Auf Abrahams Spuren

Diese Allianz-Gebetswoche steckt voller theologischer Zumut… äh, Herausforderungen. Zum Beispiel der Abschnitt für heute: Wie hier die Bibel mit der Bibel umgeht, ist schon sehr interessant. In Hebräer 11,17-19 wird die Geschichte von Isaaks Opferung als Hinweis auf die Auferstehung Christi gelesen. Abraham, heißt es da, glaubte an die Auferweckung und konnte deshalb seinen Sohn opfern. Wenn das so war, dann konnte Abraham diese Hoffnung lange geheim halten, denn im gesamten Alten Testament findet sich davon kaum eine Spur. Im Gegenteil – tot ist tot, Punkt. Die ganze Spannung der Erzählung in Genesis 22 rührt ja daher, dass der Tod unwiderruflich ist. Den Autor des Hebräerbriefes hält das aber nicht davon ab, den Text völlig gegen den Strich zu bürsten: Abraham glaubte, dass Isaaks Tod nicht der Tod der Verheißung sein würde. Im Unterschied zu Hiob bekam er ihn deshalb auch gleich zurück, das heißt, er musste ihn gar nicht erst richtig hergeben.

Dieser Abraham taugt nur sehr bedingt als Identifikationsfigur für Menschen, die gerade einen schweren Verlust erlitten und ihre Hoffnung verloren haben. Aber es geht hier auch gar nicht um den Umgang mit Leid, sondern das unerschütterliche Vertrauen auf Gottes Zusagen, für die selbst der Tod keine unüberwindliche Grenze mehr darstellt. Uns wird Abraham als jemand vor Augen gestellt, der auf die Auferstehung hofft. Wir, das macht der Hebräerbrief auch klar, blicken auf den Beginn der Erfüllung dieser Verheißung schon zurück, die Auferweckung Christi – unsere eigene steht trotzdem noch aus, deshalb leben auch wir im Glauben. So wie Abraham sind auch wir auf einer Pilgerreise unterwegs und noch nicht am Ziel angekommen.

Der christologische Bogen wird hier also über die Auferstehung geschlagen, und gerade nicht über das Opfer, das in Publikationen der Allianz allerdings so sehr zum Standardrepertoire gehört, dass es auch hier in der gewohnten Terminologie erscheint, die durch den Versuch, ein bisschen modern zu wirken, hart an der Banalität entlangschrammt: „Er opfert seinen Sohn, damit wir leben können. Für uns ist es „kostenlos“, denn den Preis hat Gott selbst bezahlt.“ (Gut, wenigstens war es nur „kostenlos“, nicht umsonst…)

Aber Glaube ist eben keine kostenlose Sache, weder bei Abraham noch bei uns. Die „Zeugen“ aus Hebräer 11 hat ihr Glaube einiges gekostet. Für uns bedeutet es zumindest, mit leichtem Gepäck (vgl. 12,1) unterwegs zu sein. Paulus, selbst immer für eine kreative Neuinterpretation der Abrahamsgeschichte gut, redet in einem anderen Zusammenhang (1. Kor 7,29ff) davon, dass wir alles im Leben ohne Besitzanspruch nur als vorläufig behandeln und so mit Mangel wie mit Überfluss richtig umgehen können (Phil 4,12-13). Schließlich erinnert die Bitte um das tägliche Brot im Vaterunser an Sprüche 30,8, hebräische Weisheit ist auch angesichts der von Gier verursachten Finanzkrise topaktuell: „Gib mir weder Armut noch Reichtum, nähr mich mit dem Brot, das mir nötig ist, damit ich nicht, satt geworden, dich verleugne und sage: Wer ist denn der Herr?, damit ich nicht als Armer zum Dieb werde und mich am Namen meines Gottes vergreife.“

Dafür ist Abraham ein Vorbild. Vincent Donovan hat es im Blick auf die Christen unter den Massai später so formuliert:

Diese Nomaden hatten keine Kirchengebäude, keine Tempel, keine Tabernakel. Sogar ihre Eucharistie war eine nomadische Eucharistie gewesen, immer in Bewegung, nie stationär, nie statisch. Und die Kirche war für sie genauso. Die einzige Kirche, die sie je gesehen hatten, die einzige Kirche, die sie kannten, war eine Kirche die beständig in Bewegung war, eine mobile Kirche, eine nomadische Kirche, eine Kirche, die nie vollkommen war, nie am Ende angekommen war, nie alle Antworten hatte, nie zur Ruhe kam – eine Kirche auf Safari. Für sie würde es immer eine Pilgerkirche sein.

