Magersucht und Attentäter

Tomas Halik will Verständnis und Interesse für Distanzierte und kirchliche Randsiedler wecken. Jesus hat nicht nur den harten Kern seiner wandernden Jüngerschar gepflegt, sondern er ließ sich auch auf Begegnungen mit Leuten wie Zachäus oder Nikodemus ein, ohne diese von ihrem Ort wegzurufen. Auch die Diskussionen um Begriffe wie „Bekehrung“ im Pietismus zeigen: Gerade die ganz entschiedenen Jesusnachfolger könnten dem Irrtum erliegen, dass es nur eine mögliche Form des Christseins gibt – ihre natürlich. Aber gerade die Offenheit am Rande ist wichtig für unsere Gemeinden:

Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Kirche und Sekte liegt darin, dass sich eine auf den „harten Kern“ völlig identifizierter Mitglieder einschränkt, ggf. in diesem Mitgliedertyp das Ideal sieht. Die Kirchen sind in der Regel älter, weiser, erfahrener und großzügiger; sie wissen, dass sie außer dem „harten Kern“, dem Skelett, auch einen etwas elastischeren Leib brauchen (und dass es eine Beeinträchtigung darstellt, wenn der Körper durch eine übertriebene Diät unterernährt ist). Darüber hinaus gibt es in ihnen häufig Menschen, die wissen, dass der Begriff Rand und Mitte in einem Organismus, wie die Kirche einer ist, ziemlich relativ sein kann.

… Wenn ich manche Katholiken beobachte, mit welcher Lust sie die Pluralität der Kirche gemäß ihrem oft sehr eigenartigen Konzept von Katholizismus gerne streng disziplinieren würden, werde ich traurig darüber, wie diese „Eiferer für das Haus des Herrn“ überhaupt nicht begreifen, dass sie eigentlich gefährliche Attentäter sind, die eine der vitalsten Funktionen der Kirche bedrohen, ihre Katholizität – die Allgemeinheit, welche übrigens das Ideal aller christlichen, das Apostolische Glaubensbekenntnis betenden Kirchen sein sollte.

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Der Gott der anderen

Die Bibel redet von Gott oft in Paradoxen. Nur so lässt sich das Geheimnis gegenüber allzu großem Wissensdrang und vor dem modernen Hang zur Instrumentalisierung schützen. Tomas Halik nimmt im vierten Kapitel von Geduld mit Gott Gedanken seines katholischen Kollegen Joseph Moingt auf, der die menschliche Neigung, Gott zu unserem Gott zu machen, kritisch reflektiert. Wir haben nur in dem Maß Zugang zu Gott, so Moingt, als wir diesem Drang widerstehen und Gott anders sein und für andere da sein lassen.

Paulus, die die Grenzen des Judentums überwand und das Evangelium den Heiden brachte und den Partikularismus Israels sprengte, wird zum Vorbild:

In ähnlicher Weise soll die Kirche stets aus ihrer christlichen Vergangenheit ausziehen, vieles „Ererbte“ tapfer hinter sich lassen. Das war und ist ihre Aufgabe. Beim Blick auf die Geschichte sehen wir aber etwas anderes: Die Kirche hat sich bald in ihren eigenen Partikularismus zurückgezogen., die Idee eines neuen Israel hat nicht Mut und Entschlossenheit provoziert ständig ein Volk auf dem Weg zu sein… Unsere Kirche wurde stattdessen eine partikuläre Einheit unter vielen anderen, begann ihre eigenen Grenzen zu überwachen und hat aus dem Glauben ein „Erbe der Väter gemacht“, ein Eigentum, das weiter tradiert wird.

Offenheit gegenüber Gott bedeutet für Moingt dann auch Offensein für andere, weil sich Gott mit Anderen solidarisiert und weil sich in unserem Offensein Gottes Offensein für die Welt vergegenwärtigt. Halik kommentiert das zweite vatikanische Konzil und die jüngere tschechische Kirchengeschichte und fragt ausgehend von beidem, ob nicht erst der Mut, auf den Anderen zuzugehen, zu einer neuen Gestalt von Kirche führen kann, die den Verfall der jetzigen Institution eines Tages überwindet uns deren wahre Schätze erbt.

