Noch etwas schwindelig…

Ich bin zurück aus Marburg vom Studientag Gesellschaftstransformation mit N.T. Wright. Gestern habe ich noch beim Einschlafen versucht, englische Bandwurmsätze, deren Ende ich vergessen hatte, ins Deutsche zu übersetzen. Aber der wesentliche Eindruck dieser zwei Tage war ein anderer. Ich habe ja schon ein paar Professoren und Bischöfe getroffen, aber noch keinen (und vor allem keinen Deutschen…), der so zugänglich, bescheiden und freundlich war wie Tom Wright.

Der Mann hätte mit über 50 Bücher, die er veröffentlich hat (und einer bemerkenswerten kirchlichen Karriere) mehr Grund als viele andere, akademischen Dünkel an den Tag zu legen. Tut er aber nicht und lehnt damit Aristoteles‘ Sicht von Stolz als einer positiven Haltung nicht nur theoretisch ab, er vermeidet ihn auch praktisch.

Alle, die von Wright noch nichts gelesen haben, können aus einer ständig wachsenden Zahl deutscher Übersetzungen seiner Werke wählen. Brandneu sind zwei dazu gekommen. Für die theologisch Interessierten ist Das Neue Testament und das Volk Gottes ein heißer Tipp, trotz anspruchsvollen Inhalts gut lesbar und zu einem mehr als fairen Preis.

Und wer es gerne praktischer und noch verständlicher haben möchte, kann sich die deutsche Fassung von Virtue Reborn aus der Edition Emergent zu Gemüte führen: Glaube – und dann?: von der Transformation des Charakters. Für die Redaktion von Christianiy Today das beste Buch in der Kategorie Theologie/Ethik im Jahr 2011! Hier gibt’s übrigens eine Rezension der amerikanischen Ausgabe von Scot McKnight.

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(danke an Timm Ziegenthaler für das Foto!)

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Gott und die „säkulare Jugend“

Und noch ein Statement aus der islamischen Welt, weil es gerade so spannend ist. Heute berichtet die FAZ über den Hintergrund der Proteste in Kairo unter anderem dies:

Einer der Muslimbrüder sagte auf dem Tahrir-Platz, immer habe er geglaubt, Gott habe die Muslimbruderschaft beauftragt, das Regime zu stürzen. Nun aber sehe er, dass Gott damit die säkulare Jugend beauftragt habe. Offenbar müssten die Islamisten bescheidener sein und diese säkulare Jugend als Partner akzeptieren, leitete er daraus ab.

Hut ab vor der Einsicht! Wenn sich das mit der Bescheidenheit mal in allen christlichen Kirchen so gründlich durchsetzen würde. Oder bei den Mullahs im Iran!

Inzwischen teilen die Ägypter ihre Erfahrungen mit anderen Aktivisten. Die Hoffnung dabei ist groß:

Wenn Gruppen wie unsere in anderen Ländern auf die Straße gehen und sie ausdauernd sind wie wir, könnte dies das Ende aller Regime bedeuten.

Und Europa? Das denkt erst mal daran, wie man Flüchtlinge abschreckt und „brutalstmöglichst“ wieder los wird, anstatt zu akzeptieren, dass man entweder jetzt für einen Wandel zu Demokratie und Humanität zahlt, oder die nächsten paar Jahrzehnte Geld für Auslandseinsätze oder steigende Energiepreise hinblättert, falls der Suezkanal dicht ist oder andere Schockwellen uns erreichen.

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Die leidige Kritik

Das kommt mir doch bekannt vor: Fromme Muslime müssen beim Studium der Islamwissenschaften an deutschen Unis erst mal einen kleinen Kulturschock verdauen und lernen, „zwischen eigenem religiösen Empfinden und der wissenschaftlichen Betrachtung zu unterscheiden“, berichtet die Zeit heute.

Allmählich gewöhnen sich die meisten daran. Trotzdem ist kritische Exegese unter Doktoranden anscheinend deutlich unpopulärer als eine Dissertation über historische und literarische Fragen. Manche lehnen sie auch rundweg ab. Einer Studentin etwa

… graut es vor dem Koranexegese-Seminar, in dem es um die wissenschaftliche Diskussion des heiligen Buches geht. Sie sagt, dass ein Nichtmuslim den Koran gar nicht korrekt erklären könne. Würde er den Koran nämlich verstehen, wäre er längst konvertiert, wäre also Muslim.