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Tauwetter im Westen

Melissa Etheridges Musik habe ich immer gern gehört. Aber auch ihr Engagement für Frauen und Homosexuelle ist weithin bekannt. Nun habe ich auf Brian McLarens Blog diesen Link zu einem Bericht gefunden, wo sie eine Begegnung mit Rick Warren beschreibt, der ja durch seine Mitwirkung an Barack Obamas Amtseinführung nächste Woche für Schlagzeilen gesorgt hat. Hier beschreibt sie, was ihre Befürchtungen waren, als sie zum ersten Mal von Warren hörte:

This Pastor Rick must surely be one hate spouting, money grabbing, bad hair televangelist like all the others. He probably has his own gay little secret bathroom stall somewhere, you know. One more hater working up his congregation to hate the gays, comparing us to pedophiles and those who commit incest, blah blah blah. Same ‚ole thing.

Dann erfuhr sie, dass sie auf der Veranstaltung (einer islamischen Organisation!) auftreten sollte und Rick Warren der Gastredner war. Sie entschloss sich, ihn anzurufen. Es stellte sich heraus, dass er fast alles ihre CDs hatte. Viel wichtiger aber war dies:

He said he regretted his choice of words in his video message to his congregation about proposition 8 when he mentioned pedophiles and those who commit incest. He said that in no way, is that how he thought about gays. He invited me to his church, I invited him to my home to meet my wife and kids. He told me of his wife’s struggle with breast cancer just a year before mine. When we met later that night, he entered the room with open arms and an open heart. We agreed to build bridges to the future.

Eine Entschuldigung zur rechten Zeit – und Melissa Etheridge schließt mit einem Appell, den man sich von allen gesellschaftlichen Gruppen nur wünschen kann:

Sure, there are plenty of hateful people who will always hold on to their bigotry like a child to a blanket. But there are also good people out there, Christian and otherwise that are beginning to listen. They don’t hate us, they fear change. Maybe in our anger, as we consider marches and boycotts, perhaps we can consider stretching out our hands. Maybe instead of marching on his church, we can show up en mass and volunteer for one of the many organizations affiliated with his church that work for HIV/AIDS causes all around the world.

Maybe if they get to know us, they wont fear us. I know, call me a dreamer, but I feel a new era is upon us.

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Lesekunst

Spiritualität ist eine Lesekunst. Es ist die Fähigkeit, das zweite Gesicht der Dinge wahrzunehmen: die Augen Christi an den Augen des Kindes; das Augenzwinkern Gottes im Glanz der Dinge. Nicht Entrissenheit, sondern Anwesenheit und Aufmerksamkeit ist ihre Eigenart. Sie ist keine ungestörte Entweltlichung und Einübung in Leidenschaftslosigkeit. Sie ist lumpig und erotisch, weil sie auf die Straße geht und sieht, was dem Leben geschenkt ist und was ihm angetan wird.

Fulbert Steffensky, Schwarzbrot-Spiritualität, S. 19

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Viva la Vida – ein Abgesang auf die Moderne?

Sylvia Lee fragt in dran, was Chris Martin von Coldplay wohl mit seinem Hit Viva la Vida sagen wollte. Ich habe mich das auch immer wieder gefragt, wenn der Song im Radio oder auf iTunes hier lief. Man kann ihn nämlich auch als einen Abgesang auf die Moderne lesen – die Ära, in der das christliche Abendland den Globus mit seinem kulturellen Sendungsbewusstsein kolonisierte:

I hear Jerusalem bells are ringing

Roman Cavalry choirs are singing

Be my mirror my sword and shield

My missionaries in a foreign field

Rom und Jerusalem sind die beiden Orte, an denen dieses christliche Imperium seinen Ursprung hat. Christlicher Glaube verband sich mit römischer Macht, Glocken mit Kavallerie. Und der Begriff „Mission“ und „Missionar“ entstand im Zusammenhang mit der Christianisierung Südamerikas, dem „fremden Feld“. Vielleicht sind aber nicht nur die kirchlichen Missionare gemeint, sondern auch die Advokaten des grenzenlosen Fortschritts durch Vernunft, Vermessung Berechnung und Objektivierung der Welt und ihrer Lebewesen.

