Verbote, Versuchungen und Versteckspiele

Hat die Schlange die Frau im Garten Eden belogen? Oder muss man, um Schaden zu verursachen und Menschen auf Abwege zu bringen, die Wahrheit vielleicht nur schlau und passend akzentuieren?

Und wie ist das mit dem Nacktsein und der Scham zu verstehen? Worüber gehen den Menschen die Augen auf, was macht das mit ihnen und wo berührt sich das mit unserem alltäglichen Bemühen, in einer Welt der Projektionen, Vorurteile und Unterstellungen die Deutungshoheit über uns selbst zu behalten?

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Bild: Unsplash.com

Morgen beginnt die Fastenzeit: Was kann christliche Spiritualität dazu beitragen, dass ich im Wirrwarr manipulativer Stimmen den Blick für die Wahrheit nicht verliere? Und wie lebe ich einigermaßen authentisch unter den Blicken und Erwartungen anderer?

Hier könnt Ihr hören, was mir dazu eingefallen ist.

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Ewiges Leben ist engagiertes Leben

In den letzten Tagen habe ich mich mit Ostergottesdiensten und -predigten befasst. Was mich beim Stöbern und Suchen überrascht hat, war, wie viele (durchaus renommierte, ich sag’ nicht welche) Prediger völlig apolitisch über das Osterevangelium reden konnten. Als wäre Ostern in erster Linie eine Antwort auf die Frage nach dem individuellen Tod – dem eigenen oder dem eines geliebten Menschen!

Und dabei ist mir wieder neu aufgefallen, dass Ostern für mich in erster Linie die Antwort auf die Frage ist, woher wir die Hoffnung auf eine bessere Welt nehmen. Es wird ja nicht irgendwer auferweckt, sondern der Messias der Armen, der die Herrschaft Gottes ankündigt – und den seine Kritik an den ungerechten Verhältnissen ans Kreuz brachte. Und dann heißt Ostern vor allem: Die Revolution geht weiter, egal wie viele seiner Mitstreiter noch eingesperrt und ermordet, abgeschrieben und verleumdet oder anderweitig „kaltgestellt“ werden.

Erst in zweiter Linie geht es dann um den persönlichen Tod und dann heißt Ostern: Irgendwann werden wir alle vollzählig um einen großen Tisch herum sitzen und feiern – auch die, die ihr Leben in dem Kampf für eine gerechte Welt verloren haben. Hier findet das Politische das Individuelle: Wenn ich den Tod nicht fürchten muss, wenn der Tod mich nicht mehr um die Früchte meines Engagements bringen kann, dann kann ich um so befreiter und selbstvergessener einsetzen für alles, was Recht ist.

Ewiges Leben ist also ein engagiertes Leben.

Heute ist ein guter Tag, um darüber nachzudenken. Vor 74 Jahren starben Hans und Sophie Scholl. Ihr Vater Robert rief dem obersten NS-Richter Roland Freisler im Prozess zu: „Es gibt noch eine andere Gerechtigkeit!“. Die Mutter erinnert Sophie angesichts der Hinrichtung an die Nähe Jesu. Und Ihr Mitstreiter Christoph Probst verabschiedet sich mit den Worten „In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder.“

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Warum selbst pervertierte Macht auf das lästige Recht nicht ganz verzichten kann

Schwer unter die Haut gegangen sind mir diese Woche die Nachrichten über Foltergefängnisse in Syrien. Einzelschicksale wurden ja kaum geschildert – und trotzdem ist schon die allgemeine Vorstellung unerträglich.

Zugleich habe ich mich gefragt, warum in solchen Diktaturen dieses üble Schmierentheater aufgeführt wird: Geständnisse werden durch Folter erzwungen, darauf folgen geheime gerichtliche Eilverfahren und dann die ebenso geheime Hinrichtung. Wozu die ganze Mühe, warum ermordet man die Leute nicht sofort? Wäre das alles nicht viel einfacher?

Drei Gründe fallen mir ein:

  • Die Auftraggeber brauchen für sich selbst den Anschein, wenigstens formal so etwas wie Recht angewandt zu haben. Da ist dieser perverse Wunsch, irgendwie als gut zu erscheinen, auch wenn man das ganz offenkundig nicht ist.
  • Die Opfer werden zusätzlich gequält und gedemütigt, wenn ihnen eine theoretische Chance vorgegaukelt wird, sich zu rechtfertigen und zu retten, und die Gewalt, die ihnen angetan wird, als rechtens deklariert wird.
  • Die Handlanger des Systems machen bereitwilliger mit, wenn man ihnen diesen Selbstbetrug anbietet und ihr Tun als irgendwie rechtmäßig ausgibt.

Ich vermute, die dritte Antwort ist die wichtigste. Und deswegen ist es so eminent wichtig, diese Verbrechen zu dokumentieren und dem Regime bei jeder Gelegenheit den Spiegel vorzuhalten. Die Anstifter oben in der Befehlskette werden wir kaum überzeugen. Aber wir können es ihnen etwas schwerer machen, Helfershelfer zu finden. Und den vorhandenen Helfershelfern wird es nicht mehr möglich sein, aus Unwissenheit zu plädieren, wenn das Regime stürzt.

Im kleineren Maßstab gilt das auch hier: Die Populitiker, die Flüchtlinge trotz offensichtlicher Lebensgefahr ins vermeintlich „sichere“ Afghanistan abschieben wollen, werden sich kaum von unseren Protesten beeindrucken lassen. Aber es gibt vielleicht Polizisten und Beamte, die einen so fragwürdigen Beschluss nicht ausführen wollen. Je mehr das sind, desto schwieriger wird es für die Regierungen.