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Weisheit der Woche: christliche Identität

Ganz ähnlich wie Juden und Muslime können Christen nie in erster Linie Asiaten oder Amerikaner, Kroaten, Russen oder Tutsis sein, und erst dann Christen. Im Kern christlicher Identität liegt ein alles umfassender Loyalitätswechsel, von einer bestehenden Kultur und ihren Göttern hin zu dem Gott aller Kulturen.

Mirolsav Volf, Exclusion & Embrace, S. 40

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Geistreicher Prophet

Wie christlicher Glaube, richtig verstanden, im modernen Leben und auf ganz anderen Themenfeldern zu neuen, hilfreichen Denkansätzen führen kann, das hat Marshall McLuhan („the medium is the message“) vorgemacht. Zum 100. Geburtstag des „Medienpropheten“ merkt die SZ heute folgendes an:

Dieser Glaube an das Medium als Botschaft hat einen interessanten Subtext: den Glauben. Marshall McLuhan ist früh zum Katholizismus übergetreten. Es wurde schon oft daran erinnert, worin der zentrale Glaubensinhalt des Christentums besteht: Dass nämlich Gott nicht als Lichtgestalt, Goldregen oder Godzilla zu den Menschen gekommen ist – sondern als Jesus Christus.

Um zur Welt zu kommen, wählt der allmächtige Gott die Gestalt eines armen Zimmermanns, darin steckt die ganze Geschichte der Erlösung des Niedrigen durch das Hohe. Gott wählte sich einen sterblichen Menschen als Medium, das ist die frohe Botschaft des Christentums.

Diese Art Messianismus hat McLuhan auf andere Medien übertragen. Und zwar mit Vorliebe auf die neuen Medien, die immer eine Zeitlang verpönt und als niedrig abgetan werden. Fernsehen macht dumm? Unsinn, es ist der Beginn einer neuen Zeit. Wobei auch die These, Fernsehen mache blöd und faul, die gleichen Prämissen teilt: Es ist dann eben ein falscher Messias, der die Leute in die Hölle führt.

„Inkarnatorisch“ hat sich ja in der missionalen Szene zum Modewort entwickelt. Vielleicht haben wir das (nicht das Konzept, aber seine plötzliche Populariltät) auch McLuhan zu verdanken. Wie auch immer, hier noch ein paar Bonmots des Meisters:

Only puny secrets need protection. Big discoveries are protected by public incredulity.

We look at the present through a rear-view mirror.

We march backwards into the future.

The trouble with a cheap, specialized education is that you never stop paying for it.

The ignorance of how to use new knowledge stockpiles exponentially.

Food for the mind is like food for the body: the inputs are never the same as the outputs.

The missing link created far more interest than all the chains and explanations of being.

(noch mehr davon gibt’s hier)

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Hochleistungschristen

In der katholischen Kirche wird – mal wieder – über den Zölibat diskutiert, den Pflichtzölibat für Priester freilich, nicht den „freiwilligen“ der Ordensleute. Nun antwortet Kardinal Meisner aus Köln (danke an Simon de Vries für den Tipp!) den Kritikern und macht unmissverständlich deutlich, dass daran nicht zu rütteln ist, weil es hier um die Identität der katholischen Kirche, im Grunde aber des ganzen Christentums geht. Überraschen wird das niemanden. Interessant dagegen ist, wer da wie argumentiert. Wir finden etwa gegen Ende des Textes das Alles-oder-nichts-Argument:

Vergessen wir nicht: Ohne Priester keine Eucharistie, und ohne Eucharistie keine Kirche.

Ins gleich Horn stößt Matthias Matussek im Spiegel, der jedes Rütteln am Zölibat mit der „Abrissbirne“ gleichsetzt. In beiden Fällen kann das als Reduktion von Kirche auf die Hierarchie verstanden werden, die das Volk aus dem Blick verliert oder zu Statisten und Zuschauern degradiert. Und ein klitzekleines bisschen erinnert es an den einen oder anderen Despoten, der sich als letztes Bollwerk gegen das Chaos der Anarchie zu inszenieren versucht.

