Der Irrtum mit der Irrtumslosigkeit

Ich bin kürzlich auf einen älteren Post angesprochen worden, der das Postulat der Irrtumslosigkeit bzw. Unfehlbarkeit der Bibel kritisch beleuchtete. Das war wohlgemerkt keine Kritik an, sondern ein Plädoyer für die Glaubwürdigkeit der Schrift. Aus folgenden Gründen:

Erstens ist es immer eine Behauptung, und zwar eine, die nicht positiv beweisbar ist. Denn nur jemand, der selbst unfehlbar und irrtumslos ist, könnte die Irrtumslosigkeit irgendeiner Instanz bestätigen. Da wir Menschen das aber in der Regel nicht sind (und Grund zu der Annahme besteht, dass sich gerade jene, die sich für fehlerlos halten, am heftigsten irren), kann der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung gar nicht bestimmt werden, sie ist logisch und praktisch sinnlos.

Zusätzlich ad absurdum geführt wird sie durch die Streitereien und Spaltungen derer, die die Schrift für irrtumslos halten und dann in ihrer jeweiligen Interpretation zu derart verschiedenen Ergebnissen kommen, dass die Gräben unüberwindlich sind – was wiederum den Eindruck bestätigt, dass nicht einfach nur die Bibel, sondern das jeweilige Subjekt der Aussage (sie sei unfehlbar) sich nolens volens für unfehlbar halten muss.

Die darin enthaltene Anmaßung (also Unfehlbarkeit bzw. jede Art von Irrtum erkennen und beurteilen zu können) fordert auch noch derart zum Widerspruch heraus, dass man sich in der Suche nach (beziehungsweise der Abwehr von) echten und vermeintlichen Widersprüchen und Fehlern verzettelt und vergisst, schlicht einmal das ernst zu nehmen und umzusetzen, was man verstanden hat.

Und schließlich führt die damit verbundene Alles-oder-Nichts-Mentalität dazu, dass das Boot des Glaubens mit nur einem Leck schon sinkt. Man mag diese Überzeugungen verbissen verteidigen, aber wenn nur an einer Stelle der Damm bricht, dann ist auch unwiderruflich alles verloren, wie in diesem Fall, der exemplarisch für viele steht.

Ich beschränke mich lieber darauf zu sagen, dass ich die Bibel in dem, was sie über Gott und sein Verhältnis zu uns Menschen erzählt, für glaubwürdig halte. Das ist ein positives Attribut – unfehlbar bzw. irrtumslos sind ja doppelt negative Formulierungen. Positiv beschrieben habe ich das in aller Ausführlichkeit hier.

Wer gern Englisch liest: Eine gelungene theologische Auseinandersetzung bietet Chris Tilling, für den es auch ein intensives persönliches Ringen war, sich von allzu starren Bibeldogmen zu befreien: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4

Kleiner Nachtrag: Es tut sich was in der Evangelikalen Szene. Christoph Morgner vom Gnadauer Verband hat sich jüngst sehr deutlich gegen ein derart enges Bibelverständnis ausgesprochen. Und laut Wissenschaftsrat hat selbst die FTA in Gießen die Irrtumslosigkeit aus dem Bekenntnis gestrichen.

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