Dicht gemacht

Die russisch-orthodoxe Kirche will mit der EKD unter der Ratsvorsitzenden Margot Käßmann nicht zusammenarbeiten. Ganz überraschend kommt die Nachricht nicht, obwohl so mancher auf mehr Offenheit gehofft hat. Für die ökumenischen Beziehungen an der Basis ist das sicher schwierig. Aus evangelischer Sicht war das Verhältnis zu den Orthodoxen, die im nachkonstantinischen Zeitalter und einer pluralistischen Welt mehrheitlich noch nicht so ganz angekommen zu sein scheinen, nie ganz einfach.

Um so mehr wird es nun darauf ankommen, während der offiziell drohenden Eiszeit die persönlichen Freundschaften zwischen einzelnen Christen, Gemeinden vor Ort und unter den offiziellen Repräsentanten beider Seiten zu pflegen und die Gräben nicht größer werden zu lassen, als sie schon sind. Als Evangelische muten wir den Orthodoxen einiges zu. Wir müssen das vielleicht auch, aber dann müssen wir ihnen auch die Zeit und den Raum geben, sich daran zu reiben.

Also, wenn die „da oben“ dicht machen (wenigstens auf orthodoxer Seite), dann müssen wir hier unten uns etwas einfallen lassen, wie wir die Tür erst recht offen halten. Mal sehen, wann die nächste Gelegenheit dazu kommt.

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Liebe und Absichtslosigkeit

Neulich blieb ich an diesem Satz von Franz Jaliczs hängen:

Es ist der selbstverständliche Wunsch eines Christen, dass Jesus Christus von allen Menschen anerkannt werde. Dieser Wunsch kann aber ein Hindernis sein, die persönliche Bedeutung der Äußerungen zu erfassen, falls sie von diesem Wunsch abweichen oder dazu im Widerspruch stehen.

und etwas später schreibt er (Miteinander im Glauben wachsen, S. 47/49):

Wer seinen Glauben mit der Überzeugung mitteilen möchte, dass er über einen Schatz verfügt, den der andere nicht oder noch nicht in demselben Maß besitzt, kann auf einen inneren Widerstand stoßen, wenn er mit seinem Gesprächspartner auf gleicher Stufe sprechen möchte.

Ich habe mich dann gefragt, ob man den Begriff der Absichtslosigkeit aus der Tradition des kontemplativen Gebets übertragen kann auf die Haltung, die man auch in einem Glaubenskurs (das war der Grund, warum ich das nachlas) anderen Menschen gegenüber pflegen sollte. Aber es gibt ja auch immer die, für die „offen für alles“ automatisch „nicht ganz dicht“ bedeutet.

Also: Kann ich meine Überzeugung schon dadurch verraten, dass ich sie einem anderen nicht aufschwatze?

Absichtslosigkeit beim Beten bedeutet ja nicht, dass ich nicht beten will, sondern dass ich nicht auf ein ganz bestimmtes Resultat festgelegt bin. Wie es kommt, so ist es in Ordnung. Ähnlich im Alpha-Kurs: Ich bringe mich in das Gespräch und den Kurs ein, ich interessiere mich für mein Gegenüber um seiner selbst willen. So wie mir beim Beten Gott konkurrenzlos wichtig ist, und ich ihm keine Vorgaben mache, wie er diese Zeit zu füllen hat, damit es sich für mich lohnt, so kann ich auch in ein Gespräch mit anderen hineingehen. Es hat seinen Wert in sich.

Pah, höre ich jetzt schon den Einwand, Reden um des Redens willen ist verschwendete Zeit, dafür sind wir nicht auf der Welt.

Ist das so?

Wenn ich absichtslos zuhöre und mich mitteile, ist schon etwas herausgekommen. Wenn ich aber unausgesprochen ein bestimmtes Resultat zur Bedingung mache, dann steigt automatisch die Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu werden – und die Gefahr, dass ich mich beim nächsten Mal erst gar nicht mehr auf das Beten oder auf ein weiteres Gespräch einlasse. Und dann kann gar nichts mehr passieren.