Kein Wort verlieren beide darüber, dass die Kirche bis 1139 auch ohne den verpflichtenden Zölibat aller Priester auch ganz ordentlich lebte. Viel spannender ist aber das Einstiegsargument Meisners, das ebenfalls eine steile Alternative aufmacht, die ihrerseits (um das Unwort des Jahres zu bemühen) für alternativlos erklärt wird:

Vor dem Zölibat gibt es nur eine Alternative: Entweder es gibt Gott, oder der zölibatär lebende Mensch ist verrückt. Eine andere Alternative gibt es nicht!

Nun gibt es nachweislich Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen allein oder enthaltsam leben und weder katholisch noch verrückt sind. Zudem kann durchaus auch beides zutreffen, es gibt ja leider eine große Bandbreite an religiösen Neurosen – also gilt keineswegs ein so klares Entweder/Oder. Aber wenn der unverheiratete Priester zum lebenden Gottesbeweis stilisiert wird, ist er damit nicht zum „Erfolg“ dieser Lebensform verdammt, weil ein Scheitern auch ein Verrat an Gott wäre? Matussek wählt etwas andere Worte und sieht im kirchlich geregelten Zölibat einen Gegenentwurf zur bürgerlichen Existenz:

Der zölibatäre Priester lebt im Angesicht des Heiligen. Er ist nicht der Kumpel, den man in der Kneipe trifft. Er ist die auratische Respektsperson, der man aus einer Andachtsdistanz heraus begegnet. Wollen wir das aufgeben für die ganz gewöhnlichen Klarsichtfolien-Betriebsnudeln, denen man in Bundestagsausschüssen oder auf Kirche-von-unten-Flohmärkten begegnen kann?

Ich kann verstehen, dass immer weniger Menschen diesen Heldenmut in sich entdecken, der einen die Einsamkeit des Säulenheiligen (oder Krimi-Kommissars) wählen lässt, des Spitzenasketen, an dem andere sich orientieren sollen und der einzig bei immer weniger und immer überlasteteren Kollegen Schwäche zeigen darf. Und scheitern nicht auch viele Leistungssportler an dem Erwartungsdruck, ständig Höchstleistungen produzieren zu müssen?

Aber warum sollte Heiraten nicht mindestens ebenso subversiv sein – oder noch subversiver? Zygmunt Bauman etwa sprach jüngst davon, dass das Konsumdenken längst auch zwischenmenschliche Beziehungen dominiert:

Es gibt keinen Grund, einem Produkt gegenüber loyal zu sein, wenn es seinen Zweck nicht mehr erfüllt und vielversprechendere Alternativen vorhanden sind. Da alle oder zumindest fast alle Mitglieder in unserer Gesellschaft von Konsumenten dieses Muster akzeptieren, ist es kein Wunder, dass wir auch selbst von den anderen gemäß diesem Muster behandelt werden … Wir wollen selbst nachgefragt werden und damit begehrenswert für andere sein. Darum müssen wir uns ständig in möglichst attraktiver Form präsentieren. Der Mensch verwandelt sich in eine Ware.

Matusseks (und Meisners) Beschreibung des Heiligen wirkt auch deshalb befremdlich, weil sie letztlich vielleicht doch einer zwar religiösen, aber nicht genuin christlichen Logik folgt, wie der Priester und Kirchenhistoriker Arnold Angenendt in der SZ erläutert:

Die Forderung der Ehelosigkeit für alle Altardiener kommt von woanders her, aus dem Feld der kultischen Reinheit. Diese besagt: Heiliges darf nur „rein“ berührt werden. Als Inbegriff dafür stehen die „reinen Hände“. Unreinheit zieht man sich zu durch das Essen bestimmter Nahrungssorten, durch Berühren von Toten, besonders aber durch Beflecktwerden mit Sexualstoffen, mit Mannessamen sowie Menstruations- und Geburtsblut. Wir begegnen hier einem weltweiten Religionsphänomen, anzutreffen genauso in Japan wie in China, in Griechenland wie in Rom, insbesondere in Israel.

Jesus hat dieses Reinheitsverständnis überwunden und die ersten Christen hatten mehrheitlich verheiratete Amtsträger, die Spätantike brachte das „Alte“ aber zurück. Das zweite Laterankonzil begründet das Verbot der Ehe bei Priestern mit dem Hinweis, es sei „unwürdig, dass sie sich geschlechtlichen Ausschweifungen und Unreinheiten hingeben“, schreibt Angenendt. Laien durften mit der Zeit bei der Kommunion die Hostie nicht mehr in die unreine Hand bekommen, sondern vom Priester direkt in den Mund. Er folgert:

Wer indes noch grundsätzlich darauf besteht, Priestertum sei nur zölibatär möglich wie auch die Mundkommunion die einzig mögliche Empfangsform, leugnet die religionsgeschichtliche Revolution Jesu Christi.

