Die Frau in der Nische

Manchmal lässt sich ein ganzes Kapitel Kirchengeschichte in einem Symbolbild beschreiben. So erging es mir, als ich kürzlich in der Kathedrale von Lichfield hinter dem Hochaltar stand. Er ist auf beiden Seiten von jeweils sechs Figuren eingerahmt. Wenn ich das richtig gesehen habe, sind das fast alles Männer.

Fast, weil ein Bildhauer (wohl erst im 19. Jahrhundert) die Heilige Perpetua hineingeschmuggelt hat. Sie ist auf meinem Foto ganz rechts zu sehen. Aus dem Kirchenschiff bzw. Chor heraus kann man sie allerdings nicht erkennen, weil sie von einem Pfeiler verdeckt wird – und weil sie dem Betrachter den Rücken zukehrt. Nur von hinten ist sie sichtbar.

Vorne also die Männer, die Frau ganz am Rand, in der Nische. Ein Anblick, der eigentlich alles sagt. Über die Zeit, aus der er stammt, und über ein beschämendes Erbe, das noch nachwirkt.

Und ich denke mir: Luthers berühmtes Diktum aus der Heidelberger Disputation, dass man Gott eigentlich nur von hinten richtig sieht, lässt sich auch auf diesen Hochaltar anwenden. Wer nur von vorn draufschaut, der hat die Kirche (für die die Statuen ja stehen) noch gar nicht richtig erkannt.

Ebenso gilt: Aus der Sicht dieser Frau sieht diese Kirche ganz anders aus als aus der Perspektive der männlichen Kollegen. Der weibliche Blick ist der hinter die Fassaden der Hierarchie. In diesem Fall zumindest, aber das dürfte eben längst nicht der einzige sein.

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Mit der Erde im Bunde: Frauen und die solidarische Lebensweise

Mitten in der Offenbarung des Johannes erscheint eine namenlose Frauengestalt, die unter Gefahren ein Kind zu Welt bringt und schließlich vor dem Drachen fliehen muss, der dort wütet. Es ist eine surreale Szene. Der Drache speit ihr einen Wasserschwall hinterher, aber dann schluckt die Erde das Wasser einfach weg und rettet so die Frau.

Mich hat dieses krasse Bild jüngst ganz unmittelbar angesprochen. Erstens, weil sich eine Mutter um das Überleben ihres Kindes in einer aus den Fugen geratenen Welt sorgt. Diese Fürsorge für kommende Generationen (und für alles Schwache und Schutzbedürftige) hat ja auch bei uns ein überwiegend weibliches Gesicht. Nicht nur das von Klima-Aktivistinnen, sondern auch in den meisten, wenn nicht allen sozialen Berufen. Und ehrenamtlichen Funktionen, auch und gerade in den Kirchen.

Der Fotograf Adrien Taylor schreibt: „I was blown away by the beauty of the Bangladeshi people — both in their character and appearance. Bangladesh faces losing 18% of its land, displacing thirty million people, with one metre sea-level rise.“
unsplash-logoAdrien Taylor

Dagegen steht der Drache für alles, was aktuell unter „toxischer Männlichkeit“ thematisiert wird: Aggression, Ausbeutung, Dominanz, Dogmatismus, Unterwerfung. Der Drache erbricht eine Flut von Hass gegen die Frau. Ich finde, es trifft die Situation hier und heute wirklich gut, wenn man betrachtet, wie junge Frauen wie Greta Thunberg von den Alpha-Fachmännern entweder mundtot gemacht oder gleich mit Vernichtung bedroht werden. Auf der re;publica wurde letzte Woche in vielen Foren diskutiert, wie diese Flut zu stoppen wäre.

Es sind sicher nicht ausschließlich Männer, die das betreiben, aber eben vorwiegend. Und die Wurzeln der Klimakatastrophe liegen in einer typisch „männlichen“ Lebensweise, die Fleischverzehr und Verbrennungsmotoren für identitätsstiftend hält. Das haben ja auch Ulrich Brand und Markus Wissen in „Imperiale Lebensweise“ deutlich gemacht. Diese Lebenseinstellung hinterlässt überall verbrannte Erde. Und Eltern, die mit ihren Kindern vor steigendem Meeresspiegel und sich stetig verschärfenden Naturkatastrophen fliehen müssen.

Und nun ist es ausgerechnet die Erde, die der Frau zu Hilfe kommt. „Weibliche“ Kooperation neutralisiert „männliche“ Konkurrenz und Aggression. Eine Partnerschaft zwischen der Erde und der verwundbaren Mutter tut sich auf. Das hat mich an Joana Macys Betonung von Dankbarkeit und Verbundenheit mit der Schöpfung erinnert. Und an Bruno Latours These, dass „das Terrestrische“ inzwischen als eigenständiger Akteur in der globalen Politik auftritt (N.B.: Das Kapital tut das schon längst, einige sprechen daher auch vom „Kapitalozän“).

Die Allianz zwischen der Frau und der Erde ist ein schönes Bild für eine solidarische Lebenweise – das Gegenstück zum imperialen Modus der Existenz.

Wenn wir also heute als Christ*innen und Kirchen fragen, wo unser Platz in diesen Auseinandersetzungen ist, dann legt uns diese Vision nahe, ihn an der Seite all der Frauen (und Kinder) zu finden, die den Großteil der Kosten für die imperiale Lebensweise tragen. Und an der Seite der Erde, die sich gegen den patriarchalen Kapitalismus aufbäumt.

Solche Bündnisse gilt es zu schmieden und zu stärken, zum Beispiel beim Earth Day, der 2020 zum 50. Mal stattfindet. Überall, wo Männerbünde in Politik, Wirtschaft und Kirche dominieren, ist – um Himmels willen – Wachsamkeit und Widerstand angesagt.

Nur dann wird es uns allen besser gehen.

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