Weder Halik noch Moingt wollen Tradition, Glaube und Theologie komplett über Bord werfen. Aber sie plädieren dafür, sich auf einen Veränderungsprozess einzulassen, der keineswegs frei von Risiken ist: Am Ähnlichsten sind wir Gott da, wo wir ihn und den Anderen suchen und uns dabei selbst überschreiten. Und da wird es ganz praktisch: Nur diese Haltung kann eine Alternative bieten zu den gängigen Reaktionen auf den Islamismus in Europa, die allzu oft entweder in aggressivem Säkularismus oder in christlichem Fundamentalismus bestehen.

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Thérèse von Lisieux und die Wahrheit des Atheismus

Das dritte Kapitel von Geduld mit Gott widmet Halik über weite Strecken der Thérèse von Lisieux, die mitten im verbissenen Abwehrkampf des französischen Katholizismus gegen den Atheismus ihren Glauben auf eine ganz andere Art lebte, und – so Halik – am Ende ihres Lebens sogar verlor. Nu die Liebe blieb, und das lässt sich als Erfüllung des Pauluswortes von 1. Kor 13,8 verstehen, dass in Gottes neuer Welt Glaube und Hoffnung sich in die Liebe hinein auflösen. Bei Thérèse scheint das schon eingetreten zu sein kurz bevor sie die Schwelle überschritt – so wie mancher Marathonläufer buchstäblich ins Ziel wankt und über die Linie fällt.

Sie deutet ihr Verlassensein von Gott als Platz nahmen an einem Tisch mit den „Ungläubigen“, und durch ihre Solidarität mit ihnen erschließt sie für die verbohrte Kirche neues Land. Die Abwesenheit Gottes als „existenzielle Wahrheit des Atheismus“ wird so auch Teil des Glaubensschatzes. Der Atheismus, sagt Halik, ist eben nicht als Lüge zu verstehen, sondern als eine „nicht zu Ende gesprochene Wahrheit“ – und eine nützliche Antithese zur „vulgären Religion“. Auch Chesterton konnte im Blick auf das Sterbewort Jesu ja auch sagen, dass hier „Gott für einen Augenblick Atheist zu sein schien“.

Thérèses Lebensthema war die Demut, und Halik zitiert den folgenden schönen Gedanken von ihr:

Ein Mensch, der lange auf den Berg der Tugend geklettert ist (…) solle mit demütiger Freude auch eine Sturz und (von Gott gewollten) Fall akzeptieren, denn nicht in dem erträumten „Oben“, sondern vielmehr unten wartet Gott auf ihn, „in der Tiefe des fruchtbaren Tales der Demut“.

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Neue Befreiungstheologie

Tomas Halik entwirft in Geduld mit Gott in Ansätzen eine „neue Befreiungstheologie“. Während die ursprüngliche Befreiungstheologie das Unrecht thematisierte, das die Armut und Unterdrückung in der damals noch so genannten „Dritten Welt“ verfestigte, und perspektivische Verengungen konventioneller Theologie durch den Hinweis auf den sozialen Kontext aufbrach, gilt das Interesse nun der Säkularisierung und dem modernen Atheismus in der westlichen Welt.

Ein Element dieser Befreiungstheologie ist ein Art apophatische Eschatologie, die sowohl allzu selbstgewisse religiösen Entwürfe als auch deren säkulare Pendants – seien sie nun von Marx, Huntington oder Fukuyama inspiriert – als Projektionen entlarvt und als „heilige Unruhe“ den Horizont offen hält für das Handeln Gottes zur Vollendung seiner Welt. In diesem Sinne ist sie auch eine Befreiungsspiritualität, eine Spiritualität des Exodus, und als solche sollte sie

nicht zu einer Flucht vor unserer Verantwortung für die Gesellschaft führen, in die wir gestellt sind – im Gegenteil: zu ihren Aufgaben gehört die Empfänglichkeit für die Zeichen der Zeit auch in dem kulturellen und politischen Klima der heutigen Welt. Die „Solidarität mit den Suchenden“ schließt eine Teilnahme an deren Fragen und Suchen mit ein.