Als ich diesen Satz gelesen hatte, habe ich Matusseks Text noch einmal durchgesehen – von Jesus ist da ehrlicherweise gar nicht die Rede. Und Meisner nennt Jesus zwar als Vorbild zölibatären Lebens, schweigt aber zu Jesu Kritik an „Menschensatzungen“, damaligen (und heutigen!) Vorstellungen von ritueller Reinheit und einem hierarchischen Verständnis von Kirche in Sinne einer Heiligkeitspyramide, an deren Spitze unverheiratete Männer stehen müssen.

Was beide auch nicht thematisieren, ist die unübersehbare Kluft, die sich derzeit zwischen Hierarchie und Kirchenvolk auftut – weniger die Kirchenaustritte, sondern eher die verbreitete Resignation an der Basis. Die hat auch damit zu tun, dass zwar von offizieller Seite hohe Ideale propagiert werden, während man zugleich verschweigt oder gar vertuscht, dass viele Priester daran scheitern – nicht nur in Afrika. Klar kann man das damit abtun, dass hier jemand sich eben in seiner Berufung geirrt hat oder dass die Kritik am Zölibat, mangelnde Achtung vor dem Amt beziehungsweise die Sexualisierung der Gesellschaft daran schuld seien.

Angenendt argumentiert anders als seine Kontrahenten. Sachlicher und biblischer – während Matussek polemisiert und Meisner verklärt. Aber da die katholische Kirche den Priestermangel ja nun mit iPhone Apps zur automatisierten Beichte kompensiert, kann man sich das vielleicht auch leisten. Vielleicht aber auch nicht, schließlich sind in den letzten Jahrzehnten schon etliche starre Systeme ins Straucheln geraten, wie Walter Färber hier so schön dargestellt hat. Meisner suggeriert, das Unbehagen mit dem Zölibat sei eigentlich in der Furcht begründet, dass Gott einem zu nahe kommen könnte. Das könnte sein. Könnte aber auch gut sein, dass die Furcht vor Reformen, vor einem Ende der Hierarchie in ihrer gegenwärtigen Form, genau dieselben Ursachen hat…

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„pornographische Anbetung“

Ein grandios wütender Kommentar von Alexander Gorkow heute in der SZ zur Verleihung der goldenen Kamera, dem Heiratsantrag von Monica Lierhaus und der Frage, was unser Fernsehen eigentlich im Innersten antreibt:

Hinter den Kulissen von deutschen TV-Unterhaltungsformaten finden rituelle Gebete statt. Es geht in diesen Gebeten selten um die Hoffnung auf den großen Erkenntnisgewinn während einer bevorstehenden Sendung. Es geht selten auch um jene Subversion, die Engländer und Amerikaner beherrschen (…) Es geht in unserem Gebührenfernsehen – dem mit jährlich rund acht Milliarden Euro teuersten der Welt – in Ermangelung an Stil, Humor und Vertrauen in die Zuschauer wenig um Sprache. Es geht stattdessen um eine Art Gott, und es ist dies der Gott des emotionalen Augenblicks.

Es ist eine inzwischen quasi pornographische Anbetung des einen, großen und bitte absolut geilen Moments, der ins Bild muss – und heute können wir sagen: koste es, was es wolle, zum Beispiel die Würde einer Frau wie Monica Lierhaus. Es wird wegen der Fixierung der Sender auf diesen Moment kein Mensch mehr sagen können, wer zum Beispiel bei welchem „Bambi“ oder „Fernsehpreis“ mit einer Trophäe nach Hause ging. Es wird sich hingegen jeder an den Auftritt des todkranken Rudi Carrell erinnern, oder daran, wie Marcel Reich-Ranicki plötzlich herumbrüllte, weil ihm das Niveau einer Preisverleihung mit einem Mal zu niedrig vorgekommen war.

