Warum „Leib“ und „Körper“ nicht dasselbe sind

Den Abschluss von inno2012 bildete am Mittwoch die Feier des Abendmahls. Die ganze Sache ist mir aus zwei Gründen noch etwas nachgegangen, und da sie zusammenhängen, komme ich hier darauf zurück: Das erste, was mir ganz unvermittelt aufstieß, waren die Einsetzungsworte in der Übersetzung von „das Buch“. Statt „Leib“ heißt es dort „Körper“. Nun ist es zweifellos so, dass „Leib“ im Deutschen allmählich antiquiert klingt, aber praktisch jeder versteht das Wort ja noch (etwa wenn ich jemanden anfahre, er soll „mir vom Leib bleiben“).

Warum ist das wichtig? Früher war es so, dass Leib sich auf den lebenden Menschen bezog und Körper tendenziell auf ein totes Objekt – in Physik und Geometrie gilt das ja nach wie vor. „Körper“ ist technischer – wir können von „Körperfunktionen“ reden, aber wir sagen nicht „Leibfunktionen“ – der Leib ist etwas Ganzes, das wir nicht in Teilaspekte zerlegen. Rückt mir jemand auf den Leib, dann tritt er mir als Person zu nahe, die „Seele“ oder das Selbst ist in dem Gesamtpaket gleich mitgedacht: der „Leib“ ist ein „beseelter Körper“, und statt der stofflichen dominiert die sinnliche Seite.

Sollte uns diese Unterscheidung verloren gehen und „Körper“ der einzige gebräuchliche Begriff werden, dann würde unsere Sprache – auch die gottesdienstliche Sprache – verarmen. Hier scheint es mir in der Bibelübersetzung voreilig und ohne Not aufgegeben und die Folge ist eine schlagartige Verflachung des Satzes. Flacher würde es ebenso, wenn wir in 1.Korinther 12 Leib durch „Körper“ ersetzen: Der Objektcharakter würde stärker werden, die Sprache wird weiter verdinglicht und das, was eigentlich beim Abendmahl wie im Blick auf die Einheit der Gemeinde ausgesagt werden soll, nämlich das Ganze und Lebendige, das Sein in Beziehung, das im-Fluss-Sein und in-Bewegung-Sein, geht dabei immer mehr verloren. Die Metapher „Leib Christi“ würde dann zum funktionalen Organigramm, das weniger einem lebendigen Organismus nachempfunden ist, sondern eher an eine Maschine erinnert. Die sprachliche „Modernisierung“ führt hier zu einer inhaltlichen Banalisierung.

Ganz passend dazu fiel dann zweitens die „Austeilung“ aus, die keine war: „Oblaten“ (so die prosaische Ansage – der Begriff Hostie scheint unbekannt gewesen zu sein) und Saft in Plastikstamperln lagen auf Tischen aus: Eine Art „Take-Away-Abendmahl“, bei dem einem niemand mehr die Elemente mit einem Zuspruch reicht, sondern man sie sich selbst wortlos nimmt – und wieder derselbe Effekt: Das Ganze wird verdinglicht, alles ist schon säuberlich und steril portioniert, keine Berührung mit der Hand, dem Blick und der Stimme anderer mehr nötig. Die Teilnehmer machten das wett (oder versuchten es), indem sie sich in Gruppen zusammenstellten und nach dem Verzehr von Oblate und Saft gemeinsam beteten. Je nachdem werden sich viele an das Gebet auch gern erinnern. Aber ob das für die Begegnung mit dem lebendigen Christus in den merkwürdig leblosen Elementen auch gilt?

Ich habe eine Weile gezögert und bin dann nicht hingegangen, um mir etwas vom Tisch zu nehmen. Manch einer denkt jetzt bestimmt pragmatisch: Es gibt viele Wege, Abendmahl zu feiern, muss man da so pingelig und empfindlich sein? Ich war es und bin es bis auf Weiteres auch noch. Am Mittwoch Abend fiel mir wieder auf, wie viel tiefen Sinn die Worte – und sei es nur dieser eine, altbackene Begriff „Leib“ – in sich tragen, und wie sehr das Teilen und Austeilen, das Geben und Empfangen dazu beitragen können, dass wir unseren so unglaublich selbstverständlichen modernen Individualismus, ja drohenden Solipsismus überwinden und uns als Teil eines Ganzen erkennen, dessen Mitte der Gekreuzigte und Auferstandene ist.

Das Verblüffende ist, wie man in manchen neuen Bewegungen gleichzeitig ganz viel von Beziehung und Gemeinschaft reden und das Ganze dann (ungewollt, denke ich) sprachlich-symbolisch komplett konterkarieren kann. Passiert uns das an anderen Stellen auch, ohne dass wir es merken?

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