Ein Vorbild für diesen Weg sieht Halik in dem späten Thomas Merton, der spirituelle Pilger auf den geistlichen Wegen des Ostens begleitete und darin seinen „Aufbruch zu den anderen“ lebte. Wer Geduld mit Gott übt, hält auch die Fragen anderer aus, ohne sie mit vorschnellen und damit auch vorletzten Antworten zu ersticken:

So wie für die Mission in der Welt sozial Armer die Kirche arm sein muss, ebenso muss sie, um in diese Welt religiösen Nichtgesichertseins eintreten zu können, manche ihrer Sicherheiten über Bord werfen. Sie muss nicht nur die äußeren Zeichen des Triumphalismus los werden … sondern vor allem den eigenen inneren Triumphalismus, nämlich Besitzerin des Wahrheitsmonopols zu sein. (S. 40)

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Hinter Feigenblättern

Ich bin auf ein Buch gestoßen, das mich sehr anrührt: Geduld mit Gott von Tomas Halik. Man darf sich von dem düsteren Cover aus dem HErder-Verlag nicht abschrecken lassen, der Inhalt ist, so weit ich es bisher gelesen habe, brilliant. Halik ist Professor in Prag und wurde zur Zeit des kommunistischen Regimes heimlich zum Priester geweiht. So ein Weg prägt einen Menschen. Schon im Vorwort schreibt er dazu:

Atheismus, religiöser Fundamentalismus und leichtgläubiger religiöser Enthusiasmus sind sich auffallend ähnlich in dem, wie schnell sie fertig sind mit dem Geheimnis, das wir Gott nennen – und eben deshalb sind alle diese drei Positionen für mich unannehmbar.

Und etwas später, im ersten Kapitel, heißt es dann zur Begegnung zwischen Jesus und Zachäus, der sich im Feigenbaum versteckt hat:

In meiner priesterlichen Seelsorgetätigkeit (…) stelle ich mir nicht zum Ziel, „Bekehrte zu bekehren“, für geregelt lebende Schafe der Herde zu sorgen und nicht enden wollende Polemiken und Streite mit Gegnern zu führen. Ich glaube nicht, dass meine Hauptaufgabe, die klassische „Mission“ sein soll, wenn damit jene Bemühung gemeint ist, möglichst viele Menschen in die eigene kirchliche oder politische Schar einzutreiben. Nach meinem Empfinden bin ich vor allem da, um verstehende Nähe jenen anzubieten, die unüberwindliche Hemmungen haben vor dem Anschluss an jubelnde Massen und vor gehissten Bannern jeglicher Couleur; jenen also, die Distanz bewahren.

… Jene Zachäische Distanz wird oft als Ausdruck einer Arroganz interpretiert, was wohl ein Irrtum ist – so einfach ist es nicht. Meine Erfahrung lehrt mich, dass es eher um eine Art Scheu geht. Bei einigen ergibt sich ihre Abneigung gegenüber den Massen und ihren Parolen und Bannern auch aus dem ahnenden Gefühl, die Wahrheit sei allzu zerbrechlich, um auf den Straßen skandiert werden zu dürfen.

Auf jeder Seite lauerte bisher ein anregender, neuer Gedanke. Und jetzt stürze ich mich voller Vorfreude in die Lektüre, die nur dadurch etwa gemindert wird, dass mir die englische Übersetzung gelungener scheint als die Deutsche. Aber man kann nicht alles haben…

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Feigenhasser

Über einen Post von Michael Frost auf Facebook fiel mir das folgende Dokument in die Hände. Jetzt wissen wir, warum es vielen Menschen auf dieser Welt so schlecht geht! Ich kann nur sagen: Wer Ohren hat zu hören, der höre…

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Kirchengeschichte im Zeitraffer

Zu Beginn des Kongresses in Kapstadt lief das folgende Video. Sicher kein einfaches Unterfangen, die Geschichte des Christentums in ein paar Minuten darzustellen. Vieles kann man nur andeuten, und natürlich gibt es zu den meisten Punkten auch konträre Positionen – insofern bin ich gespannt auf Eure Kommentare. Gelungen fand ich zumindest den Refrain „some thought, it was the end of the world…“

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Geistreiches Gespräch

Ich habe ein Wochenende mit den MitarbeiterInnen der GGE Westfalen verbracht. Trotz familiärer Verbindungen hatte ich den Kontakt in den letzten Jahren etwas verloren. Aber ich war angenehm überrascht von der bunten Gruppe aus allen Altersschichten, den aufgeschlossenen Leuten und deren große Bereitschaft, sich auf neue und herausfordernde Themen und Gedanken einzulassen.