Absichtslosigkeit ist auch nicht bloße Pflichterfüllung. Wo ich etwas nur abhaken will, bin ich schon nicht mehr bei der Sache. Absichtslosigkeit ist nicht mit Gleichgültigkeit und Wurstigkeit zu verwechseln. Sie hat aber alles mit Liebe zu tun. Und darum lohnt es sich, ein bißchen Übung zu investieren.

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Nicht hart genug?

Der Tod von Robert Enke könnte einen Sinn bekommen, wenn eine öffentliche Debatte über den Umgang mit psychischen Leiden und Erkrankungen in Gang käme. Bis jetzt ist es so, dass man seine Erkrankung nach Möglichkeit geheim halten muss, weil man sonst nur allzu oft von anderen Menschen als „verrückt“ angesehen und gemieden wird – vor allem aber, weil man um seinen Arbeitsplatz bangen muss, denn jede Tätigkeit mit nur etwas Verantwortung ist den Starken und Selbstsicheren vorbehalten.

Dass darunter eine ganze Reihe Workaholics und Soziopathen sind, das wiederum ist weithin akzeptiert. Die gelten dennoch als „stark“. Aber „Schwache“ müssen fürchten, dass man ihnen unterstellt, sie seien auf Dauer unfähig, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Vor einigen Tagen erschien das Buch von Sebastian Deisler, der sich seiner Krankheit auch öffentlich stellte und seine Karriere beendete.

Robert Enke hat wohl gehofft, dass es auch anders geht – ohne Ausstieg, ohne zermürbende und entwürdigende öffentliche Diskussion darüber, ob er diesen Kampf gewinnt, ohne Loser-Image. Und möglicherweise hat er eben deshalb den Ausweg nicht mehr gefunden, den Sebastian Deisler gewählt hat.

Natürlich müssen sich nun die Fußballfunktionäre zu allererst die Frage stellen, wo das System und seine Vertreter hier versagt haben – aber bitte nicht als einzige! Das Thema geht alle an. Hoffentlich rüttelt dieser Tod uns nachhaltig auf.

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Zeitlos schön

Alan Hirsch hat heute auf Facebook dieses Glaubensbekenntnis der Massai gepostet. Es stammt aus dem genialen Buch Christianity Rediscovered von Vincent Donovan:

We believe in the one High God, who out of love created the beautiful world and everything good in it. He created Man and wanted Man to be happy in the world. God loves the world and every nation and tribe on the Earth. We have known this High God in darkness, and now we know Him in the light. God promised in the book of His word, the Bible, that He would save the world and all the nations and tribes.

We believe that God made good His promise by sending His Son, Jesus Christ, a man in the flesh, a Jew by tribe, born poor in a little village, who left His home and was always on safari doing good, curing people by the power of God, teaching about God and man, showing the meaning of religion is love. He was rejected by his people, tortured and nailed hands and feet to a cross, and died. He lay buried in the grave, but the hyenas did not touch him, and on the third day, He rose from the grave. He ascended to the skies. He is the Lord.

We believe that all our sins are forgiven through Him. All who have faith in Him must be sorry for their sins, be baptised in the Holy Spirit of God, live the rules of love and share the bread together in love, to announce the Good News to others until Jesus comes again. We are waiting for Him. He is alive. He lives. This we believe. Amen.

Die deutsche Übersetzung gibt es hier.

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Der lange Schatten des Reformators

Auf dem Weg nach Berlin bin ich am Freitag – endlich einmal – in Wittenberg ausgestiegen und habe einen kleinen Rundgang durch die Stadt gemacht: Augustinerkloster, Stadtkirche, Schlosskirche. Zweieinhalb Stunden später kletterte ich nachdenklich in den überfüllten IC.

Im Kopf schwirrten mir die Bilder von den Gräbern in den Kirchen, Gedenktafeln an den sonnenbeschienenen Häusern, Luthergraffitis auf den Schaltkästen der Telekom, Luther Merchandise in den Schaufenstern. Allenthalben traf ich auf die verschiedensten Versuche einer Selbstinszenierung des deutschen Protestantismus, am deutlichsten vielleicht am Turm der Schlosskirche, um den herum in Riesenlettern „ein feste Burg ist unser Gott“ geschrieben steht.

