechten und zur Linken je ein steiler Abgrund droht. Es ist vielmehr das Bild zweier Berggipfel – eben der harmonischen Gegensätze –, die zwischen sich einen weiten Raum aufspannen. Es ist der seelische Lebensraum, den ein Mensch einzunehmen fähig ist. Da ist kein scharfer Grat des Guten, sondern ein Raum der einander zugeordneten, entgegengesetzten, guten und segnenden Kräfte.
Er nennt dann Begriffspaare wie Leidenschaft und Gelassenheit, Treue und Freiheit, die immer beide zum menschlichen Seelenvermögen gehören. Da wo die Spannung verloren geht, schreibt Martin, lieben wir Gott nicht mit ganzer, sondern nur mit halber Seele.