Einer der schönsten Momente kam ganz am Ende. Einer der älteren Teilnehmer kam auch mich zu. Er hatte in der Feedbackrunde erzählt, dass er erwartet hatte, das offizielle Tagungsthema „Zeitgeist und Heiliger Geist“ verständlich aufgeschlüsselt zu bekommen, aber das hatte so nicht funktioniert. Nun fügte er erklärend hinzu: „Ich hatte erwartet, dass du mir das meinen Denkstrukturen erklären würdest. Aber es ist etwas anderes geschehen: meine Denkstrukturen sind aufgebrochen worden.“

Ich war erst einmal sprachlos. So etwas ist ja menschlich eigentlich gar nicht zu machen. Ich weiß, dass ich Leuten oft anstrengende Denkprozesse zumute. Dann reagieren manche, selbst deutlich jüngere, mit einem ratlosen Achselzucken oder auch schroff abwehrend. Aber wo die Verständigung gelingt und jemand sich auf neue Wege mitnehmen lässt, da ist Gottes Geist am Werk. Von allen Erfahrungen ist das eine der ermutigendsten, wenn statt des babylonischen Alltagsrauschens so ein Verstehen stattfindet, an dem nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz so intensiv beteiligt ist. Ich hoffe, dass ich diese innere Freiheit und Größe, die mir hier begegnet ist, auch habe, wenn ich eines Tages mal die 70 überschritten habe.

Und so fahre ich im überfüllten ICE sehr beschenkt wieder aus dem nebligen Ruhrgebiet in den sonnigen Süden.

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Kapstadt-Rückblick (2): Armes, altes Europa?

Ich sitze im Flieger nach Johannesburg und komme noch einmal zurück auf das Verhältnis von Afrikanern und Europäern. Nach allem, was der Kongress in Kapstadt zur Lage in Europa gebracht hat, wurden manche Europäer von den andern Delegierten schon bedauert und (das war die größere Anfechtung) als Auslaufmodelle abgeschrieben. Ein Grund waren die einseitigen Plenumsbeiträge, etwa wenn Os Guinness etwas pauschal vom „traurigen Schicksal der liberalen Theologie in Deutschland“ sprach – als würden andere Gattungen des Christentums hier oder irgendwo in Europa wie verrückt boomen…

Zweitens sind die Europäer viel zurückhaltender als alle anderen, wenn es um optimistische Prognosen oder gutaussehende Statistiken geht. Die tollen Zahlen haben die anderen. Aber eben auch Probleme wie verbreitete Korruption, Machtmissbrauch und autoritäre Führer, ungelöste ethnische Konflikte oder hin und wieder Kungeleien mit zwielichtigen Regimes.

Europäer haben aus der Geschichte gelernt und meiden peinlichst jede Form von Kolonialismus – die meisten jedenfalls. Dass sie hier so selbstkritisch und – im Fall von Michael Herbst oder Elke Werner – ausgesprochen bescheiden auftraten, wird in anderen Kulturen, denen leise Töne tendenziell eher fremd sind, vielleicht auch missverstanden. Manche jungen Kirchen machen bekannte Fehler jetzt auch deshalb nach, weil sie es sich gar nicht vorstellen können, dass ihnen vielleicht eines nicht allzu fernen Tages ähnliche Gefahren drohen wie den Kirchen der alten Welt.

Wir haben uns in den letzten Tagen ab und zu gefragt, mit was für einem Bild von Deutschland und Europa unsere afrikanischen und asiatischen Mitchristen nun abgereist sind und wie sich das zukünftig auswirkt. Es gibt seit einer Weile den Begriff reverse missions, der beschreibt, dass Missionare diese jungen Kirchen in der Regel auf den Spuren ihrer Auswanderer nun in westliche Länder kommen und dort nicht nur ethnische Gemeinden gründen, sondern auch einzelne Deutsche zum Glauben führen. Damit verbinden sich viele Fragen, nicht zuletzt die nach der Identität solchen Gemeinden in der zweiten und dritten Generation, wenn der Kontakt zur Heimatkultur nachlässt und vielleicht nur ein Elternteil Migrant ist.