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Fürs Protokoll

Es ist ja schon vielen Weisen und Heiligen untergejubelt worden, aber das bekannte „Gelassenheitsgebet“ stammt höchstwahrscheinlich von dem deutsch-amerikanischen Theologen Reinhold H. Niebuhr (1892-1971). Hier ist es, falls jemand es noch nicht kennt:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Und nochmal auf englisch:

God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
Courage to change the things I can,
And wisdom to know the difference.
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Lebensabschnittsgemeinden

Im Gespräch mit einem Freund kam ich darauf, dass es (vor allem in größeren Städten) das Phänomen einzelner Gemeinden gibt, die viele junge Leute anziehen – weil viele andere junge Leute da sind und man dort gute Aussichten hat, bei der Partnersuche fündig zu werden. Ist das Kunststück dann geschafft, kommt gar das erste Kind, dann sind die Paare so schnell wieder verschwunden, wie sie dort aufgetaucht waren.

Die Pastoren dieser Gemeinden glauben gerne, dass der Zulauf mit ihrer Predigtgabe zu tun hat, während viele Gottesdienstbesucher ein Auge anbetend schließen und mit dem anderen nach dem/der potenziellen Angebeteten Ausschau halten. Daran ist ja auch nichts verkehrt, so lange man sich eingesteht, wie die Gruppendynamik tatsächlich funktioniert. Vielleicht sollte man das ja nicht „Gemeinde“ nennen, sondern „Worship-Dating“? Aber dann würde es vielleicht nicht mehr so gut funktionieren.

Wo ich schon mal dabei war, fragte ich mich gleich weiter, ob dann die Gemeinde für Eltern von Kindergarten- und Schulkindern folgt, und auch dafür spricht einiges. Viele Väter und Mütter entscheiden sich für die xy-Gemeinde und deren Gottesdienst, weil der Nachwuchs dort am besten „versorgt“ ist. Und auch da denken manche Pastoren irrigerweise, es seien ihre attraktiven Predigten, die die Gemeinde zum Blühen bringen. Wenn die Kinder groß genug sind, wandern sie und ihre Eltern allmählich weiter – nicht unbedingt in dieselbe Richtung. Und dann erst stehen die Chancen gut, dass Predigten – neben dem Gospel- oder Bachchor, der ausschlafkompatiblen oder sonntagswandererfreundlichen Gottesdienstzeit, zumutbarer Entfernung, Raumtemperatur und dezenter Beleuchtung oder Verdunkelung – die Entscheidung irgendwie beeinflussen.

Parallel gibt es das Phänomen der Ein-Generationen-Gemeinde: Sie haben als Jugendgruppe oder junge Erwachsene angefangen und werden nun gemeinsam alt. Irgendwann haben sie sich alle ineinander verliebt, ein paar haben auch heraus- oder hineingeheiratet, dann haben fast alle Kinder bekommen. Und als man die gemeinsam groß gezogen hatte, sind die in eine Gemeinde abgewandert, wo sie einen Partner finden konnten. Die Eltern werden gemeinsam älter und …

… ja, was nun?

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Der ungeliebte Christus

Ich kann ja gut verstehen, wie es so weit kommen konnte: Da ist der Pfarrer, der in einer so hölzernen Art und stereotyp immerzu nur von „Jesus Christus“ spricht, als wären das Vor- und Nachname wie in „Herbert Müller“ – und weil er immer den Nachnamen dazu sagt, erweckt das zugleich den Anschein, als kenne er diesen Herrn nicht besonders gut.

Da sind theologische und Frömmigkeitstraditionen, in denen die göttliche Seite auf Kosten des Menschlichen so hervorgekehrt wurde, dass ihr „Christus“ immer blutleerer und unnahbarer wurde. Da sind zuletzt die Esoteriker, die den Christustitel zu einer Chiffre umgebaut haben, unter der nun alles Mögliche an abtrusen und diffusen Vorstellungen von Weltseelen und Energieströmen firmiert.

Im Gegenzug haben einige den Christustitel komplett ausrangiert. Nicht nur in ihrer Gebetsanrede, sondern auch in ihrer Alltagstheologie. Nur so lässt es sich erklären, dass der Ausdruck „Leib Christi“ aus 1. Korinther 12 nicht nur in der Predigtsprache, sondern auch in der einen oder anderen Publikation als „Leib Jesu“ erscheint. Aber eben hier beginnt die Begriffsverschiebung auch zu einer Sinnverschiebung zu werden, die am Ende einen privatisierten Jesus ergibt, und die Gemeinde und Kirche auf eine Art Fanclub reduziert.

