Lieber Nicky Gumbel,

in diesen Tagen ist es 20 Jahre her, dass wir mit Nicky Lee bei uns zuhause in der Schuhstraße 47 eine Flasche Wein zu Brot und Käse geleert haben. Ihr beide seid dann wieder ins nahe Hotel zurück und am nächsten Tag ging die Alpha-Konferenz weiter, aus der in den Folgejahren viele hundert Glaubenskurse entstanden sind – landauf, landab und quer über das ökumenische Spektrum.

Inzwischen ist es etwas ruhiger geworden, und wir haben uns auch schon fast sechs Jahre nicht mehr gesehen. Aber ich wurde diese Woche wieder an zwei Impulse erinnert, die durch Dich und Alpha bei mir angekommen und hängengeblieben sind, und für die ich dankbarer denn je bin.

Das erste ist die Kultur der Gastfreundschaft: Das Essen, zu dem nicht gebetet werden muss und bei dem religiöse Gesprächsthemen nicht erwünscht sind, zum Beispiel. Diese Art der offenen Begegnung ist nicht nur eine nette Nebensache oder ein pädagogischer Kniff, sondern das Herzstück eines menschen- und weltzugewandten Gemeindelebens. Als diese Woche jemand über die Emmaus-Geschichte sprach, habe ich mich wieder einmal gefragt, ob nicht Tischgemeinschaft an sich (also auch ohne jede explizite Liturgie) schon eine Art Sakrament ist. Henri Nouwen hat das in „Reaching Out“ wunderschön weiter gedacht und ein ganzes Ethos daraus entwickelt. Die vielen Fotos in meiner Facebook Timeline mit deutsch-syrischen (oder deutsch-irakischen/afghanischen/eritreischen) Tischgemeinschaften überall im Land sprechen dafür.

Das zweite ist die Achtung vor dem Gegenüber und das geduldige Zuhören. Irgendwie gehört das natürlich zur Gastfreundschaft dazu, aber es wurde öfter noch als ein pädagogisches Prinzip bei Alpha thematisiert. In vielen „missionarischen“ Gemeinden mussten Mitarbeitende nun mühsam lernen, ihren (realen oder gefühlten) Wissensvorsprung und ihre unschlagbaren Argumente zurückzustellen. Manche bis dahin ebenso beliebten wie unnötigen Auseinandersetzungen (z.B. Evolution contra Schöpfungsglaube) hast Du ihnen ausgeredet. Die waren noch nie mein Fall gewesen, aber das hat mich darin bestärkt, auf manch traditionelle „Apologetik“ zu verzichten. Wie sensibel ich auf Situationen reagiere, die ich als emotional und sozial übergriffig empfinde, das fiel mir diese Woche während der Besprechung eines anonymisierten Seelsorgeprotokolls auf. Und das verdanke ich – nicht nur, aber auch – Deinen Impulsen.

Theologisch bin ich nicht jeder Spur gefolgt, die Du bei Alpha gelegt hast. Die Vorträge zu den einzelnen Abenden würde ich inzwischen ziemlich anders halten (meine Anfragen dazu habe ich schon vor ein paar Jahren auf diesem Blog gepostet). Eigentlich ja auch ganz natürlich angesichts des langen Zeitraums. Nicht nur ich habe mich verändert, auch unsere Gesellschaft und ihre Fragen. Du bestimmt auch? Das Gespräch darüber würde mich interessieren.

Zwei Dinge möchte ich heute sagen: Erstens, vielen Dank für diese bereichernden Denkanstöße! Und zweitens, weil Ihr bei Alpha ja auch fragt „is this it?“: Ich glaube, in den zwei genannten Impulsen steckt noch mehr Potenzial drin. So viel kann ich nach 20 Jahren sagen – aus Erfahrung.

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