Vielleicht aber wird in Zukunft noch eine andere Bewegung einsetzen. Die meisten Menschen finden heute dort zum Glauben, wo sie aus einer vormodernen Gesellschaft in eine moderne übergehen. Heinzpeter Hempelmann spricht von einer „modernen Formatierung“ unserer Kirchen, doch das scheint nicht nur für Deutschland zu gelten. Am Übergang von der Moderne zur Postmoderne dagegen sieht es für die Kirchen nicht rosig aus. Im Zuge der Globalisierung bilden sich in den urbanen Zentren auch in Afrika und Asien vielfältigere Denk- und Lebensgewohnheiten aus. Netzwerke wie Amahoro tauschen sich schon über deren Fragestellungen aus, und Studiengänge wie Global Missional Leadership am George Fox Seminary greifen die neue Vielfalt auf. Ich bin gespannt, wie deren Fazit zu Lausanne III ausfällt, sie waren dort ja auch vertreten.

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Kapstadt-Rückblick: Theologie

Mit einigen Tagen Abstand beschäftigen mich die Diskrepanzen des Kongresses. Ich bin einer großen Vielfalt von TeilnehmerInnen, Themen und Projekten begegnet. Das war ungemein bereichernd und beeindruckend. Es spielte sich aber im Wesentlichen in den Pausengesprächen und den kleineren Einheiten (Multiplexe und Dialog-Sessions) an den Nachmittagen ab.

Im Plenum wurde versucht, die Einheit zu betonen und dabei explizit zu machen, dass es eine theologisch begründete Einheit ist. Das hat zu einer gewissen theologischen Stagnation geführt. Die hat auch ihr Gutes, etwa in der geschlossenen Abwehr des „Wohlstandsevangeliums“ in jeder Form. Aber man fragte gar nicht erst, ob an anderer Stelle nicht doch theologische Innovation nötig wäre. Vielleicht beruht diese Entscheidung auf einer realistischen Einschätzung: vielleicht ist der Zusammenhalt so brüchig, vielleicht ist auch niemand da, der mit einem mutigen, neuen Entwurf den Kongress inspiriert.

Vielleicht war es aber auch Ängstlichkeit. Paradigmenwechsel, egal in welcher Zunft, verlaufen nie geräuschlos. Und man bekam die taktischen und politischen Manöver im Vorfeld und hinter den Kulissen ja verschiedentlich mit. Es gäbe ja eine Menge spannender Fragen und etliche interessanter Neuansätze. Sie sind naturgemäß umstritten. Aber vielleicht hätten ein paar experimentierfreudige Querdenker dem Kongress auch theologisch gut getan. Es hat fast den Anschein, als hätte sich seit Manila 1989 nicht viel bewegt. Wer konservativ denkt, wird in jeder Neuerung einen Abfall sehen und nur in deren restaurativer Rücknahme etwas Gutes erkennen, aber wer kontextuell denkt, weiß auch, dass in einer veränderten Welt die Verfälschung genau dadurch entstehen kann, dass man zu lange an manchen konventionellen Formen festhält.

Die gute Nachricht im Blick auf Lausanne ist: Die Praktiker sind längst dabei, ausgetretene Pfade zu verlassen, und zum Teil machen sie ganz hervorragende Arbeit. Die nachdenkliche Frage an Lausanne ist, warum man sich das theologisch nicht leisten zu können glaubt, und ob sich dieses Versäumnis nicht irgendwann einmal rächt. Das langatmig-orthodoxe und im Vergleich zum Kongressverlauf auch etwas fade offizielle Schlussdokument spiegelt leider nur nur diese Seite des Kongresses wider. Sein Name kam nur in der Polemik der Kollegen aus dem Süden vor, aber ich hätte mir einen Rowan Williams gewünscht – der hätte drei seiner Landsleute ersetzen können. Oder Miroslav Volf über Versöhnung und ethnische Konflikte. Oder jemanden, der mit dem Begriff „postmodern“ noch etwas anderes zu verbinden weiß als nur das Gespenst des hemmungslosen Relativismus.

Die offizielle Kongresstheologie war ausgesprochen modernistisch, sie erging sich überwiegend in Propositionen. Dagegen lese ich eben in Alan Roxburghs Introducing The Missional Church von einem Begriff, den ich in Kapstadt hin und wieder vermisst habe:

Das Reich Gottes wird in Metaphern … und Bildern erklärt. Es ist unmöglich, alle Bilder in einer rationalen Definition für ein Lexikon unterzubringen. Man kann diese Beschreibungen nicht kodifizieren und in eine nette Schublade stecken. Jesu Worte zeigen, sie öffnen und deuten viel mehr an, als sie definieren.