Christus ist ja die griechische Übersetzung des hebräischen Messiastitels. Dass Jesus der Christus – des Messias Gottes – ist, ist eines der Kernbekenntnisse des Neuen Testaments und der ersten Christen. Wie Jesus diese Messiasrolle annahm und ausfüllte, war höchst umstritten und ist es bis heute, nicht nur zwischen Christen und Juden, sondern auch in der Diskussion um die verschiedenen Formen politischer Theologie durch die Jahrhunderte.

Vielleicht kann man es so sagen: Der Name Jesus (damals durchaus verbreitet) betont mehr die menschliche Person, während Titel wie Messias/Christus, „Menschensohn“ oder „Sohn Davids“ die (heils-)geschichtliche Rolle beschreiben. Beides lässt sich nicht trennen, aber man muss die Medaille immer mal wieder drehen, damit klar ist, dass sie diese beiden Seiten auch tatsächlich hat. Bei „Jesus“ denken wir zu Recht erst einmal an den Mann aus Fleisch und Blut, zum Anfassen und auf Augenhöhe mit anderen Menschen, einer von uns, der vertraute Freund. Eben dieser intime Freund jedoch ist in einer einmaligen Mission unterwegs – auch heute noch. Sie ist erst abgeschlossen, wenn alles Leid besiegt ist, alle Tränen getrocknet, wenn nicht nur der Hass, sondern auch der Tod überwunden und Gott „alles in allem“ ist.

Um nicht zu vergessen, dass „unser“ Jesus nach dem Bekenntnis der ersten Christen (man hat sie damals spöttisch kleine „Christusse“ genannt, aber gerade nicht kleine „Jesusse“!) auch an der Schöpfung der Welt beteiligt war, dass er der göttliche Logos ist, in dem sich das Geheimnis der Welt erschließt – nicht nur der „persönliche Heiland“, sondern der Erlöser des Kosmos – dafür brauchen wir unter anderem den Christustitel. Nicht als distanzierenden „Nachnamen“, sondern damit wir, als der Leib Christi, uns der wahren Dimensionen von Gottes Handeln in der Welt und im Zusammenhang damit auch unserer eigenen Rolle als Leib Christi bewusst werden. Das scheint mir auch Paulus am Ende von Epheser 3 im Sinn zu haben, wenn er schreibt:

In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt.

Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen.

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Virtuelle Freunde und „echte“ Bekannte

„Wer hat, dem wird gegeben“ – der Satz trifft mit Sicherheit auf Facebook-Freunde zu. Die ersten hundert dauern eine Weile, dann werden es immer schneller immer mehr, dafür sorgt das geschäftstüchtige Unternehmen schon selbst mit seinen Vorschlägen, wen man vielleicht noch so alles kennen könnte.

Ich finde, dass Facebook eine wunderbare Möglichkeit ist, mit Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben, gerade auf große Entfernungen. In letzter Zeit kommen aber auch immer wieder Freundschaftsanfragen von völlig unbekannten Menschen bei mir an, meist ohne irgendeinen erklärenden Kommentar.

Nun ist es um mein Namensgedächtnis nicht immer gut bestellt, vielleicht haben wir uns ja irgendwann mal getroffen. Wenn ich dann aber auf die „Freunde“ der Person klicke, um mir irgendwie ein Bild zu machen, wer da fragt, dann sehe ich da nicht immer, aber oft eine regelrechte „Kollektion“ von Namen, die in dieser oder jener Szene guten Klang haben oder als wichtig gelten. Und unter dem „Profil“ des potenziellen neuen Freundes steht oft irgendeine passende Parole.

Und so ist es eine zwiespältige Erfahrung: In die Galerie wichtiger Menschen eingereiht zu werden, ist ja irgendwie schmeichelhaft. Weniger angenehm ist der Gedanke, dass es gar kein echtes Interesse an mir sein könnte, sondern nur der Versuch, eine (für wen auch immer) möglichst beeindruckende Liste von „Freunden“ vorweisen zu können, das hinter mancher Anfrage steht.

Also bleibe ich doch lieber bei echten Freunden und tatsächlichen Bekannten, auch auf Facebook. Ganz so virtuell muss es ja nicht sein.

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Beten unterm Davidstern?

