Der Kopf ist immer schneller

Kürzlich war ich mit dem Auto unterwegs und hörte beim Spurwechsel auf der Autobahn ein metallisch klappendes Geräusch am Auto. Schon schoss mir die erste Sorge durch den Kopf, ob da wohl irgend ein Teil abgefallen war. Alles ging rasend schnell. Nur eine halbe Sekunde später surrte der andere Reifen über die aufgeraute Mittellinie und das Geräusch wiederholte sich. Es war gar kein metallisches Klappern. Entwarnung – alles im grünen Bereich. Was auch immer dazu geführt hatte (meine Urangst vor Autopannen?), mein Kopf hatte die Sinneswahrnehmung „ergänzt“ zu einem bestimmten Klang – und sie dabei verfälscht.

Ähnliches ist mir – auch beim Autofahren – ab und zu nachts passiert, vor allem bei Regen und spiegelnder Straße. Der Kopf setzt die Lichter in verschiedenen Farben, Größen und Bewegungsrichtungen zu einem Bild zusammen und plötzlich merke ich, dass die Interpretation nicht stimmt. Das Muster entwickelt sich ungewohnt. Dem Augenblick der Verwirrung folgt eine Art „Neuberechnung“ und ich merke, die Straße vor mir krümmt sich anders, als ich vermutet hatte.

Jede Sinneswahrnehmung scheint eine solche automatische Mustererkennung zu durchlaufen. Es gibt also gar keine „reine“ Beobachtung, sondern alles wird, noch bevor es das Bewusstsein erreicht, durch einen Filter der vertrautesten (oder vielleicht auch traumatischsten bzw. ersehntesten) Vergleichsbilder gejagt und auf Ähnlichkeit hin abgeklopft. In der Regel funktioniert dieser Prozess so schnell und präzise, dass ich ihn gar nicht bemerke. Hätte ich nun nicht unmittelbar darauf den Vergleich mit dem zweiten Rad gehabt, hätte ich den Fehler nicht bemerkt. Ich wäre vielleicht in eine Werkstatt gefahren, hätte das Geräusch beschrieben und mein Auto untersuchen lassen. So aber ergab der zweite Abgleich ein stimmigeres Muster.

Alles Denken ist also ein Vergleichen und Bewerten, und nur ein Bruchteil davon ist mir bewusst. Die Automatismen darin und mit ihnen die ausgeschlossenen Möglichkeiten einer Interpretation entgehen mir meistens. Meine Erinnerung speichert Ereignis und Deutung nicht getrennt ab, sondern zusammen. Während ich also im Blick auf mein Auto beruhigt weiterfuhr, kam ich im Blick auf mich selbst ins Nachdenken: Wie viele meiner Erinnerungen sind „verfälscht“? Wo ergeben sich aus verfälschter Wahrnehmung und Erinnerung wieder neue Muster, die mich Ereignisse falsch „lesen“ lassen? Mit anderen Worten: kann da eine problematische Rückkopplung entstehen, die weitere Verzerrungen verursacht? Welche Möglichkeiten habe ich, mir selbst auf die Schliche zu kommen? Kann ich präventiv etwas unternehmen?

Fragen über Fragen…

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