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Abschiedsschmunzeln

Meine Internetverbindung war einige Tage gekapt – ich habe mit zwei Mitreisenden nach dem Kongress noch zwei Tage in Hout Bay drangehängt, während der ich die folgenden Posts geschrieben habe. Hier nun der erste:

Der Kongress endete mit einer kleinen Überraschung für mich. Am Vortag hatte ich auf dem Blog einer anderen Kongressteilnehmerin gelesen, dass Erzbischof Orombi eine eher unglückliche Rolle spielt bei dem Vorhaben, praktizierte Homosexualität in Uganda unter drakonische staatliche Strafen zu stellen. Ich konnte das mit dem begrenzen Internetzugang nicht mehr umfassend recherchieren, fand aber zumindest auf die Schnelle keinen klaren Beleg dafür, dass Orombi sich wie Rick Warren engagiert dagegen ausgesprochen hätte, lediglich die Todesstrafe ging ihm offenbar doch zu weit.

Hier liegen, das hört man auch in manchen Gesprächen durch, immer noch Welten zwischen den meisten Christen im Westen und denen aus Asien und Afrika. Aber auch einige junge Afrikaner sind nachdenklich. Einer sagte mir, er glaube, die Christen seien mit Homosexuellen bisher nicht gut umgegangen. Anders als die Reden im Plenum vermuten lassen, gibt es hier eine erstaunliche Meinungsvielfalt.

Ob zu Recht oder zu Unrecht, ich ging, nachdem ich meine abendliche „Lausagne“ verdrückt hatte, mit einem mulmigen Gefühl in den Abschlussgottesdienst, der optisch, musikalisch und liturgisch opulent ausfiel – very britischer Pomp and Circumstance. Und dann geschah das ganz Unerwartete: Dem großen Erzbischof versagte, als er die Abendmahlsliturgie anstimmen wollte, die Stimme und sie kam auch nicht wieder. So musste Doug Birdsall einspringen, das tat er auch mit Bravour, assistiert von Grace Matthews. Und ich ging mit einem Mal sehr entspannt am Tisch auf der großen Bühne vorbei, um Brot und Wein zu empfangen.

Jede(r) wird das bestimmt anders bewerten, und eine Koinzidenz ist natürlich keine Kausalität. Für mich war es trotzdem ein kleines Augenzwinkern Gottes – und eine Erinnerung daran, dass er hin und wieder durch Schweigen lauter reden kann als durch viele Worte.

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Ausgebüchst…

Der letzte Tag verlief ganz ungeplant. Ich konnte spontan (und daher deutlich underdressed) mit zu einem Gottesdienst in Khayelitsha, einem Township mit geschätzten 2 Millionen Einwohnern. Bei der Grace Assembly wurden wir freundlich aufgenommen und konnten einen Gottesdienst unterm Wellblechdach erleben – ausgesprochen fröhlich und positiv, völlig frei vom Prosperity Gospel. Pastor Cyprian Nqanda predigte lebendig und mutmachend über das Hohelied der Liebe und im Anschluss besuchten wir noch die Suppenküche der Gemeinde, wo am Vortag noch rund 100 Kinder zu essen bekommen hatten.

Auf den Fluren des Kongresszentrums herrscht Abschiedsstimmung. Das Abendprogramm der letzten Tage fand ich seltsam uninspiriert – aber vielleicht ist das auch nur Müdigkeit. Gestern wurde das offizielle Kongressdokument verteilt, es enthält wenig Aufregendes. Gibt es noch einen Höhepunkt am Ende oder plätschert es halt so dahin? Ich werde es gleich herausfinden. Aber dass ich neben der Disney-Version von der Bühne nochmal ein Stück südafrikanische Realität erlebt habe, ist gut.

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Pflasterfarben

Beim Abendessen kam ein Kellner vorbei, der ein Pflaster über der Augenbraue trug. Es war hautfarben, deswegen fiel es so auf – denn die Hautfarbe war europäisch, nicht afrikanisch. War nur kein passendes da, oder gibt es die gar nicht?