Vor kurzem warf ich einen Blick in den Gottesdienstraum einer Freikirche und sah dort einen großen Davidstern an der Wand. Und kam ins Grübeln darüber, wie angemessen dieses Symbol dort nun eigentlich ist.

Das Hexagramm hatte ursprünglich auch keinen exklusiven Bezug zum Judentum, im Mittelalter wurde es von verschiedenen Glaubensrichtungen als Talisman verwendet, verrät die Wikipedia. Ab dem 18. Jahrhundert wurde der Davidstern dann zum Symbol des Judentum, um dann von den Zionisten als eher säkulares Symbol benutzt zu werden. Mittlerweile ziert er die Nationalflagge des Staates Israel.

Was sagt es dann also aus, wenn man einen Davidsstern in einen Gemeindesaal hängt? Manche kirchlichen Traditionen sind ja symbolisch etwas verarmt, und nun ist man bei der Nachrüstung vielleicht nicht sehr wählerisch. Und weil das Geschichtsbewusstsein mancher junger Gemeinden nicht sehr entwickelt ist, rutscht nun ein Talisman hinein, obwohl man sonst alles Magische peinlichst meidet.

Vielleicht will man das positive Verhältnis zwischen Christen und Juden (historisch keineswegs eine Selbstverständlichkeit in unseren Breiten) betonen, oder sogar die Identifikation mit den Opfern des dritten Reichs, die den „Judenstern“ als Zeichen tragen mussten. Aber das könnten Juden ja auch als respektlose Vereinnahmung empfinden, wie das etwa bei der Pesach-Feier der Fall ist.

Will man dem Staat Israel damit seiner Solidarität versichern? Aber es ist seinem Selbstverständnis nach ein säkularer Staat, und nicht einmal alle Strömungen im Judentum sehen den uneingeschränkt positiv. Noch etwas direkter gefragt: Erhebt man mit dem Davidstern an der Wand nicht qua Symbolsprache den Zionismus zum offiziellen Glaubensgegenstand? Und wie lässt sich das damit verbinden, dass Jesus die nationale Agenda seiner Zeitgenossen extrem kritisch kommentierte?

Oder soll es, etwas unglücklich und höchst missverständlich symbolisiert, nur sagen, was die EKD hier so formuliert hat: „Christen kommen durch Jesus Christus zu dem Gott, der sich unverbrüchlich mit Israel verbündet hat“?

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Außer Thesen nichts gewesen?

Von wegen! Vor zwei Wochen war ich beim Think Tank „Missionale Christologie“ des IGW auf dem Herzberg bei Aarau/CH. Nun ist eine kurzer Bericht über die anregenden und intensiven Diskussion erschienen. Wir haben missionale Theologie von Jesus aus zu denken versucht und Jesus aus einer missionalen Perspektive betrachtet. Und gemerkt, dass wir dabei erst am Anfang stehen.

Wer sich für Einzelheiten interessiert, kann hier weiterlesen. In einigen Wochen werden unsere Thesen dann veröffentlicht.

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Lehrreiche Gartenarbeit

Ich habe mich in letzter Zeit mit dem Schneiden von Obstbäumen beschäftigt und dabei gelernt, wie wichtig es ist, den Konkurrenztrieb zu entfernen. Bei näheren Hinsehen stellte ich dann fest, dass ich das bei meinem Baum vor einigen Jahren schon mal versäumt habe.

Über die menschlichen Parallelen lässt sich dabei ganz prima meditieren. Das muss ich mir auf jeden Fall merken, wenn mal wieder eine Predigt über Johannes 15 ansteht und den Winzer, der die Reben schneidet. Bei denen scheint es auch reichlich Konkurrenztriebe zu geben…

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Weisheit der Woche: Sehnsuchtsspirale

Der Trick ist es, eine Sehnsucht zu wecken, die sich fortwährend nach neuen Sehnsüchten sehnt.

(…) Die Konsumgesellschaft verspricht nicht nur das Glück, sondern sie fordert es regelrecht ein. Unglück ist nicht duldbar, die Unglücklichen verlieren ihren Platz in der Gesellschaft. Das Absurde ist freilich: Die größte Bedrohung für eine Gesellschaft, die das Glück zur höchsten Maxime erklärt hat, ist ein wunschlos glücklicher Kunde. Er kauft ja nichts mehr ein.

Zygmunt Bauman in der SZ

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