I used to rule the world

Seas would rise when I gave the word

Dieses Experiment ist nun gescheitert – an seinem eigenen Größenwahn. In Wirklichkeit hat der Mensch die Natur nie beherrscht und schon der Versuch, es Gott gleichzutun, war pure Vermessenheit. Doch selbst im Rückblick mag man sich das nicht eingestehen, dass alles nur eine Illusion war („never an honest word, that was when I ruled the world“). Fulbert Steffensky schreibt dazu:

Vielleicht hat die Entzauberung der Welt dazu geführt, dass wir in grenzenlos imperialer Geste uns alles unterwerfen. wer kein Tabu kennt und die Heiligkeit der Dinge nicht sieht, wird zu ihrem Zerstörer.

Aber die globalen Krisen wachsen der Menschheit über den Kopf. Einschüchterung durch militärische Macht („I used to … see the fear in my enemies eyes“) und überlegene Technik ist wertlos geworden. Nicht näher beschriebene Revolutionäre warten nun, dass sie den Kopf des Despoten auf einem silbernen Teller geliefert bekommen. Das Leben geht weiter (daher „Viva la Vida“), nur hat das Glück die Seiten gewechselt. Und dann wird mit einem biblischen Bild beschrieben, woher der Sturz rührt:

One minute I held the key, next the walls were closed on me

And I discovered that my castles stand upon pillars of salt, and pillars of sand

Das Haus – Schloss – war auf Sand gebaut und der Sturm („the wicked and wild wind“) fegte es weg. Eine Form des Gerichts, die für das ewige Gericht – das abschließende Urteil über dieses Kapitel der Weltgeschichte – nichts Gutes ahnen lässt. Daher ist auch nicht klar, ob Petrus einen Grund hat, den gestürzten König beim Namen zu rufen.

Viva la Vida kann man so gesehen nicht nur als Kommentar zur Finanzkrise lesen und dem Absturz der allmächtigen Finanzjongleure, für die es keine Grenzen mehr gab, sondern auch als Neuauflage von Jesaja 14,12ff. Dort heißt es über einen anderen selbstherrlichen Herrscher und seine Hybris:

Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! Du aber gedachtest in deinem Herzen: »Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden. Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten.« Ja, hinunter zu den Toten fuhrst du, zur tiefsten Grube! Wer dich sieht, wird auf dich schauen, wird dich ansehen und sagen: »Ist das der Mann, der die Welt zittern und die Königreiche beben machte, der den Erdkreis zur Wüste machte und seine Städte zerstörte und seine Gefangenen nicht nach Hause entließ?«

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Wie ist das mit dem „Durchblick“?

Christen bekommen „den Durchblick“ – das legt die Vorbereitungsseite zum Start der Gebetswoche der evangelischen Allianz nahe und verweist auf unter anderem auf 1. Korinther 2,10ff. Glaube, das ist das Anliegen der Autoren, ist keine minderwertige Form des Wissens. Er ist eine intuitive Form der Gewissheit, die ihre eigene Logik hat. Die Wirklichkeit, die uns umgibt, wird plötzlich transparent, und wir erkennen ihren Grund in Gott und seiner alles umfassenden Liebe.

Freilich kann man das mit dem „Durchblick“ auch ganz anders verstehen. Dann werden Glaubende zu penetranten Besserwissern, die eine höhere Stufe der Erkenntnis für sich in Anspruch nehmen, und mit denen jedes Gespräch schwierig wird, so lange man sich ihrem Anspruch nicht unterwirft und ihre Ansichten übernimmt. Nicht mehr Menschen, die über Gott staunen, sondern solche, die das Staunen hinter sich gelassen haben. Sie haben ihre Sprache wieder gefunden und meinen, nun (fast) alles erklären zu können. Gott ist dann nicht mehr der unfassbare Grund allen Lebens, sondern er ist zumindest so fassbar, dass man ihn in Traktate packen kann.