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Frieden säen

Rolf Zwick hat mich heute zu einer Dialogue Session des Reconciliation Network mitgenommen – sehr spannend, was da läuft. Ich habe die ersten Einheiten an den Vortagen verpasst, aber eine Geschichte hat mich berührt. Neben mit saß ein junger Pastor aus Nigeria. Er hat mit 27 jungen Muslimen Versöhnung und Gewaltprävention eingeübt. Als kürzlich Unruhen ausbrachen und wütende Muslime seine Kirche zerstören wollten, kamen diese Männer, stellten sich um das Gebäude herum auf und ließen keinen durch.

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Kapstadt, Tag 5: unerreichte Haltungen

Der vorletzte Tag begann mit einer Bibelarbeit über Integrität. Calisto Odede aus Kenia rief sehr eindringlich zu einem glaubwürdigen und transparenten Lebenswandel auf. Ich fragte mich zwischendurch: Wenn ich meine nichtchristlichen Nachbarn ansehe, dann finde ich, dass die Kontraste im Lebensstil weniger scharf ausfallen, als sie in diesem steilen Bibeltext erscheinen. Die Bereitschaft zur Selbstkritik hier ist sehr groß, und das ist gut. Manchmal frage ich mich dennoch, ob wir nicht mehr brauchen als Appelle. Das Erschütternde ist ja oft auch, dass gerade dort, wo moralische Appelle laut und häufig sind, schlimme Dinge passieren. Was bedeutet es also praktisch, Christus anzuziehen?

Nun spricht zur Abwechslung – ein Brite: Chris Wright. Das größte Hindernis für die Erfüllung von Gottes Verheißung sind, sagt Wright, nicht die „Heiden“ oder die „Welt“, sondern dass Gottes eigenes Volk falschen Göttern auf dem Leim geht. Wright nennt Macht und Stolz, Erfolg und Beliebtheit, Reichtum und Gier, und zitiert die Kritik der großen Propheten Jesaja und Jeremia. Auf der Leinwand an der Rückseite der Halle steht, während Wright redet, groß „speak slower“. und jetzt nimmt er tatsächlich das Tempo etwas heraus…

Jesus hat sich, als er in der Wüste versucht wurde, eben diesen Versuchungen gestellt und sie überwunden. Die Reformation war nötig geworden, weil die spätmittelalterliche Kirche ihnen weitgehend erlag. Heute haben wir an vielen Orten wieder autokratische Superapostel, übertriebene Statistiken und geschönte Erfolgsstorys und ein Wohlstandsevangelium, das irre Blüten treibt. Heute also brauchen die Evangelikalen eine Reformation. Demut, Integrität und einfaches Leben – Richard Rohr hätte das heute auch gefallen.

Femi Adeleye erklärt die Logik des Wohlstandsevangeliums. Sein Cousin hat einen VW Käfer seiner Kirche gespendet, in der trügerischen Erwartung, dass Gott ihm einen Mercedes schenkt. Wie hatte neulich jemand hier gesagt: Nicht Armut ist das Problem unserer Welt, sondern Reichtum. Geben, Spenden ist etwas anderes als die Investition in Fonds mit unanständig hohen Renditen. Es bedeutet, mit andern zu teilen – besonders mit denen, die in unserer Gesellschaft nicht angesehen sind (auf der Leinwand hinten steht „stop“). Geld, sagt Adeleye, ist Macht und eine spirituelle Macht dazu. Christen müssen sich ihrem Zwang widersetzen.

Es geht weiter zur Frage der Frauenrechte, die an vielen Orten mit Füßen getreten werden. In der Kirchengeschichte haben Frauen immer wieder einen ganz besondere Rolle gespielt. Elke Werner spricht von der Möglichkeit, dass Christen ein konstruktives Verhältnis der Geschlechter im Sinne von Galater 3,28 vorleben können. Aber selbst in christlichen Gemeinden und Familien werden Frauen benachteiligt oder klein gehalten. Gott hat Männer und Frauen begabt, nun müssen sie lernen, in ihrer Unterschiedlichkeit zusammenzuarbeiten. Gott, so meint sie, sei vielleicht an den Diskussionen über complementarianism und „egalitarianism“ gar nicht so interessiert. Nun, auf ihre Art hat sie diese Frage ja auch beantwortet. Die Frauen im „Women’s Cafe“ zeigen sich in der Mittagspause hochzufrieden.

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