Die Dickfelligkeit der Mächtigen darf uns nicht dazu verleiten, leiser zu werden. Auch der ohnmächtige Protest ist nicht ganz so ohnmächtig, wie er scheint. Er erreicht nicht jedes Gewissen, aber doch einige. Diese Woche habe ich Micha 6 gelesen und nicht am Ende von Vers 8 die Bibel zugeklappt. So geht es weiter in Sachen Recht und Unrecht, falls jemand mal Worte und Vorbilder sucht:

Horcht! Der Herr ruft der Stadt zu: [Klug ist es, deinen Namen zu fürchten.] Hört, ihr Bürger und Räte der Stadt!

Kann ich die ungerecht erworbenen Schätze vergessen, du Haus voller Unrecht, und das geschrumpfte Maß, das verfluchte? Soll ich die gefälschte Waage ungestraft lassen und den Beutel mit den falschen Gewichten?

Ja, die Reichen in der Stadt kennen nichts als Gewalttat, ihre Einwohner belügen einander, jedes Wort, das sie sagen, ist Betrug. Deshalb hole ich aus, um dich zu schlagen und dich wegen deiner Sünden in Schrecken zu stürzen.

Du wirst essen, doch du wirst nicht satt; Schwindel wird dich befallen. Was du beiseite schaffst, rettest du nicht; was du rettest, übergebe ich dem Schwert. Du wirst säen, aber nicht ernten; du wirst Oliven pressen, aber dich mit dem Öl nicht salben; du wirst Trauben keltern, aber den Wein nicht trinken.

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Transformation war gestern

Seit ein paar Wochen ist Ulrich Becks postum erschienenes Buch „Die Metamophose der Welt“ auch auf Deutsch auf dem Markt. Ich fand es in mehrfacher Hinsicht sehr anregend und hilfreich. Vielleicht gerade in Zeiten wie diesen. Beck setzt sich darin mit der Weltrisikogesellschaft auseinander, die in den letzten Jahrzehnten durch die Globalisierung und Kosmopolitisierung der Welt entstanden ist.

Er kommt darin zu dem Schluss, dass wir es mit einem ganz neuen Typus von Wandel und Veränderung zu tun haben. Die Entwicklungen, die er beschreibt, verlaufen nicht einfach nur etwas schneller als bisher (aber mehr oder weniger in dieselbe Richtung), sondern sie führen in Situationen, in denen uns die Begriffe und Konzepte ausgehen. Vor allem aber versagen viele Institutionen, deren Aufgabe es wäre, für Stabilität und Berechenbarkeit zu sorgen:

Es handelt sich bei der Weltrisikogesellschaft um eine gesellschaftliche Formation, in der die hingenommenen, akkumulierten Nebenfolgen von Milliarden habituellen Handlungen die existierende soziale und politische, institutionelle Ordnung haben obsolet werden lassen. (S. 72)

Herkömmliche Begriffe wie Transformation werden in der Regel für zielgerichtete, planvolle, kontrollierbare und schrittweise Veränderungen verwendet. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess. Anders die Metamorphose: Sie tritt ungeplant ein, Ausgangspunkt und Ergebnis stehen in einem eher losen Zusammenhang. Wie in der Biologie löst sich erst einmal alles auf und verliert seine Form und Konturen. Und während bei Weltrisikogesellschaft die Akzent noch auf den unerwünschten Nebenwirkungen der Modernisierung lag, liegt er nun auf den positiven Nebenwirkungen der global produzierten Risiken. Das ist etwas Neues:

Während die Konflikte, die sich an Revolutionen des Weltbilds entzündeten, Jahrzehnte, selbst Jahrhunderte währten, und die Folgen der französische Revolution sich über die vergangenen 200 Jahre erstreckten, … spielt sich die Metamorphose der Welt in Weltsekunden ab, in einer Geschwindigkeit, die nicht weniger als unfassbar ist, und infolgedessen überrennt und überwältigt sie nicht nur den einzelnen, sondern auch die Institutionen. Und aus diesem Grund entzieht sich die Metamorphose, obwohl sie sich unmittelbar vor unseren Augen abspielt, den Konzeptualisierungen der Sozialwissenschaften fast vollkommen. Und aus diesem Grund auch haben so viele heute den Eindruck, dass die Welt aus den Fugen ist. (S. 81)

Und so verläuft die Metamorphose auf drei Ebenen zugleich: Kategorial in unserem Weltbild, institutionell in unserem „in-der-Welt-Sein“, und normativ-politisch, indem neue Handlungsoptionen entstehen. Eine sehr spannende Vorstellung.

Etwas beunruhigend ist für mich in diesem Zusammenhang, dass die meisten Beschreibungen des Wandels, die mir im kirchlichen Kontext begegnen, eher darauf beruhen, dass man die Entwicklungen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit extrapoliert und fortschreibt und sich dann Gedanken macht, wie damit möglichst kontrolliert umzugehen wäre. Wenn Beck Recht hat (und es spricht viel dafür), dann wird das vorne und hinten nicht ausreichen. Dann müssten wir darüber nachdenken, wie wir uns alle darauf vorbereiten, mit dem gänzlich Unerwarteten und Unkontrollierbaren fertig zu werden. Davon höre und lese ich wenig.

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