Einerseits lese ich hier also, dass Glaube und Gewissheit ein Geschenk des Geistes Gottes ist, andererseits wird an diesem Tag für theologische Lehre und Ausbildung gebetet, natürlich mit einem starken Akzent auf „Bibeltreue“ – was immer der einzelne sich darunter vorstellen mag. Ist die rechte Erkenntnis also doch eine Frage des (Bibel-)Wissens und der Methodik, oder wie passt das zusammen?

Eher amüsant fand ich auch den Gedanken, dass Hebräer 1,1 eine „klare Definition“ liefert, was Glauben bedeutet. Ich habe den Satz mehrmals gelesen, ohne irgendeinen klare Vorstellung zu bekommen. Die bekommt man nämlich erst, wenn man das ganze Kapitel liest, in dem das Alte Testament im Schnelldurchgang nacherzählt wird. Glauben heißt, es diesen Menschen nachzumachen und sich nicht mit dem Status Quo abzufinden – ob der nun Kinderlosigkeit heißt, Zwangsarbeit oder zahlen- und kräftemäßige Unterlegenheit. Glaube heißt, das Mögliche über das Faktische zu stellen. Es heißt, sich auf einen riskanten Weg zu machen, in der Erwartung, dass Gott uns dort begegnet. Glaube heißt, die Unsicherheit dieser Stimme, die uns ruft, über die Sicherheit geordneter Verhältnisse zu stellen. Auch über die Sicherheit allzu „klarer“ (und damit enger und festgelegter) theologischer Überzeugungen und „Definitionen“.

Für alle, die das Thema noch weiter beschäftigt, hier noch ein Buchtipp. Peter Rollins aus Belfast hat das Dilemma, über Gott nicht angemessen reden zu können und doch von ihm reden zu müssen, ganz gut beleuchtet in „How not to Speak of God“.

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Frischer Wind

So eine Nachricht bekommt man nicht alle Tage ins e-Mail Postfach: Mein Freund Steve Clifford wird Generaldirektor der Evangelischen Allianz in Großbritannien. In den letzten Jahren arbeitete er mit bzw. für Pioneer, Soul Survivor und Hope 08 und ich denke, er ist für diese Aufgabe eine gute Besetzung: Er ist ein guter Moderator und Netzwerker, hat theologisch und menschlich ein weites Herz, kennt sich mit den Medien aus und kann im kleinen wie im großen Rahmen sehr gewinnend auftreten. Wo er hinkommt, bringt er frischen Wind hinein.

Natürlich hoffe ich auch, dass der neue Job ihm noch Luft lässt, den einen oder anderen Besuch hier einzuschieben. Für uns als Gemeinde, vor allem für unser Leitungsteam, war er ein wertvoller Berater und – wie gesagt – ein guter Freund und Mentor über inzwischen 15 Jahre.

Alles Gute und Gottes reichen Segen, Steve, für all das, was nun vor Dir liegt!

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Der Preis des Krieges

Zwei lesenswerte Hintergrund-Artikel aus den vielen Meldungen zum Krieg im Gaza-Streifen haben mich in den letzten Tagen sehr bewegt:

  • Der norwegische Arzt Mads Gilbert berichtet über Zivilopfer und die erschütternde Lage in den Krankenhäusern. Hier ein kleiner Ausschnitt:
  • Einem Kind habe ich heute eine Hand amputiert, das Kind verlor elf Familienmitglieder. Wir haben ein neunmonatiges Baby, dessen ganze Familie von Israelis getötet wurde. Die Zahl der zivilen Opfer steigt rapide an. Am Montagabend waren es 540 Tote und 2550 Verletzte. 30 Prozent der Toten und 45 Prozent der Verletzten sind Frauen und Kinder. Unter den Toten sind 117 und unter den Verletzten bisher 744 Kinder.

  • Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery macht seiner Regierung schwere Vorwürfe: Sie handele aus wahltaktischen Gründen, sei nie an ernsthaften Schritten zum Frieden interessiert gewesen und werde die Hamas (beziehungsweise die Spirale der Gewalt) nur stärken.

Deutschland „steht fest an der Seite Israels“, ist immer wieder zu lesen und zu hören. Ob wir damit den Israelis wirklich einen Gefallen tun?

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