Und das alles in dieser kleinen Stadt, die für ein paar Jahrzehnte Weltgeschichte schrieb und weder zuvor noch seither etwas vergleichbares erlebt hatte – wie auch? Der Schatten des großen Mannes aus Eisleben überdeckt immer noch alles und macht es zu einem großen Museum. Nett für Besucher, aber wie lebt man bloß damit, wenn man dort wohnt?

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Ohne Licht und Verstand

Ich bin ja selbst Radfahrer aus Überzeugung. In den letzten Tagen aber haben einige Kollegen meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Im Wesentlichen sind es zwei Dinge, die so etwas wie Ärger oder Fremdschämen auslösen: Unbeleuchtet herumzuradeln in der Dunkelheit und zweitens auf der falschen Seite daherzukommen oder gegen die Fahrtrichtung einer Einbahnstraße. Alles vorzugsweise noch bei Regen natürlich.

Heute abend hat einer gleich beides gemacht, ich hätte ihn beim Abbiegen fast übersehen, weil er weder beleuchtet war noch dort hätte fahren dürfen. Aber das störte ihn offenbar überhaupt nicht. Er machte gar keine Anstalten, abzubremsen oder auszuweichen, sondern er benahm sich, als hätte er Vorfahrt.

Ob aus Rücksichtnahme und Fairness anderen gegenüber oder aus schlichter Sorge um die eigenen Knochen, solche Aktionen sind es nicht wert: Wenn ich also schon ohne Licht unterwegs bin, dann fahre ich doch so defensiv wie irgend möglich. Der gelegentliche Rollentausch hilft, die Risiken besser zu erkennen. Wer nicht nur strampelt, sondern auch denkt, kommt aber auch drauf.

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Bekehrungen: was ist echt?

Ich sitze in einer Gesprächsrunde, wo das Thema „Konversion“ sozialwissenschaftlich und praktisch-theologisch erörtert wird. Eine Studie des IEEG Greifswald wird vorgestellt.

Mein Blick fällt auf einen prominenten Teilnehmer, der seit unserem letzten Treffen von seinem PC auf ein schickes Macbook umgestiegen ist. Nur den Apfel hat er verschämt zugepappt mit einem Aufkleber. Und ich frage mich: Ist das eine „echte“ Bekehrung, wenn man sich hinterher nicht dazu bekennt?

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Muss man verrückt sein, um Karriere zu machen?

Mein ICE nach Kassel war verspätet, weil der Triebkopf gestört war. Ich wunderte mich noch, wie nahe sich heute psychologische und technische Termini kommen, wenn sie die Tücken komplexer Systeme beschreiben. Dann geht die Reise weiter, und ich lese ein Kapitel über psychiatrische Metaphern in wirtschaftlichen Prozessen (Fritz B. Simon in: Die andere Intelligenz. Wie wir morgen denken werden). Dort steht::

Manisch oder submanisch zu sein ist die beste Voraussetzung, um in unseren Wirtschaftssystem Karriere zu machen. 19-Stunde-Tage sind angesichts des reduzierten Schafbedürfnisses kein Problem, und großartige Zukunftsentwürfe und Visionen zu produzieren, gehört zur Symptomatik. Viele erfolgreiche Menschen gestehen ohne Umschweife ein, dass sie ihre Karriere ihren manischen oder submanischen Phasen verdanken

Auf Zeit Online hat Michael Gottschalk letzte Woche übrigens schon darauf verwiesen, dass der Typ „charismatische Führungspersönlichkeit“ derzeit aus der Mode kommt und den Anteil von Führungskräften aus den klassischen Managementschulen – wo der Mythos des großen Menschen und Star-Managers gepflegt wurde – rückläufig ist. Im Licht von Simons Feststellung ist das auf jeden Fall ein gutes Zeichen.

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