Ich arbeite an einem Artikel über die Frage, warum in vielen Gemeinden so wenig Männer sind. Meine ersten, spontanen Einfälle zum Thema fasse ich hier kurz zusammen, ich hatte es ja schon verschiedentlich gestreift. Ihr könnt gern munter drauflos kommentieren.
Manchmal scheint das Klischee zu sein: Brave Männer kommen in die Kirche, böse überall sonst hin. Die Bibel gibt m.E. zu dieser Fragestellung keine direkten Aussagen im Sinne von Anweisungen her, was zu tun ist, um mehr Männer zu „erreichen“. Außer vielleicht der Beobachtung, dass wir das Evangelium so weit privatisiert haben, dass viele Männer finden, für ihre Lebenswirklichkeit spielt es keine Rolle – es sei denn, sie sind (und das ist jetzt nicht ironisch gemeint) gerade im Erziehungsurlaub. Also doch: ?
Ich halte die Unterschiede zwischen Männern und Frauen an sich für vernachlässigbar. Die sozial konstruierten und historisch geformten Rollen und im Zusammenhang damit die verschiedenen Lebenswelten sind der Knackpunkt. Wir haben ja auch herzlich wenig „Karrierefrauen“ in den Gemeinden, die keinen sozialen Beruf haben. Predigtinhalte bewegen sich in der Regel im Bereich apolitischer Individualethik (Ehrlichkeit, Treue etc.) und wenn es dann wirklich mal „politisch“ wird, geht es um Familie oder Abtreibung – schon wieder ein „Frauenthema“. Über Arbeit und Beruf wird selten gesprochen und wenn, dann geht es wieder oft um Moral, und für „typisch männliche“ Sünden (die haben in der Regel des Klischees mit Sex zu tun) gibt es dabei deutlich weniger Verständnis. Wirtschaftsethik fehlt dagegen.
Unsere dominierende Metapher für Gemeinde ist die Familie. Nur bedeutet Familie im 21. Jahrhundert „Kernfamilie“ (wenn nicht gar „Rumpf-Familie“), also emotionaler Nahbereich, das war im ersten Jahrhundert und bis vor wenigen Generationen noch ganz anders. Viele Männer fühlen sich, gerade wenn sie einen Job mit Verantwortung haben, in der eigenen Familie aber schon fremd, folglich erst Recht in der Gemeinde. Da kommt dann noch die ausgesprochen intime Lobpreiskultur dazu, mit viel Herz und weniger Anforderung an den Intellekt. Im NT ist ekklesia ein Begriff aus der Politik, und wir sind nicht nur Gottes Familie, sondern sein Volk. Diese weitere Dimension fehlt heute an vielen Stellen, wo das Evangelium auf Lebenshilfe im Beziehungsbereich reduziert wird. Dabei war es mal eine Botschaft, deren Träger wegen Hochverrats als Staatsfeinde hingerichtet wurden. Heute meiden viele Christen alles, was Joseph Myers zum öffentlichen Bereich zählt, und wegen manch missglückter Politisierung zur Rechten und Linken legt man in vielen Gemeinden Wert darauf, überhaupt nicht politisch zu sein.
Christliches Machotum oder fromme Cowboy-Erlebnispädagogik ist für mich keine ausreichende Lösung. Damit richtet man nur Biotope in einer immer noch widrigen Umgebung ein. Vermutlich auch nicht die autoritätslastigen, patriarchalischen Männerideale vom Haupt oder „Priester“ der Familie, die bei vielen (wenn sie mal Familie haben, das steht mit 20 ja in der Regel noch aus) die „normale“ Überforderung noch potenzieren. Das Problem sind nicht die Männer (zu weich, zu hart, was auch immer) und auch nicht die Frauen (zu viele, zu stark, …). Das Problem ist, dass wir Glauben privatisiert, moralisiert und in einer ganz bestimmten intimen Tonlage emotionalisiert haben. Also: Keine Biotope, sondern ein grundlegender Kulturwandel in der Gemeinde, der auch vielen Frauen gut tun wird.